Die „Hussitenkriege“ tobten von 1419 bis 1436 im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, vor allem im Königreich Böhmen und den angrenzenden Herzogtümern. Unter dem Terminus Hussiten wurden jene reformatorischen Strömungen subsumiert, die sich auf eine gemäßigte oder revolutionäre Art und Weise auf den 1415 in Konstanz verbrannten Theologen Jan Hus beriefen.
Die Bedeutung von Hus war zuallererst eine religiöse: Er negierte den Universalanspruch des Papstes und mahnte zur wesentlichen Konzentration auf die Schriften der Bibel. Neben der religiösen Komponente seines Wirkens muß jedoch auch eine nationale und eine soziale Ebene Berücksichtigung finden. Zwar gab es auch deutschsprachige (und später polnischsprachige) Anhänger Jan Hus’, doch im wesentlichen formierten sich die Hussiten als tschechische Bewegung (was später tschechischen Nationalisten Anknüpfungspunkte bot); darüber hinaus vertraten sie egalitäre Ideen (was später in die kommunistische Geschichtsdeutung aufgenommen wurde).
Als Hus freies Geleit von Süddeutschland nach Böhmen versprochen, er jedoch inhaftiert und mitsamt seinen Schriften den Flammen übergeben wurde, regte sich in der tschechischen Bevölkerung Böhmens Unmut, und zwar gleichermaßen im Adel (außer Hochadel) wie im „einfachen“ Volk. Es kann davon ausgegangen werden, daß die Hinrichtung Hus’ eine dynamische Wirkung auf die tschechische Nationalbewegung auslöste, da durch die Verhaltensweise der Kirche und den fehlenden Schutz durch Institutionen des Reiches das Ungleichheitsempfinden der Böhmen verstärkt wurde; die ohnehin bestehenden religiösen und sozialen Widersprüche zwischen dem Heiligen Römischen Reich und einem seiner Teilgebiete, dem Königreich Böhmen, wurden in gewisser Weise nationalisiert und dadurch radikalisiert.
Als sich der böhmische König Wenzel reichstreu verhielt und Anhänger von Hus, das heißt die später als Hussiten bezeichneten Tschechen, von Ämtern und Einflußmöglichkeiten ausschloß sowie führende Köpfe verhaften ließ, führte dies 1419 zum berühmten (ersten) Fenstersturz von Prag; hinausbefördert wurden allerdings nicht der König und seine Entourage, sondern — u.a. — der Bürgermeister und die Ratsherren. Der unter Schock stehende König verstarb wenige Wochen später, doch auch sein Nachfolger in spe, Sigismund, galt als Gegner der Hussiten, war er es doch, der Jan Hus in den Augen von dessen Anhängern im Stich gelassen hatte, als es um den Schutz ihres Vordenkers in Konstanz gegangen war. Ausschreitungen waren die Folge, auf die Papst Martin V. mit einer Strafexpedition gegen die böhmischen Lande reagierte. Die ersten drei Kreuzzüge (1420–1423) — als genau solche wurden sie deklariert — scheiterten am fanatischen Widerstand der zahlenmäßig unterlegenen Hussiten. Nach 1425 gelangen den Hussiten gar Vorstöße ins Schlesische und Niederösterreichische.
Von zentraler Bedeutung für den gesamten Krieg (und die deutsch-tschechischen Nationalentwicklungen) wurde die hussitische Belagerung Aussigs (Usti nad Labem, heute im sächsisch-tschechischen Grenzgebiet gelegen). Die in jener Zeit fast ausschließlich deutsch und katholisch besiedelte Stadt leistete heftigen Widerstand in der Hoffnung auf baldige Verstärkung. Bis zu 25000 vor allem sächsische und thüringische Soldaten stießen aus unterschiedlichen Richtungen auf die nordböhmische Elbe-Stadt vor — am 16. Juni 1426 begann die eigentliche Schlacht von Aussig. Aufgrund taktischer Fehler und der heftigen Gegenwehr der Hussiten verloren die Reichstruppen Tausende Soldaten auf dem Feld, darunter zahlreiche höhere Ränge. Ein primärer Grund war ein geschickter Überraschungsangriff der Tschechen auf das sich formierende deutsche Reiterheer, das überwiegend niedergemetzelt wurde. Unterschiedliche Quellen gehen von bis zu 10000, 12000 oder gar 15000 toten deutschen Soldaten aus — für die damalige Zeit so oder so eine horrende Zahl -, während die tschechischen Böhmen zwischen 1500 und 3000 Mann verloren haben sollen. Aussig, eine wichtige Stadt der damaligen Mark Meißen, lag nun schutzlos im Elbtal; sie wurde in den Folgetagen des 17. Juni erobert, geplündert und in Brand gesteckt.
Die verbliebenen Deutschen wurden diskriminiert und vertrieben, Tschechisch wurde zur Amtssprache ernannt und tschechischsprachige Böhmen angesiedelt. Man kann daher von einer ersten gewaltsamen „Tschechisierung“ Aussigs im Jahre 1426 (die zweite folgte 1945/46) sprechen.
Für das Heilige Römische Reich Deutscher Nation waren die Hussitenkriege und besonders die Eroberung Aussigs eine Zäsur. Der Triumph ermöglichte den Hussiten zunächst die Stabilisierung ihrer Herrschaftsgebiete. Nun wurde vermehrt von böhmischem und mährischem Gebiet in katholische Hochburgen vorgestoßen. Erst zehn Jahre später, zahlreiche Abnutzungsschlachten und Verhandlungen inbegriffen, gelang es dem Heiligen Römischen Reich vor allem durch die Nutzbarmachung der Spaltung der tschechischen Hussiten in gemäßigte (Calixtiner/Utraquisten) und radikale (Taboriten) Kräfte, Böhmen zu unterwerfen. Sigismund wurde König von Böhmen, das bis 1806 Teil des Reiches blieb und auch danach noch im deutsch-österreichischen Einflußgebiet lag.
Die nationale Kluft jedoch zwischen römisch-katholischem deutschen Reich und den überwiegend reformierten tschechischen Volksmassen wurde historisch verbrieft und betoniert. Die Schlacht von Aussig war daher nicht nur für die deutsche Geschichte ein Einschnitt, sondern zählt zu den bedeutenden Spezifika der böhmisch-tschechischen Geschichte.
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Literatur:
- Hubert Ermisch: Zur Geschichte der Schlacht bei Aussig, in: Neues Archiv für Sächsische Geschichte und Altertumskunde 47 (1926), S. 5–45
- Lothar Höbelt: Böhmen. Eine Geschichte, Wien/Leipzig 2012
- Frantisek Smahel: Die Hussitische Revolution, 3 Bde., Hannover 2002