Georg Forster gehörte zu den weitgereisten Deutschen. Es gab Ende des 18. Jahrhunderts nicht viele, die von sich sagen konnten, schon einmal die Welt umrundet zu haben. Forster hatte das getan, als sein Vater ihn mit auf die zweite Weltumsegelung (1772–1775) des Briten James Cook genommen hatte. Was er dabei an Zeichnungen anfertigte, auch seine Berichte über Leben und Sprachen der Südseeinsulaner, brachte ihm frühen Ruhm und mit Anfang zwanzig bereits die Mitgliedschaft in wissenschaftlichen Akademien ganz Europas ein.
Seine Südseereisen hinterließen bei ihm zudem politische Spuren. Wahrscheinlich war er schon vorher an den damals in Europa so scharf diskutierten Fragen interessiert. Ob es „Naturzustände“ menschlicher Gesellschaft gegeben habe oder geben könnte, ob Fortschritt sinnvoll sei oder nur zu willkürlichen Sitten und ungerechten Herrschaftsverteilungen führe, darüber echauffierte sich der Geist der Zeit des 18. Jahrhunderts. Man sprach selbstlobend vom „Zeitalter der Vernunft“.
Unter diesem Aspekt verblüfften Forster dann die in der Südsee zu beobachtenden Unterschiede zwischen den Inselgruppen. Auch dort, wo offensichtlich der gleiche ethnische Menschenschlag nicht allzu weit voneinander hauste, herrschten Differenzen gröbster Art. Lebten z.B. die einen eher egalitär und pflegten eine Art gemeinschaftlicher Entscheidungsfindung, arrangierten sich die Nachbarn mit einem autoritären Regime, das seine Bewohner praktisch rechtlos ließ.
Es unterschied Forster von anderen Europäern, daß er das auch so sah und beschrieb. Er saß nicht dem damals schon vorhandenen, parallel zur beginnenden Verachtung des europäischen Eigenen entwickelten Klischee vom „edlen Wilden“ auf. Wohl aber neigte er unter dem Eindruck dieser Erfahrungen dazu, auch die europäischen Verhältnisse nicht als gottgegeben anzusehen, und glaubte an den Wert und die Folgen philosophischer Aufklärung, die schließlich zu besseren gesellschaftlichen Verhältnissen führen müßte.
Diese Haltung brachte ihn, nach einer weiteren Reise durch Westeuropa, im Jahr 1790 auch durch das damals frisch revolutionierte Frankreich in die Nähe revolutionären Denkens. Soziologisch gesehen, galt für den in Mainz auf einem außergewöhnlich gut dotierten Posten sitzenden und bis dahin von den Göttern verwöhnten Forster ähnliches wie für die Pariser Revolutionäre: Es war nicht das Volk, das hier plötzlich „alles“ zu werden wünschte. Es war die selbstbewußte und vermögende Bourgeoisie, die niemanden mehr über sich anerkennen wollte.
1792 kam die Bewährungsprobe. Französische Truppen rückten in Mainz ein. Im revolutionären Schwung kollaborierte Forster mit den Besatzungstruppen und beteiligte sich an der Gründung einer Mainzer Republik. Dabei mag auch noch ein später weitgehend vergessenes Element der Französischen Revolution eine Rolle gespielt haben. In ihrer Frühphase gehörte zur Verachtung des französischen Königtums auch die Verachtung von dessen ewiger Kriegspolitik gegen Deutschland. Robespierre hatte die über fast zweihundert Jahre permanent andauernden französischen Eroberungs‑, Verwüstungs- und Teilungsversuche scharf verurteilt.
Im Dezember 1792 war Forster zum Vorsitzenden der Gesellschaft für Freiheit und Gleichheit gewählt worden und hielt am Neujahrstag 1793 die erste Parlamentsrede, die unter den Nachwirkungen der Ereignisse in Frankreich auf deutschem Boden gehalten wurde. In der Ansprache vor dem Mainzer Parlament griff Forster Robespierres Gedanken auf und spitzte sie zu einer Beitrittsforderung zu: „Die freien Deutschen und die freien Franken sind hinfüro ein unzertrennlich Volk!“
So hatte man es in Paris nun auch wieder nicht gemeint. Forster mußte eigens dorthin reisen, um die Nationalversammlung von der Nützlichkeit eines Beitritts der Mainzer Republik zur Französischen Republik zu überzeugen. Bis es soweit war, hatten sich die französischen Truppen aber bereits aus der Stadt gezogen und der deutsche Kaiser über Kollaborateure wie Forster die Reichsacht verhängt.
Damit war der erste deutsche Parlamentsredner politisch und materiell gescheitert. Es sollte nur bis Jahresanfang 1794 dauern, daß er krankheitshalber in Paris verstarb, ohne das Finale des Revolutionsterrors noch erlebt zu haben. In gewisser Weise nahm Forster die Tragik eines Teils der deutschen Demokratie- und Freiheitsbewegung vorweg. Optimistische Realitätsblindheit, politische Fehleinschätzungen und der bedingungslose Glaube an die historische Sendung des Westens bis hin zum bedenkenlosen Landesverrat trübten dessen Rolle in der deutschen Geschichte. Dies trug auch nicht zum innerdeutschen Respekt vor parlamentarischen Errungenschaften bei. Dieser hätte sich auf eine andere Basis stützen müssen und können.
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Literatur:
- Georg Forster: Werke, Bd. 10: Revolutionsschriften 1792/93, hrsg. v. Klaus-Georg Popp, Berlin 1990
- Jürgen Goldstein: Georg Forster. Zwischen Freiheit und Naturgewalt, Berlin 2015