1683 — Niederlage der Türken vor Wien

Am 19. Juni 2014 hielt der türkische Staat­spräsi­dent Recep Tayyip Erdo­gan in der Wiener Albert-Schultz-Halle eine Rede, in deren Ver­lauf er sein Pub­likum, etwa 13000 in ein rotes Fah­nen­meer getauchte Türken, als „die Enkel des mächti­gen Sul­tans Süley­man“ und „Nacher­ben der Helden wie Mehmed IV. und Kara Mustafa Pascha“ tit­ulierte, was von den Adres­sat­en mit enthu­si­astis­chem Jubel quit­tiert wurde.

„Graue Wölfe“ feierten die „Dritte Türken­be­lagerung“, Fah­nen der Mus­lim­brud­er­schaft wur­den geschwenkt, und manche tru­gen T‑Shirts, auf denen die Jahreszahl der Eroberung von Kon­stan­tinopel, 1453, zu lesen stand oder Erdoan als „Sul­tan der Welt“ gefeiert wurde. Auch wenn nicht bekan­nt ist, wie viele Besuch­er dieser offen nation­al­is­tis­chen Ver­anstal­tung öster­re­ichis­che Paßbe­sitzer waren, so gab sie doch beun­ruhi­gende Auskun­ft über den Stand der soge­nan­nten „Inte­gra­tion“ gewiss­er Ein­wan­der­erschicht­en.

Daß Erdo­gan nach dieser „Helden“-Beschwörung die Chuzpe hat­te, hinzuzufü­gen, nie­mand solle sich mehr vor den Türken „fürcht­en“, seien sie doch „heute nach Wien gekom­men, um die Herzen zu erobern“, gab sein­er Rede eine zusät­zliche farcenhafte Note. Beze­ich­nend ist auch, daß dieser Affront gegenüber der Repub­lik Öster­re­ich und der Stadt Wien nur spär­lichen und eher lah­men Ein­spruch seit­ens der ver­ant­wortlichen öster­re­ichis­chen Poli­tik­er nach sich zog. Die Türkenkriege und Belagerun­gen Wiens der Jahre 1529 und 1683 zählen immer­hin zu den prä­gend­sten und trau­ma­tis­chsten Ein­schnit­ten in der Geschichte des Lan­des; noch heute erin­nern in vie­len niederöster­re­ichis­chen Dör­fern Gedenk­tafeln an die ver­heeren­den Mas­sak­er der osman­is­chen Trup­pen, die Städte, Dör­fer und Äck­er nieder­bran­nten, die Män­ner töteten und die Frauen und Kinder in die Sklaverei führten.

Dabei war in der Entschei­dungss­chlacht vom 12. Sep­tem­ber 1683 nicht nur die belagerte Stadt in let­zter Minute gerettet wor­den. Der „gold­ene Apfel“ Wien war ein strate­gis­ch­er Schlüs­selpunkt zum Herzen Europas; hin­ter ihm lag ein poli­tisch zer­split­tertes und vom Dreißigjähri­gen Krieg geschwächt­es Reich, das zur leicht­en Beute der Osma­n­en gewor­den wäre, und als näch­stes hätte wohl auch der „aller­christlich­ste“ Son­nenkönig Lud­wig XIV. seine kurzsichtige Unter­stützung der Türken gegen die Hab­s­burg­er teuer bezahlt. Zu diesem Zeit­punkt dauerte die türkische Herrschaft über Mit­telun­garn bere­its einein­halb Jahrhun­derte an, während der hab­s­bur­gis­che Teil Ungar­ns eines der let­zten Boll­w­erke gegen die osman­is­che Expan­sion war.

Das osman­is­che Heer unter der Führung des Großwe­sirs Kara Mustafa Pascha brach im April 1683 mit etwa 180000 Mann in Kon­stan­tinopel auf und stand am 13. Juli vor Wien. Schon drei Tage später war die Stadt eingeschlossen. Deren nur 15000 Mann starke Besatzung unter dem Kom­man­do von Ernst Rüdi­ger Fürst von Starhem­berg war zwei Monate später auf knapp 4000 wehrfähige Män­ner geschrumpft. Als schw­er­wiegen­der Fehler Kara Mustafas gilt, daß er nicht aus­re­ichend schwere Artillerie mit­ge­führt hat­te, da er die von dick­en Mauern umgürtete Stadt möglichst unversehrt in die Hand bekom­men wollte; statt dessen set­zte er vor allem auf den Aus­bau von Gräben und Tun­neln mit Spreng­mi­nen.

Die Ret­tung kam schließlich durch ein 70000 Mann starkes Entsatzheer mit öster­re­ichis­chen, bayrischen, säch­sis­chen, bran­den­bur­gis­chen, pol­nisch-litauis­chen, päp­stlichen und vene­tian­is­chen Trup­pen unter dem Ober­be­fehl des pol­nis­chen Königs Jan Sobies­ki und der strate­gis­chen Führung des Her­zogs Karl V. von Lothrin­gen. Kara Mustafa hat­te unbe­grei­flicher­weise ver­säumt, strate­gisch wichtige Punk­te an der Donau und im Wiener­wald zu beset­zen oder auch nur unter Beobach­tung zu stellen. Der Großan­griff des Entsatzheeres begann am Mor­gen des 12. Sep­tem­ber 1683 vom Kahlen­berg aus und wurde schließlich vor allem von den pol­nis­chen Panz­er­re­it­ern entsch­ieden. Die Türken wur­den in die Flucht geschla­gen und erlit­ten schwere Ver­luste. Kara Mustafa büßte sein Ver­sagen mit dem Leben: am 25. Dezem­ber des Jahres ließ ihn Sul­tan Mehmed IV. erdrosseln.

Nun begann die Offen­sive der kaiser­lichen Armee, die 1699 in der Rücker­oberung Ungar­ns gipfelte. In der Folge erweit­erten die Hab­s­burg­er beträchtlich ihr Herrschafts­ge­bi­et und stiegen zur Groß­macht auf. In Zeit­en, in denen der Vorstoß des Islams nach Mit­tel- und Wes­teu­ropa durch Massenein­wan­derung erneut zur poli­tis­chen Über­lebens­frage gewor­den ist, erhält die für Öster­re­ich so bedeut­same und kon­sti­tu­tive Erin­nerung an 1683 neue Brisanz und Sym­bol­kraft. Wie das ein­gangs geschilderte Beispiel zeigt, gilt das jedoch vor allem für jene, die das län­gere his­torische Gedächt­nis und ein unge­broch­eneres nationales Iden­titäts­ge­fühl bewahrt haben. Aus dieser Sicht erscheint heute nicht nur Wien wie eine Fes­tung, die nach Jahrhun­derten morsch und wehr­los gegenüber raum­greifend­en Inva­soren gewor­den ist.

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Lit­er­atur:

  • Thomas M. Bark­er: Dop­peladler und Halb­mond. Entschei­dungs­jahr 1683, Wien 1983
  • Johannes Sach­slehn­er: Wien anno 1683, Wien 2004
  • John Stoye: Die Türken vor Wien. Schick­sal­s­jahr 1683, Graz 2010
  • Stephan Vaj­da: Felix Aus­tria. Eine Geschichte Öster­re­ichs, Wien 1980