„Friedrich, ohne Beistand und fast ohne Hoffnung, sah jetzt standhaft seinem Untergang entgegen […]. In diesen hoffnungslosen Augenblicken kam dem dahinsinkenden Helden der Tod zu Hilfe.“ So schildert es Johann Wilhelm von Archenholtz, Offizier Friedrichs des Großen, in seiner Geschichte des Siebenjährigen Krieges. Tatsächlich war die militärische Situation Preußen zur Jahreswende 1761/62 desolat.
Den ganzen Sommer und Herbst 1761 hatte sich Friedrich mit nur 50000 Soldaten gegen 135000 Mann seiner russisch-österreichischen Gegner im Lager von Bunzelwitz nahe der vom Feind besetzten schlesischen Festung Schweidnitz verschanzt. Zu aktiven Kampfhandlungen war er kaum noch fähig. Im Dezember stellte dann auch noch die bis dato verbündete britische Regierung ihre Unterstützungszahlungen für Preußen ein.
Da starb am 5. Januar 1762 Zarin Elisabeth von Rußland, eine erbitterte Feindin Preußens. Ihr Nachfolger, Peter III., hingegen galt als enthusiastischer Bewunderer alles Preußischen und besonders des Königs. Als Friedrich vom Ableben der Zarin erfuhr, schrieb er an seinen Minister Karl Wilhelm von Finckenstein am 19. Januar: „Dies ist der erste Lichtstrahl, der sich zeigt.“ Viele bezeichnen diese neue Situation auch als „Mirakel des Hauses Brandenburg“.
Dieser Begriff stammt aus einem Brief des Königs an seinen Bruder Heinrich vom 1. September 1759. Darin heißt es: „Ich verkündige Ihnen das Mirakel des Hauses Brandenburg. In der Zeit, da der Feind die Oder überschritten hatte und eine zweite Schlacht hätte wagen und den Krieg beendigen können, ist er nur von Müllrose nach Lieberose marschiert.“ Drei Wochen zuvor waren die Preußen von den alliierten Truppen Rußlands und Österreichs in der Schlacht bei Kunersdorf schwer geschlagen worden. Danach operierten die Alliierten dermaßen vorsichtig und zögernd (der befürchtete Vorstoß in das unverteidigte Berlin blieb aus), daß es den Zeitgenossen wie eine wundersame Errettung schien, eben ein Mirakel.
Anfang 1762 ließ das Mirakel noch auf sich warten. Friedrich teilte seinem Berliner Freund Jean-Baptiste d’Argens am 16. Februar mit: „Sie wollen von Ereignissen wissen, die sich noch gar nicht entwickelt haben. Allem Anschein nach wird dieses Ereignis einen Separatfrieden zwischen Rußland und Preußen herbeiführen.“ Diese Zurückhaltung besaß gute Gründe, denn der neue Zar konnte nicht so uneingeschränkt schalten und walten, wie er es gern getan hätte. Zunächst ordnete Peter an, daß seine Truppen sich aus den eroberten preußischen Territorien in Ostpreußen und Pommern zurückzogen. Gewisse Kreise in Sankt Petersburg, heute würde man sie als Nationalisten bezeichnen, verübelten ihm das. Aber warum sollte Rußland an unsicheren Gebieten festhalten, die 200 Kilometer von seinen Grenzen entfernt lagen, argumentierte Peter.
Die Friedensverhandlungen erfolgten keineswegs überstürzt. Am 3. März 1762 erschien Peters Generaladjutant Andrej Gudowitsch im preußischen Hauptquartier zu Breslau, um Friedrich der Achtung des Zaren zu versichern. Der König schickte daraufhin Oberst Bernhard von der Goltz als Sondergesandten nach Rußland. Dieser führte seit dem 18. März die Gespräche und überreichte am 2. April dem beglückten Peter die Insignien des preußischen Ordens vom Schwarzen Adler. Erst fünf Wochen später, am 5. Mai, erfolgte die Unterzeichnung des endgültigen Friedensvertrages.
Damit zogen sich die russischen Verbände vom Kriegsschauplatz zurück, und Friedrich der Große bekam die nötige Bewegungsfreiheit für eine Offensive. Nachdem Peter III. am 19. Juni auch noch ein Militärbündnis mit Preußen schloß, war das Maß voll. Ein Putsch der Petersburger Garderegimenter unter Führung seiner Gemahlin Katharina (der späteren Großen) stürzte Peter am 9. Juli; wenige Tage später wurde er ermordet. Die neue Zarin löste das Bündnis mit Preußen, beließ es aber klugerweise beim Frieden und blieb neutral.
Nachdem die Russen als Gegner ausgefallen waren, gelang es Friedrich, die Österreicher aus Schlesien und Sachsen zu verdrängen. In der Schlacht bei Burkersdorf siegte er am 21. Juli 1762, was die Moral seiner Truppen entscheidend hob und zur Wiedereroberung der wichtigen Festung Schweidnitz führte. Ein weiterer Sieg bei Freiberg im Oktober führte schließlich zum Ende des Siebenjährigen Krieges. Preußen konnte seine Eroberung Schlesien behalten — nicht zuletzt aufgrund des Mirakels vom Januar 1762.
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Literatur:
- Christopher Duffy: Friedrich der Große. Ein Soldatenleben, Augsburg 1995
- Jan von Flocken: Katharina II. Zarin von Rußland, Berlin 1991
- Wolfgang Venohr: Fridericus Rex. Friedrich der Große — Porträt einer Doppelnatur, Bergisch Gladbach 1985