Die deutsche Hanse ist ein historisches Phänomen, das auf den ersten Blick rein regionaler Natur zu sein scheint. Die Autokennzeichen mit dem „H“ für Hansestadt beschränken sich jedenfalls auf die Nord- und Ostseeküste der Bundesrepublik. Bremen, Hamburg und Lübeck konnten sich schon seit Einführung der ersten Kennzeichen überhaupt mit diesem Kürzel schmücken, seit der Wiedervereinigung von 1990 sind auch ein paar Ostseestädte dazugekommen, u.a. Rostock und Greifswald. Daß diese regionale Wahrnehmung den Blick auf den eigentlichen Charakter der Hanse trübt, zeigt allein schon die Tatsache, daß mittlerweile 25 Städte, die sich u.a. in Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen befinden, den Namenszusatz „Hansestadt“ führen.
Viel weiter ging einer der wichtigen Hanseforscher, Dietrich Schäfer, in seiner klassischen Monographie von 1902. Die „weltgeschichtliche Bedeutung“ der Hanse bestehe demnach darin, die tiefgreifendste und weitwirkendste Wandlung der Weltgeschichte vorbereitet und eingeleitet zu haben: die Abwendung Europas vom Süden und die Zuwendung nach Norden. Die lange Dominanz der Mittelmeerküste für die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung Europas wurde im Laufe des 15. Jahrhunderts beendet und in den folgenden Jahrhunderten durch den Norden abgelöst: „In den Stromgebieten seiner nördlichen Meere wohnen seine blühendsten Völker, hier hat es seine reichsten Städte, entfaltet sein buntestes Leben.“
Die Hanse entstand als Zusammenschluß deutscher Kaufleute zu sogenannten Fahrgemeinschaften in der Mitte des 12. Jahrhunderts. Über das genaue Gründungsjahr gibt es in der Forschung keine Einigkeit. Die Wichtigkeit der Gründung Lübecks (1143) für die Entstehung der Hanse ist allerdings unumstritten, weil dadurch der Ostseehandel befördert wurde, der bald ein Monopol der Hanse war. Die Ziele der Kaufleute waren der Schutz des Handels und die gemeinsame Durchsetzung von Privilegien in den jeweiligen Handelsorten, die sich über den ganzen Nord- und Ostseeraum erstreckten. Wichtigste Niederlassungen waren Gotland (Wisby), Nowgorod, Brügge und London.
Der Erfolg der Hanse führte seit dem 13. Jahrhundert zur Entstehung des Städtebunds der Deutschen Hanse, der über sogenannte „Tagfahrten“ und Hansetage organisiert wurde. Hintergrund war die Durchsetzung von gemeinsamen Standards der Sicherheit, des Verkehrs und der Zahlungsmodalitäten, die es den Kaufleuten ermöglichte, seßhaft zu werden und den Handel von den aufblühenden Städten aus zu betreiben. Was die Städte zunehmend auch als Machtfaktor bedeutsam machte, war die Schwächung der Zentralgewalt im Reich, die seit dem Ende der Stauferzeit daniederlag (Interregnum) und ein selbständiges Kümmern um die eigenen Belange notwendig machte.
Über diesen Weg wurde die Hanse im 14. Jahrhundert zu einer nordeuropäischen Großmacht, der über 70 Städte (bis hinauf nach Reval, heute Tallinn) angehörten und mit der weitere 140 Städte assoziiert waren. Daraus folgte der Konflikt mit Dänemark, der in zwei Kriegen siegreich für die Hanse endete und sie auf den Höhepunkt ihrer Macht führte. Nachdem der erste Krieg 1362 mit einem Waffenstillstand geendet hatte, der für die Hanse sehr schmeichelhaft war, verstärkte die Hanse ihre Anstrengungen.
Der einzige jemals in Köln abgehaltene Hansetag wurde 1367 einberufen (um den Niederländern die Teilnahme zu ermöglichen) und für die Dauer des Krieges eine Konföderation gegründet. Die militärische Operation verlief erfolgreich, Kopenhagen sowie die dänischen und norwegischen Küsten wurden verwüstet, bis die Kapitulation der Dänen am 8. September in Hälsingborg erfolgte. Der Friede von Stralsund sicherte der Hanse ihre Privilegien, das Mitspracherecht bei der dänischen Königswahl und durch die Überlassung von vier Festungen die Herrschaft über den Öresund. Er ist „einer der bedeutendsten Erfolge, den die Hanse jemals errungen hat, und eins der wichtigsten Ereignisse ihrer Geschichte“ (Dietrich Schäfer).
Seit Ende des 15. Jahrhunderts verlor die Hanse an Bedeutung, weil sich die Voraussetzungen des Handels veränderten, ohne daß die Hanse dem etwas entgegensetzen konnte. Die Gründe sind vielfältig und lassen sich vor allem auf die allmähliche Ausbreitung des Welthandels zurückführen, an dem die Hansestädte als Bund keinen Anteil hatten. Als Machtfaktor schieden sie aus, weil sich Territorialstaaten konsolidierten und spätestens mit dem Dreißigjährigen Krieg als einzige Macht übrigblieben. Der letzte Hansetag fand 1669 in Lübeck statt und blieb folgenlos.
Die Hanse wirkt bis heute wie ein Fremdkörper in der deutschen Geschichte, jedenfalls dann, wenn man die Zuschreibungen, die spätestens seit der Reichsgründung von 1871 auf die Deutschen angewandt wurden, ernst nimmt. Obrigkeitsstaat und Militarismus vertragen sich nur schlecht mit der klassischen Vorstellung eines Bundes freier Kaufleute bzw. freier Städte. Geschichtspolitisch wurde die Hanse im 20. Jahrhundert unterschiedlich in Beschlag genommen: Dem Dritten Reich war sie Beweis für die Überlegenheit des nordischen Menschen über den Rest der Welt, die DDR sah sie als fortschrittliche Macht gegen den Feudalismus, und die Bundesrepublik bastelt aus ihr einen Vorläufer des europäischen Integrationsprozesses.
Die Beschäftigung mit der Hanse bleibt aber auch aus einem anderen Grund geboten: „Je bedrängter es um die niederdeutsche Welt steht, denn sie hat ja mit der Amputation des Ostens und der längerfristigen Teilung des Landes die schwersten Opfer innerhalb des Gesamtvolkes auf sich nehmen müssen, um so nötiger bedarf es der Besinnung auf ihre Leistung in der Vergangenheit.“ (Heinz Stoob)
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Literatur:
- Philippe Dollinger: Die Hanse, Stuttgart 1966 (zuletzt 2012)
- Karl Pagel: Die Hanse, Oldenburg 1942 (zuletzt 1983)
- Dietrich Schäfer: Die deutsche Hanse, Bielefeld/Leipzig 1903 (zuletzt 1943)
- Heinz Stoob: Die Hanse, Graz/Wien/Köln 1995