1396 — Die Kölner Zünfte siegen über die Patrizier

Es gärt Mitte des 14. Jahrhun­derts in der alten Reichsstadt Köln, die mit ihren 40000 Ein­wohn­ern die größte Stadt im Reich ist. Knapp vier Jahrzehnte lang wird der Kon­flikt dauern, dessen Ergeb­nis das Ende der Patrizier­herrschaft und den Sieg des Köl­ner Bürg­er­tums bedeutet.

Ursprung der Auseinan­der­set­zun­gen sind Kon­flik­te zwis­chen den handw­erk­lichen Zün­ften und weit­en Teilen des Bürg­er­tums auf der einen und weni­gen Patrizier­fam­i­lien auf der anderen Seite. Mehrfach kommt es in der Hans­es­tadt zu regel­recht­en kleinen Bürg­erkriegen. Mitte der 1360er Jahre sind es die Weber, die als größte Zun­ft der Stadt gegen das oli­garchis­che Sys­tem auf­begehren, das sich eine Gruppe ein­flußre­ich­er Fam­i­lien über Gen­er­a­tio­nen aufge­baut hat.

Als Unregelmäßigkeit­en zu Las­ten einzel­ner Bürg­er bekan­nt wer­den, nutzen die Weber dies zum Ruf nach ein­er neuen städtis­chen Ver­fas­sung („nova ordi­na­tio“). Zunächst ver­buchen sie Erfolge in Form von Zugeständ­nis­sen und ein­er Neukon­sti­tu­ierung des Rates, doch dann wen­det sich das Blatt gegen sie. Bei ein­er Straßen­schlacht im Herb­st 1371 wer­den zahlre­iche Weber auf offen­er Straße erschla­gen und die alte Ord­nung wieder­hergestellt. Vor­läu­fig herrscht Ruhe, zudem erbrin­gen die Köl­ner Patrizier mit der Grün­dung der Uni­ver­sität 1388 ihre ver­mut­lich größte kul­turelle, zweifel­los aber nach­haltig­ste Leis­tung.

Aber schon wenige Jahre später stellen die Zün­fte Forderun­gen nach mehr Mit­sprache, erhal­ten jedoch nur leere Ver­sprechun­gen. In der Nacht zum 19. Juni 1396 ziehen Vertreter der Zün­fte zu ein­er Zusam­menkun­ft der Patrizier, die ger­ade über das weit­ere Vorge­hen gegen die Zün­fte berat­en. Die Patrizier wer­den vor Gericht gestellt und zu Geld­bußen und Ver­ban­nung verurteilt. Damit ist das Ende ihrer offiziellen Herrschaft besiegelt.

In Form des „Ver­bund­briefs“ erhält die Stadt Köln am 14. Sep­tem­ber 1396 eine Ver­fas­sung, die sich inhaltlich an Vor­bildern in Lüt­tich und Utrecht ori­en­tiert. Dem­nach sind alle Voll­bürg­er Kölns verpflichtet, ein­er der 22 gewerblich-poli­tis­chen Genossen­schaften, einem „Amt“ oder ein­er „Gaffel“, anzuge­hören. „Gaffeln“ nen­nt man die poli­tis­chen Kor­po­ra­tio­nen der Kau­fleute und Zün­fte. Der Aus­druck stammt von ein­er zweizinki­gen Gabel, die Köl­ner Kau­fleute im frühen Mit­te­lal­ter aus Venedig einge­führt hat­ten. „Gaffel“ gilt als Sym­bol gehoben­er Eßkul­tur und gibt zugle­ich den Köl­ner Tis­chge­mein­schaften den Namen. Aus diesen „Tis­chbrud­er­schaften“ sind über die Jahre standespoli­tis­che Vere­ini­gun­gen gewor­den, die nun mit dem gemein­samen Ver­bund­brief das poli­tis­che Heft in die Hand nehmen.

Gemäß Ver­bund­brief gibt es nur noch einen Stad­trat, der aus 49 Mit­gliedern beste­ht, von denen 36 den Gaffeln und Ämtern zuzuord­nen sind; die restlichen 13, das soge­nan­nte „Gebrech“, wer­den von den 36 Gewählten aus der gesamten Bürg­er­schaft koop­tiert. Die 22 Gaffelge­sellschaften verpflicht­en sich in dem Doku­ment, einem „ungeschiede­nen, ungeteil­ten Rat“ stets „beiständig, treu und hold“ zu sein. Ihm weisen sie die obrigkeitliche Gewalt zu, die sie gemein­sam garantieren. Da nur Inhab­er des Köl­ner Bürg­er­rechts wählbar sind, bleibt ein Großteil der Stadt­bevölkerung von vorn­here­in aus­geschlossen.

Bei beson­ders wichti­gen Entschei­dun­gen, etwa über Krieg und auswär­tige Angele­gen­heit­en, muß der Rat ein Gremi­um von 44 zusät­zlichen Gaffelvertretern (die „Vierund­vierziger“) an der Beschluß­fas­sung beteili­gen. Ober­ste Repräsen­tan­ten, vom Rat alljährlich gewählt, sind jew­eils zwei Bürg­er­meis­ter. Die Rat­sher­ren unter­liegen einem Rota­tion­s­ge­bot: Sie dür­fen ihr Amt nur ein Jahr lang innehaben und müssen bis zu ein­er Wieder­wahl zwei, später drei Jahre aus­set­zen. Der Ver­bund­brief, dessen Text in einem mit­te­lal­ter­lichen „Köl­ner“ Deutsch abge­faßt ist, ver­bi­etet es aus­drück­lich, ein Man­dat durch Bestechung, über Fre­unde oder Ver­wandte oder gar mit Geschenken anzus­treben.

Aber es sind teil­weise ger­ade diese Vorschriften, die in der prak­tis­chen Mach­tausübung neue Mißstände und Kon­flik­te verur­sachen. Immer wieder kön­nen sich erneut oli­garchis­che Ten­den­zen durch­set­zen: Gewe­sene und amtierende Bürg­er­meis­ter („Sechsh­er­ren“) bilden ein „Kränzchen“, eine mächtige Clique und — wie man damals schon sagte — eine Art „Klün­gel“. Dort fall­en die wichti­gen Entschei­dun­gen. So regieren vom 16. Jahrhun­dert an Bürg­er­meis­ter und die ein­flußre­ich­sten Rat­sher­ren als unbeschränk­te Obrigkeit. Mehrfach wer­den Refor­men angemah­nt und angekündigt, so im berühmten „Trans­fixbrief“ von 1513. Doch let­ztlich bleiben alle Ver­suche, sämtliche Nor­men des Ver­bund­briefes gegen die herrschende Obrigkeit und Vet­tern­wirtschaft durchzuset­zen, bis zum Ende der reichsstädtis­chen Zeit erfol­g­los.

Die Ver­fas­sung jedoch, welche die Gaffeln und Zün­fte selb­st aus­gear­beit­et hat­ten, bleibt bis zur Beset­zung Kölns durch die Fran­zosen 1794, also knapp 400 Jahre, in Kraft. Von den sein­erzeit 22 Aus­fer­ti­gun­gen des Ver­bund­briefes — jede Gaffel erhielt ein Orig­i­nal — existieren heute noch zehn, darunter auch jenes Exem­plar, das nach dem Ein­sturz des Köl­ner Stadtarchivs 2009 unter dessen Trüm­mern begraben wurde, aber restau­ri­ert wer­den kon­nte. Daß der Ver­bund­brief als „kölsches Grundge­setz“ im Bewußt­sein der Stadt auch über 600 Jahre später noch präsent ist, zeigt sich im Som­mer 2015 auf allzu pro­fane Art, bei der erneut der vielz­i­tierte „kölsche Klün­gel“ eine Rolle spielt: Als sich unter den Anhängern des Fußbal­lvere­ins 1. FC Köln knapp 60 Fan­grup­pierun­gen auf einen gemein­samen Ver­hal­tenskodex eini­gen, nen­nen sie das gemein­sam ver­ab­schiedete Papi­er in Anlehnung an die Stadt­geschichte eben­falls „Ver­bund­brief“.

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Lit­er­atur:

  • Peter Fuchs: Chronik zur Geschichte der Stadt Köln, Bd. 1, Köln 1993
  • Arnd Kluge: Die Zün­fte, Stuttgart 2007
  • Klaus Mil­itzer: Gaffeln, Ämter, Zün­fte. Handw­erk­er und Han­del vor 600 Jahren, in: Jahrbuch des Köl­nis­chen Geschichtsvere­ins 67 (1996), S.41–59
  • Köln in guter Ver­fas­sung!? 600 Jahre Ver­bund­brief. Beglei­theft zur gle­ich­nami­gen Ausstel­lung im Köl­ner Stadt­mu­se­um, Köln 1996