1793 — Georg Forster hält die erste deutsche Parlamentsrede

Georg Forster gehörte zu den weit­gereis­ten Deutschen. Es gab Ende des 18. Jahrhun­derts nicht viele, die von sich sagen kon­nten, schon ein­mal die Welt umrun­det zu haben. Forster hat­te das getan, als sein Vater ihn mit auf die zweite Wel­tum­segelung (1772–1775) des Briten James Cook genom­men hat­te. Was er dabei an Zeich­nun­gen anfer­tigte, auch seine Berichte über Leben und Sprachen der Süd­seein­su­lan­er, brachte ihm frühen Ruhm und mit Anfang zwanzig bere­its die Mit­glied­schaft in wis­senschaftlichen Akademien ganz Europas ein.

Seine Süd­seereisen hin­ter­ließen bei ihm zudem poli­tis­che Spuren. Wahrschein­lich war er schon vorher an den damals in Europa so scharf disku­tierten Fra­gen inter­essiert. Ob es „Naturzustände“ men­schlich­er Gesellschaft gegeben habe oder geben kön­nte, ob Fortschritt sin­nvoll sei oder nur zu willkür­lichen Sit­ten und ungerecht­en Herrschaftsverteilun­gen führe, darüber echauffierte sich der Geist der Zeit des 18. Jahrhun­derts. Man sprach selb­st­lobend vom „Zeital­ter der Ver­nun­ft“.

Unter diesem Aspekt verblüfften Forster dann die in der Süd­see zu beobach­t­en­den Unter­schiede zwis­chen den Insel­grup­pen. Auch dort, wo offen­sichtlich der gle­iche eth­nis­che Men­schen­schlag nicht allzu weit voneinan­der hauste, herrscht­en Dif­feren­zen gröb­ster Art. Lebten z.B. die einen eher egal­itär und pflegten eine Art gemein­schaftlich­er Entschei­dungs­find­ung, arrang­ierten sich die Nach­barn mit einem autoritären Regime, das seine Bewohn­er prak­tisch recht­los ließ.

Es unter­schied Forster von anderen Europäern, daß er das auch so sah und beschrieb. Er saß nicht dem damals schon vorhan­de­nen, par­al­lel zur begin­nen­den Ver­ach­tung des europäis­chen Eige­nen entwick­el­ten Klis­chee vom „edlen Wilden“ auf. Wohl aber neigte er unter dem Ein­druck dieser Erfahrun­gen dazu, auch die europäis­chen Ver­hält­nisse nicht als gottgegeben anzuse­hen, und glaubte an den Wert und die Fol­gen philosophis­ch­er Aufk­lärung, die schließlich zu besseren gesellschaftlichen Ver­hält­nis­sen führen müßte.

Diese Hal­tung brachte ihn, nach ein­er weit­eren Reise durch Wes­teu­ropa, im Jahr 1790 auch durch das damals frisch rev­o­lu­tion­ierte Frankre­ich in die Nähe rev­o­lu­tionären Denkens. Sozi­ol­o­gisch gese­hen, galt für den in Mainz auf einem außergewöhn­lich gut dotierten Posten sitzen­den und bis dahin von den Göt­tern ver­wöh­n­ten Forster ähn­lich­es wie für die Paris­er Rev­o­lu­tionäre: Es war nicht das Volk, das hier plöt­zlich „alles“ zu wer­den wün­schte. Es war die selb­st­be­wußte und ver­mö­gende Bour­geoisie, die nie­man­den mehr über sich anerken­nen wollte.

1792 kam die Bewährung­sprobe. Franzö­sis­che Trup­pen rück­ten in Mainz ein. Im rev­o­lu­tionären Schwung kol­la­bori­erte Forster mit den Besatzungstrup­pen und beteiligte sich an der Grün­dung ein­er Mainz­er Repub­lik. Dabei mag auch noch ein später weit­ge­hend vergessenes Ele­ment der Franzö­sis­chen Rev­o­lu­tion eine Rolle gespielt haben. In ihrer Früh­phase gehörte zur Ver­ach­tung des franzö­sis­chen König­tums auch die Ver­ach­tung von dessen ewiger Kriegspoli­tik gegen Deutsch­land. Robe­spierre hat­te die über fast zwei­hun­dert Jahre per­ma­nent andauern­den franzö­sis­chen Eroberungs‑, Ver­wüs­tungs- und Teilungsver­suche scharf verurteilt.

Im Dezem­ber 1792 war Forster zum Vor­sitzen­den der Gesellschaft für Frei­heit und Gle­ich­heit gewählt wor­den und hielt am Neu­jahrstag 1793 die erste Par­la­mentsrede, die unter den Nach­wirkun­gen der Ereignisse in Frankre­ich auf deutschem Boden gehal­ten wurde. In der Ansprache vor dem Mainz­er Par­la­ment griff Forster Robe­spier­res Gedanken auf und spitzte sie zu ein­er Beitritts­forderung zu: „Die freien Deutschen und die freien Franken sind hin­füro ein unz­ertrennlich Volk!“

So hat­te man es in Paris nun auch wieder nicht gemeint. Forster mußte eigens dor­thin reisen, um die Nation­alver­samm­lung von der Nüt­zlichkeit eines Beitritts der Mainz­er Repub­lik zur Franzö­sis­chen Repub­lik zu überzeu­gen. Bis es soweit war, hat­ten sich die franzö­sis­chen Trup­pen aber bere­its aus der Stadt gezo­gen und der deutsche Kaiser über Kol­lab­o­ra­teure wie Forster die Reich­sacht ver­hängt.

Damit war der erste deutsche Par­la­mentsred­ner poli­tisch und materiell gescheit­ert. Es sollte nur bis Jahre­san­fang 1794 dauern, daß er krankheit­shal­ber in Paris ver­starb, ohne das Finale des Rev­o­lu­tion­ster­rors noch erlebt zu haben. In gewiss­er Weise nahm Forster die Tragik eines Teils der deutschen Demokratie- und Frei­heits­be­we­gung vor­weg. Opti­mistis­che Real­itäts­blind­heit, poli­tis­che Fehlein­schätzun­gen und der bedin­gungslose Glaube an die his­torische Sendung des West­ens bis hin zum bedenken­losen Lan­desver­rat trübten dessen Rolle in der deutschen Geschichte. Dies trug auch nicht zum innerdeutschen Respekt vor par­la­men­tarischen Errun­gen­schaften bei. Dieser hätte sich auf eine andere Basis stützen müssen und kön­nen.

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Lit­er­atur:

  • Georg Forster: Werke, Bd. 10: Rev­o­lu­tion­ss­chriften 1792/93, hrsg. v. Klaus-Georg Popp, Berlin 1990
  • Jür­gen Gold­stein: Georg Forster. Zwis­chen Frei­heit und Naturge­walt, Berlin 2015