1370 — Der Friede von Stralsund und die Hanse

Die deutsche Hanse ist ein his­torisches Phänomen, das auf den ersten Blick rein regionaler Natur zu sein scheint. Die Auto­kennze­ichen mit dem „H“ für Hans­es­tadt beschränken sich jeden­falls auf die Nord- und Ost­seeküste der Bun­desre­pub­lik. Bre­men, Ham­burg und Lübeck kon­nten sich schon seit Ein­führung der ersten Kennze­ichen über­haupt mit diesem Kürzel schmück­en, seit der Wiedervere­ini­gung von 1990 sind auch ein paar Ost­seestädte dazugekom­men, u.a. Ros­tock und Greif­swald. Daß diese regionale Wahrnehmung den Blick auf den eigentlichen Charak­ter der Hanse trübt, zeigt allein schon die Tat­sache, daß mit­tler­weile 25 Städte, die sich u.a. in Sach­sen-Anhalt und Nor­drhein-West­falen befind­en, den Namen­szusatz „Hans­es­tadt“ führen.

Viel weit­er ging ein­er der wichti­gen Hanse­forsch­er, Diet­rich Schäfer, in sein­er klas­sis­chen Mono­gra­phie von 1902. Die „welt­geschichtliche Bedeu­tung“ der Hanse beste­he dem­nach darin, die tief­greifend­ste und weitwirk­end­ste Wand­lung der Welt­geschichte vor­bere­it­et und ein­geleit­et zu haben: die Abwen­dung Europas vom Süden und die Zuwen­dung nach Nor­den. Die lange Dom­i­nanz der Mit­telmeerküste für die wirtschaftliche und kul­turelle Entwick­lung Europas wurde im Laufe des 15. Jahrhun­derts been­det und in den fol­gen­den Jahrhun­derten durch den Nor­den abgelöst: „In den Stromge­bi­eten sein­er nördlichen Meere wohnen seine blühend­sten Völk­er, hier hat es seine reich­sten Städte, ent­fal­tet sein buntestes Leben.“

Die Hanse ent­stand als Zusam­men­schluß deutsch­er Kau­fleute zu soge­nan­nten Fahrge­mein­schaften in der Mitte des 12. Jahrhun­derts. Über das genaue Grün­dungs­jahr gibt es in der Forschung keine Einigkeit. Die Wichtigkeit der Grün­dung Lübecks (1143) für die Entste­hung der Hanse ist allerd­ings unum­strit­ten, weil dadurch der Ost­see­han­del befördert wurde, der bald ein Monopol der Hanse war. Die Ziele der Kau­fleute waren der Schutz des Han­dels und die gemein­same Durch­set­zung von Priv­i­legien in den jew­eili­gen Han­del­sorten, die sich über den ganzen Nord- und Ost­seer­aum erstreck­ten. Wichtig­ste Nieder­las­sun­gen waren Got­land (Wis­by), Now­gorod, Brügge und Lon­don.

Der Erfolg der Hanse führte seit dem 13. Jahrhun­dert zur Entste­hung des Städte­bunds der Deutschen Hanse, der über soge­nan­nte „Tag­fahrten“ und Hanse­tage organ­isiert wurde. Hin­ter­grund war die Durch­set­zung von gemein­samen Stan­dards der Sicher­heit, des Verkehrs und der Zahlungsmodal­itäten, die es den Kau­fleuten ermöglichte, seßhaft zu wer­den und den Han­del von den auf­blühen­den Städten aus zu betreiben. Was die Städte zunehmend auch als Macht­fak­tor bedeut­sam machte, war die Schwächung der Zen­tral­ge­walt im Reich, die seit dem Ende der Stauferzeit danieder­lag (Inter­reg­num) und ein selb­ständi­ges Küm­mern um die eige­nen Belange notwendig machte.

Über diesen Weg wurde die Hanse im 14. Jahrhun­dert zu ein­er nordeu­ropäis­chen Groß­macht, der über 70 Städte (bis hin­auf nach Reval, heute Tallinn) ange­hörten und mit der weit­ere 140 Städte assozi­iert waren. Daraus fol­gte der Kon­flikt mit Däne­mark, der in zwei Kriegen siegre­ich für die Hanse endete und sie auf den Höhep­unkt ihrer Macht führte. Nach­dem der erste Krieg 1362 mit einem Waf­fen­still­stand geen­det hat­te, der für die Hanse sehr schme­ichel­haft war, ver­stärk­te die Hanse ihre Anstren­gun­gen.

Der einzige jemals in Köln abge­hal­tene Hanse­tag wurde 1367 ein­berufen (um den Nieder­län­dern die Teil­nahme zu ermöglichen) und für die Dauer des Krieges eine Kon­föder­a­tion gegrün­det. Die mil­itärische Oper­a­tion ver­lief erfol­gre­ich, Kopen­hagen sowie die dänis­chen und nor­wegis­chen Küsten wur­den ver­wüstet, bis die Kapit­u­la­tion der Dänen am 8. Sep­tem­ber in Häls­ing­borg erfol­gte. Der Friede von Stral­sund sicherte der Hanse ihre Priv­i­legien, das Mit­spracherecht bei der dänis­chen Königswahl und durch die Über­las­sung von vier Fes­tun­gen die Herrschaft über den Öre­sund. Er ist „ein­er der bedeu­tend­sten Erfolge, den die Hanse jemals errun­gen hat, und eins der wichtig­sten Ereignisse ihrer Geschichte“ (Diet­rich Schäfer).

Seit Ende des 15. Jahrhun­derts ver­lor die Hanse an Bedeu­tung, weil sich die Voraus­set­zun­gen des Han­dels verän­derten, ohne daß die Hanse dem etwas ent­ge­genset­zen kon­nte. Die Gründe sind vielfältig und lassen sich vor allem auf die allmäh­liche Aus­bre­itung des Welthandels zurück­führen, an dem die Hans­es­tädte als Bund keinen Anteil hat­ten. Als Macht­fak­tor schieden sie aus, weil sich Ter­ri­to­ri­al­staat­en kon­so­li­dierten und spätestens mit dem Dreißigjähri­gen Krieg als einzige Macht übrig­blieben. Der let­zte Hanse­tag fand 1669 in Lübeck statt und blieb fol­gen­los.

Die Hanse wirkt bis heute wie ein Fremd­kör­p­er in der deutschen Geschichte, jeden­falls dann, wenn man die Zuschrei­bun­gen, die spätestens seit der Reichs­grün­dung von 1871 auf die Deutschen ange­wandt wur­den, ernst nimmt. Obrigkeitsstaat und Mil­i­taris­mus ver­tra­gen sich nur schlecht mit der klas­sis­chen Vorstel­lung eines Bun­des freier Kau­fleute bzw. freier Städte. Geschicht­spoli­tisch wurde die Hanse im 20. Jahrhun­dert unter­schiedlich in Beschlag genom­men: Dem Drit­ten Reich war sie Beweis für die Über­legen­heit des nordis­chen Men­schen über den Rest der Welt, die DDR sah sie als fortschrit­tliche Macht gegen den Feu­dal­is­mus, und die Bun­desre­pub­lik bastelt aus ihr einen Vor­läufer des europäis­chen Inte­gra­tionsprozess­es.

Die Beschäf­ti­gung mit der Hanse bleibt aber auch aus einem anderen Grund geboten: „Je bedrängter es um die niederdeutsche Welt ste­ht, denn sie hat ja mit der Ampu­ta­tion des Ostens und der länger­fristi­gen Teilung des Lan­des die schw­er­sten Opfer inner­halb des Gesamtvolkes auf sich nehmen müssen, um so nötiger bedarf es der Besin­nung auf ihre Leis­tung in der Ver­gan­gen­heit.“ (Heinz Stoob)

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Lit­er­atur:

  • Philippe Dollinger: Die Hanse, Stuttgart 1966 (zulet­zt 2012)
  • Karl Pagel: Die Hanse, Old­en­burg 1942 (zulet­zt 1983)
  • Diet­rich Schäfer: Die deutsche Hanse, Bielefeld/Leipzig 1903 (zulet­zt 1943)
  • Heinz Stoob: Die Hanse, Graz/Wien/Köln 1995