Entscheidung bezeichnet einen Vorgang, bei dem eine Wahl — zwischen zwei oder mehr Alternativen — getroffen werden muß. Die Problematik der Entscheidung hängt damit zusammen, daß nie alle Handlungsbedingungen bekannt sind und in bezug auf die Folgen der Entscheidung keine letzte Sicherheit bestehen kann. Deshalb befaßte sich die Ethik früh mit der Frage der “richtigen” Entscheidung, und die Religionen, die auf Glauben (und nicht auf kultischer Praxis) beruhen, maßen der Entscheidung zentrale Bedeutung bei.
Das erklärt, warum sowohl in der heidnischen Antike wie auch in der christlichen Überlieferung die Bereitschaft zur Entscheidung als hervorragende Charaktereigenschaft betrachtet wurde. Platons Erziehung zur aret bedeutete auch, daß die “Vorzüglichkeit” gemessen wurde an der “Entschlossenheit” des Mannes; die Anziehungskraft der Kirche war auch Folge des Ruhms der “Zeugen”, der Märtyrer, die an ihrer Glaubensentscheidung trotz Folter und Tod festhielten.
Daß Unentschlossenheit als Feigheit zu betrachten sei und insofern als verächtlich, war jedenfalls nie strittig. Erst die ideologischen Veränderungen, die in Europa seit dem Ende des 18. Jahrhunderts einsetzten, führten dahin, daß der Wert der Entscheidung als solcher in Frage gestellt wurde. Es wirkte sich die rationalistische Vorstellung aus, daß die saubere Analyse der Ursache-Wirkung-Zusammenhänge und die Bestimmung des Nutzens Entscheidung im strengen Sinne unnötig machten. Weiter spielte der Zweifel an der Erkennbarkeit der Wahrheit eine Rolle und die damit verknüpfte Hochschätzung von Debatte und Konsensbildung.
Parallel zur weltanschaulichen Veränderung vollzog sich der Aufstieg des Bürgertums, einer “diskutierenden Klasse”, die nach der berühmten Formulierung von Donoso Cortès sogar die Frage “Christus oder Barrabas?” mit einem Kompromiß oder dem Antrag auf Vertagung zu lösen versucht hätte. Aber es entstanden auch philosophische und theologische Bewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts, die dem “Entweder-Oder” (Sören Kierkegaard) den gebührenden Platz zurückzugeben suchten. Dabei betrachtete man die Entscheidungsflucht allerdings vornehmlich als existentielles, das Wesen des Menschen deformierendes Fehlverhalten.
Von solchen sind andere Erwägungen zu trennen, die sich auf die praktische Dekadenz infolge von Entscheidungsschwäche konzentrierten. Das Problem wurde früh in Kreisen des Militärs erkannt, das einen Führernachwuchs auszubilden hatte, der nicht wie der alte Adel (Aristokratie) Entscheidungsfreude als Tugend betrachtete und bei zunehmender Intellektualisierung einer handlungshemmenden Skepsis zuneigte. Die zweite Gruppe bildeten jene Juristen, die den Positivismus ablehnten, weil sie deutlicher sahen, daß Recht — insbesondere Rechtsprechung — ganz wesentlich auf Entscheidungen beruht.
Die im einen wie im anderen Fall einflußreiche Überlegung, daß eine Entscheidung besser ist als keine Entscheidung, daß sogar eine falsche Entscheidung besser ist als keine Entscheidung, hängt vor allem damit zusammen, daß in der Kriegführung (Krieg) wie im Recht von Situationen auszugehen ist, die als “Ernstfall” ein Ausweichen nicht erlauben. Clausewitz hat ausdrücklich darauf hingewiesen, daß sich im Krieg — dem “Gebiet des Zufalls” — die Folgen einer Entscheidung niemals vollständig überblicken ließen, was den Feldherrn aber nicht zum Abwarten verleiten dürfe, ebensowenig wie zu Kühnheit, die aus mangelnder Einsicht in die Gefahren resultiere; die echte militärische Entscheidung beruhe immer auf einem “Akt des Verstandes, der die Notwendigkeit des Wagens zum Bewußtsein bringt und durch sie den Willen bestimmt”.
Es hat sich auf diesem Hintergrund eine Anschauung ausgebildet, die man als “Dezisionismus” bezeichnet und die versucht, die praktischen mit grundsätzlichen Erwägungen so zu verknüpfen, daß sich eine Hochschätzung der Entscheidung wie des Entscheidungsbereiten ergibt. Diese Auffassung ist wegen ihrer Bereitschaft, “dem Instinkt seinen Part einzuräumen” (Charles de Gaulle), zu trennen von allen “Entscheidungstheorien” oder “Entscheidungslehren”, die behaupten, es ließen sich — etwa für das Wirtschaftsleben — “Entscheidungsmatrizen” bilden, die eine individuelle Entscheidung im Grunde überflüssig machen.
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Zitate:
Ach, daß du kalt oder heiß wärest. Weil du aber lau bist und weder heiß noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde.Der Seher Johannes
Jede Entscheidung bildet eine relativ autonome Sphäre, die gegebenenfalls von den Gründen abweicht, die sie bedingt haben.Julien Freund
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Literatur:
- Carl von Clausewitz: Vom Kriege [1832–34], zuletzt Erftstadt 2004.
- Charles de Gaulle: Die Schneide des Schwertes [1961], zuletzt Schnellroda 2004.
- Gerd-Klaus Kaltenbrunner (Hrsg.): Schluß der Debatte, Herderbücherei Initiative, Bd 54, Freiburg i.Br. 1983.
- Panajotis Kondylis: Macht und Entscheidung [1984], in: ders.: Machtfragen. Ausgewählte Beiträge zu Politik und Gesellschaft, Darmstadt 2006, S. 21–128.
- Oswald Spengler: Jahre der Entscheidung [1933], zuletzt Graz 2007.
- Carl Schmitt: Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924 bis 1954 [1958], zuletzt Berlin 2004.
- Stefan Zweig: Sternstunden der Menschheit [1927], zuletzt Frankfurt a.M. 2004.