1426 — Die Hussiten erobern Aussig

Die „Hus­sitenkriege“ tobten von 1419 bis 1436 im Heili­gen Römis­chen Reich Deutsch­er Nation, vor allem im Kön­i­gre­ich Böh­men und den angren­zen­den Her­zogtümern. Unter dem Ter­mi­nus Hus­siten wur­den jene refor­ma­torischen Strö­mungen sub­sum­iert, die sich auf eine gemäßigte oder rev­o­lu­tionäre Art und Weise auf den 1415 in Kon­stanz ver­bran­nten The­olo­gen Jan Hus beriefen.

Die Bedeu­tung von Hus war zuallererst eine religiöse: Er negierte den Uni­ver­salanspruch des Pap­stes und mah­nte zur wesentlichen Konzen­tra­tion auf die Schriften der Bibel. Neben der religiösen Kom­po­nente seines Wirkens muß jedoch auch eine nationale und eine soziale Ebene Berück­sich­ti­gung find­en. Zwar gab es auch deutschsprachige (und später pol­nis­chsprachige) Anhänger Jan Hus’, doch im wesentlichen formierten sich die Hus­siten als tschechis­che Bewe­gung (was später tschechis­chen Nation­al­is­ten Anknüp­fungspunk­te bot); darüber hin­aus ver­trat­en sie egal­itäre Ideen (was später in die kom­mu­nis­tis­che Geschichts­deu­tung aufgenom­men wurde).

Als Hus freies Geleit von Süd­deutsch­land nach Böh­men ver­sprochen, er jedoch inhaftiert und mit­samt seinen Schriften den Flam­men übergeben wurde, regte sich in der tschechis­chen Bevölkerung Böh­mens Unmut, und zwar gle­icher­maßen im Adel (außer Hochadel) wie im „ein­fachen“ Volk. Es kann davon aus­ge­gan­gen wer­den, daß die Hin­rich­tung Hus’ eine dynamis­che Wirkung auf die tschechis­che Nation­al­be­we­gung aus­löste, da durch die Ver­hal­tensweise der Kirche und den fehlen­den Schutz durch Insti­tu­tio­nen des Reich­es das Ungle­ich­heit­sempfind­en der Böh­men ver­stärkt wurde; die ohne­hin beste­hen­den religiösen und sozialen Wider­sprüche zwis­chen dem Heili­gen Römis­chen Reich und einem sein­er Teil­ge­bi­ete, dem Kön­i­gre­ich Böh­men, wur­den in gewiss­er Weise nation­al­isiert und dadurch radikalisiert.

Als sich der böh­mis­che König Wen­zel reich­streu ver­hielt und Anhänger von Hus, das heißt die später als Hus­siten beze­ich­neten Tschechen, von Ämtern und Ein­flußmöglichkeit­en auss­chloß sowie führende Köpfe ver­haften ließ, führte dies 1419 zum berühmten (ersten) Fen­ster­sturz von Prag; hin­aus­be­fördert wur­den allerd­ings nicht der König und seine Entourage, son­dern — u.a. — der Bürg­er­meis­ter und die Rat­sher­ren. Der unter Schock ste­hende König ver­starb wenige Wochen später, doch auch sein Nach­fol­ger in spe, Sigis­mund, galt als Geg­n­er der Hus­siten, war er es doch, der Jan Hus in den Augen von dessen Anhängern im Stich gelassen hat­te, als es um den Schutz ihres Vor­denkers in Kon­stanz gegan­gen war. Auss­chre­itun­gen waren die Folge, auf die Papst Mar­tin V. mit ein­er Straf­ex­pe­di­tion gegen die böh­mis­chen Lande reagierte. Die ersten drei Kreuz­züge (1420–1423) — als genau solche wur­den sie deklar­i­ert — scheit­erten am fanatis­chen Wider­stand der zahlen­mäßig unter­lege­nen Hus­siten. Nach 1425 gelan­gen den Hus­siten gar Vorstöße ins Schle­sis­che und Niederöster­re­ichis­che.

Von zen­traler Bedeu­tung für den gesamten Krieg (und die deutsch-tschechis­chen Nationa­len­twick­lun­gen) wurde die hus­si­tis­che Belagerung Aus­sigs (Usti nad Labem, heute im säch­sisch-tschechis­chen Gren­zge­bi­et gele­gen). Die in jen­er Zeit fast auss­chließlich deutsch und katholisch besiedelte Stadt leis­tete hefti­gen Wider­stand in der Hoff­nung auf baldige Ver­stärkung. Bis zu 25000 vor allem säch­sis­che und thüringis­che Sol­dat­en stießen aus unter­schiedlichen Rich­tun­gen auf die nord­böh­mis­che Elbe-Stadt vor — am 16. Juni 1426 begann die eigentliche Schlacht von Aus­sig. Auf­grund tak­tis­ch­er Fehler und der hefti­gen Gegen­wehr der Hus­siten ver­loren die Reich­strup­pen Tausende Sol­dat­en auf dem Feld, darunter zahlre­iche höhere Ränge. Ein primär­er Grund war ein geschick­ter Über­raschungsan­griff der Tschechen auf das sich formierende deutsche Reit­er­heer, das über­wiegend niedergemet­zelt wurde. Unter­schiedliche Quellen gehen von bis zu 10000, 12000 oder gar 15000 toten deutschen Sol­dat­en aus — für die dama­lige Zeit so oder so eine hor­rende Zahl -, während die tschechis­chen Böh­men zwis­chen 1500 und 3000 Mann ver­loren haben sollen. Aus­sig, eine wichtige Stadt der dama­li­gen Mark Meißen, lag nun schut­z­los im Elb­tal; sie wurde in den Fol­ge­ta­gen des 17. Juni erobert, geplün­dert und in Brand gesteckt.

Die verbliebe­nen Deutschen wur­den diskri­m­iniert und ver­trieben, Tschechisch wurde zur Amtssprache ernan­nt und tschechis­chsprachige Böh­men ange­siedelt. Man kann daher von ein­er ersten gewalt­samen „Tschechisierung“ Aus­sigs im Jahre 1426 (die zweite fol­gte 1945/46) sprechen.

Für das Heilige Römis­che Reich Deutsch­er Nation waren die Hus­sitenkriege und beson­ders die Eroberung Aus­sigs eine Zäsur. Der Tri­umph ermöglichte den Hus­siten zunächst die Sta­bil­isierung ihrer Herrschafts­ge­bi­ete. Nun wurde ver­mehrt von böh­mis­chem und mährischem Gebi­et in katholis­che Hochbur­gen vorgestoßen. Erst zehn Jahre später, zahlre­iche Abnutzungss­chlacht­en und Ver­hand­lun­gen inbe­grif­f­en, gelang es dem Heili­gen Römis­chen Reich vor allem durch die Nutzbar­ma­chung der Spal­tung der tschechis­chen Hus­siten in gemäßigte (Calixtiner/Utraquisten) und radikale (Taboriten) Kräfte, Böh­men zu unter­w­er­fen. Sigis­mund wurde König von Böh­men, das bis 1806 Teil des Reich­es blieb und auch danach noch im deutsch-öster­re­ichis­chen Ein­flußge­bi­et lag.

Die nationale Kluft jedoch zwis­chen römisch-katholis­chem deutschen Reich und den über­wiegend reformierten tschechis­chen Volks­massen wurde his­torisch ver­brieft und betoniert. Die Schlacht von Aus­sig war daher nicht nur für die deutsche Geschichte ein Ein­schnitt, son­dern zählt zu den bedeu­ten­den Spez­i­fi­ka der böh­misch-tschechis­chen Geschichte.

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Lit­er­atur:

  • Hubert Ermisch: Zur Geschichte der Schlacht bei Aus­sig, in: Neues Archiv für Säch­sis­che Geschichte und Alter­tum­skunde 47 (1926), S. 5–45
  • Lothar Höbelt: Böh­men. Eine Geschichte, Wien/Leipzig 2012
  • Fran­tisek Sma­hel: Die Hus­si­tis­che Rev­o­lu­tion, 3 Bde., Han­nover 2002