Die Gründung des großen deutschen Zollvereins ist ein Ereignis, das für die Zeitgenossen außerordentlich segensreich war und in der Rückschau in einen engen Zusammenhang mit der Gründung des kleindeutschen Reiches von 1871 gestellt wird. Aus heutiger Perspektive hat sich diese Vorstellung, daß die wirtschaftliche Vereinheitlichung Deutschlands Voraussetzung seiner politischen Einheit gewesen sei, als verhängnisvoll erwiesen. Aus ihr speist sich die irrige Ansicht, daß analog dazu die politische Einheit Europas der wirtschaftlichen gleichsam automatisch folge. Daß dieser Schluß falsch ist, zeigen die Ereignisse der Gegenwart, in der in Europa weiterhin nationale Interessen dominieren (ausgenommen Deutschland).
Die Idee, durch die Aufhebung von Zöllen einen einheitlichen Wirtschaftsraum zu schaffen, der sich wiederum mittels Schutzzoll nach außen gegen andere Wirtschaftsräume abgrenzt, hatte sich im Zuge der napoleonischen Modernisierungen im Westen und Südwesten Deutschlands in der Praxis bewährt. Um diese Idee zu propagieren, wurde Ostern 1819 in Frankfurt am Main der Allgemeine Deutsche Handels- und Gewerbeverein gegründet. Das Programm wurde von Friedrich List ausgearbeitet, hatte allerdings zunächst kaum praktische Auswirkungen, weil die Entwicklung aus einer ganz anderen Richtung vorangetrieben wurde.
Preußen, das im Gegensatz zu Österreich, nicht über ein abgerundetes Staatsgebiet verfügte, sondern von Enklaven und Exklaven zersplittert wurde, hatte die Notwendigkeit und die Größe, um die Schaffung eines einheitlichen Wirtschaftsraumes in Angriff zu nehmen. Hinzu kam, daß Preußen den agrarisch geprägten Osten mit dem gewerblich geprägten Westen stärker politisch zusammenfassen und vereinheitlichen wollte. Durch das Zollgesetz vom 26. Mai 1818 wurden die Binnenzölle in Preußen aufgehoben. Für die in Preußen liegenden Enklaven bedeutete das eine Verschärfung der Zölle, die langfristig dafür sorgten, daß sich nach und nach die Enklaven dem preußischen Zollgebiet anschlossen und dafür an den Einnahmen beteiligt wurden.
Das Beispiel machte Schule, so daß 1828 zunächst zwei weitere Zollvereine entstanden, ein bayrisch-württembergischer und ein preußisch-hessischer. Dagegen gründete Österreich den Mitteldeutschen Handelsverband (u.a. mit Hannover, Sachsen, Thüringen), der eine Vereinigung der anderen Zollvereine auf Kosten Österreichs verhindern und den Weg zur Nordsee offen halten sollte. Allerdings war diesem keine lange Dauer beschieden, da nach erfolgter Annäherung von Preußen und dem bayerisch-württembergischen Zollverein die kleineren Mitglieder nach und nach abtrünnig wurden und auf die preußische Seite wechselten. Nachdem 1831 Kurhessen sich mit Preußen geeinigt hatte, war der österreichische Plan gescheitert.
Als der Zollverein am 1. Januar 1834 in Kraft trat, vereinigte er ein Gebiet von ca. 420000 km und mehr als 23 Millionen Einwohnern (80 Prozent des späteren Deutschen Reiches). Da alle Mitglieder von dem Zollverein profitierten, hatte er über alle politischen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Staaten hinweg Bestand. Preußen verstärkte seinen politischen Einfluß, indem es regelmäßig weniger Einnahmen für sich beanspruchte, als ihm zugestanden hätten. In der Folge kam es zu einem starken Ausbau der Infrastruktur, zu Investitionen in die industrielle Entwicklung und zu einer Steigerung des deutschen Außenhandels. Die Gewichte und Währungen wurden angeglichen.
Die Erfolgsgeschichte des deutschen Zollvereins erschien aus der Perspektive von 1871 als notwendige Voraussetzung der Reichseinigung. Heinrich von Treitschke hat 1889 die „folgenschwere Neujahrsnacht des Jahres 1834“ wie folgt beschrieben: “Auf allen Landstraßen Mitteldeutschlands harrten die Frachtwagen hochbeladen in langen Zügen vor den Mauthäusern, umringt von fröhlich lärmenden Volkshaufen. Mit dem letzten Glockenschlage des alten Jahres hoben sich die Schlagbäume; die Rosse zogen an, unter Jubelruf und Peitschenknall ging es vorwärts durch das befreite Land.”
Treitschke vernahm hier bereits aus weiter Ferne „den Schlachtendonner von Königgrätz“. Das kleindeutsche Reich Bismarcks war jedoch eine politische Gründung, die den Zollverein nicht notwendig brauchte. Seine Existenz hat das Vorhaben vereinfacht und beschleunigt, aber nicht begründet. Schon aus diesem Grund sind diejenigen, die den Zollverein heute für die Europäische Union vereinnahmen wollen (z.B. Wolfram Fischer), auf einem Holzweg.
Schließlich wurde 1834 etwas vereinheitlicht, was auf eine tausendjährige gemeinsame Geschichte zurückblicken konnte — was es leicht macht, ein gemeinsames Interesse zu formulieren. Und selbst die agrarischen Gebiete Ostpreußens, die man heute mit Griechenland vergleichen möchte, waren seit Jahrhunderten von Deutschen bewohnt. Der Analogieschluß vom deutschen Zollverein auf Europa und die Welt funktioniert nicht.
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Literatur:
- Wolfram Fischer: Wirtschaft und Gesellschaft im Zeitalter der Industrialisierung, Göttingen 1972
- Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1, Stuttgart 1957, S. 787–820 und Bd. 2, Stuttgart 1960, S. 282–305
- Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866, München 1984, S. 358–361
- Heinrich von Treitschke: Deutsche Geschichte, Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III., Leipzig 1927