1834 — Der deutsche Zollverein tritt in Kraft

Die Grün­dung des großen deutschen Zol­lvere­ins ist ein Ereig­nis, das für die Zeitgenossen außeror­dentlich segen­sre­ich war und in der Rückschau in einen engen Zusam­men­hang mit der Grün­dung des klein­deutschen Reich­es von 1871 gestellt wird. Aus heutiger Per­spek­tive hat sich diese Vorstel­lung, daß die wirtschaftliche Vere­in­heitlichung Deutsch­lands Voraus­set­zung sein­er poli­tis­chen Ein­heit gewe­sen sei, als ver­häng­nisvoll erwiesen. Aus ihr speist sich die irrige Ansicht, daß ana­log dazu die poli­tis­che Ein­heit Europas der wirtschaftlichen gle­ich­sam automa­tisch folge. Daß dieser Schluß falsch ist, zeigen die Ereignisse der Gegen­wart, in der in Europa weit­er­hin nationale Inter­essen dominieren (ausgenom­men Deutsch­land).

Die Idee, durch die Aufhe­bung von Zöllen einen ein­heitlichen Wirtschaft­sraum zu schaf­fen, der sich wiederum mit­tels Schutz­zoll nach außen gegen andere Wirtschaft­sräume abgren­zt, hat­te sich im Zuge der napoleonis­chen Mod­ernisierun­gen im West­en und Süd­west­en Deutsch­lands in der Prax­is bewährt. Um diese Idee zu propagieren, wurde Ostern 1819 in Frank­furt am Main der All­ge­meine Deutsche Han­dels- und Gewer­bev­ere­in gegrün­det. Das Pro­gramm wurde von Friedrich List aus­gear­beit­et, hat­te allerd­ings zunächst kaum prak­tis­che Auswirkun­gen, weil die Entwick­lung aus ein­er ganz anderen Rich­tung vor­angetrieben wurde.

Preußen, das im Gegen­satz zu Öster­re­ich, nicht über ein abgerun­detes Staats­ge­bi­et ver­fügte, son­dern von Enklaven und Exklaven zer­split­tert wurde, hat­te die Notwendigkeit und die Größe, um die Schaf­fung eines ein­heitlichen Wirtschaft­sraumes in Angriff zu nehmen. Hinzu kam, daß Preußen den agrarisch geprägten Osten mit dem gewerblich geprägten West­en stärk­er poli­tisch zusam­men­fassen und vere­in­heitlichen wollte. Durch das Zollge­setz vom 26. Mai 1818 wur­den die Bin­nen­zölle in Preußen aufge­hoben. Für die in Preußen liegen­den Enklaven bedeutete das eine Ver­schär­fung der Zölle, die langfristig dafür sorgten, daß sich nach und nach die Enklaven dem preußis­chen Zoll­ge­bi­et anschlossen und dafür an den Ein­nah­men beteiligt wur­den.

Das Beispiel machte Schule, so daß 1828 zunächst zwei weit­ere Zol­lvere­ine ent­standen, ein bayrisch-würt­tem­ber­gis­ch­er und ein preußisch-hes­sis­ch­er. Dage­gen grün­dete Öster­re­ich den Mit­teldeutschen Han­delsver­band (u.a. mit Han­nover, Sach­sen, Thürin­gen), der eine Vere­ini­gung der anderen Zol­lvere­ine auf Kosten Öster­re­ichs ver­hin­dern und den Weg zur Nord­see offen hal­ten sollte. Allerd­ings war diesem keine lange Dauer beschieden, da nach erfol­gter Annäherung von Preußen und dem bay­erisch-würt­tem­ber­gis­chen Zol­lvere­in die kleineren Mit­glieder nach und nach abtrün­nig wur­den und auf die preußis­che Seite wech­sel­ten. Nach­dem 1831 Kurhessen sich mit Preußen geeinigt hat­te, war der öster­re­ichis­che Plan gescheit­ert.

Als der Zol­lvere­in am 1. Jan­u­ar 1834 in Kraft trat, vere­inigte er ein Gebi­et von ca. 420000 km und mehr als 23 Mil­lio­nen Ein­wohn­ern (80 Prozent des späteren Deutschen Reich­es). Da alle Mit­glieder von dem Zol­lvere­in prof­i­tierten, hat­te er über alle poli­tis­chen Mei­n­ungsver­schieden­heit­en zwis­chen den Staat­en hin­weg Bestand. Preußen ver­stärk­te seinen poli­tis­chen Ein­fluß, indem es regelmäßig weniger Ein­nah­men für sich beanspruchte, als ihm zuge­s­tanden hät­ten. In der Folge kam es zu einem starken Aus­bau der Infra­struk­tur, zu Investi­tio­nen in die indus­trielle Entwick­lung und zu ein­er Steigerung des deutschen Außen­han­dels. Die Gewichte und Währun­gen wur­den angeglichen.

Die Erfol­gs­geschichte des deutschen Zol­lvere­ins erschien aus der Per­spek­tive von 1871 als notwendi­ge Voraus­set­zung der Reich­seini­gung. Hein­rich von Tre­itschke hat 1889 die „fol­gen­schwere Neu­jahrsnacht des Jahres 1834“ wie fol­gt beschrieben: “Auf allen Land­straßen Mit­teldeutsch­lands har­rten die Fracht­wa­gen hochbe­laden in lan­gen Zügen vor den Mau­thäusern, umringt von fröh­lich lär­menden Volk­shaufen. Mit dem let­zten Glock­en­schlage des alten Jahres hoben sich die Schlag­bäume; die Rosse zogen an, unter Jubel­ruf und Peitschenknall ging es vor­wärts durch das befre­ite Land.”

Tre­itschke ver­nahm hier bere­its aus weit­er Ferne „den Schlach­t­en­don­ner von König­grätz“. Das klein­deutsche Reich Bis­mar­cks war jedoch eine poli­tis­che Grün­dung, die den Zol­lvere­in nicht notwendig brauchte. Seine Exis­tenz hat das Vorhaben vere­in­facht und beschle­u­nigt, aber nicht begrün­det. Schon aus diesem Grund sind diejeni­gen, die den Zol­lvere­in heute für die Europäis­che Union vere­in­nah­men wollen (z.B. Wol­fram Fis­ch­er), auf einem Holzweg.

Schließlich wurde 1834 etwas vere­in­heitlicht, was auf eine tausend­jährige gemein­same Geschichte zurück­blick­en kon­nte — was es leicht macht, ein gemein­sames Inter­esse zu for­mulieren. Und selb­st die agrarischen Gebi­ete Ost­preußens, die man heute mit Griechen­land ver­gle­ichen möchte, waren seit Jahrhun­derten von Deutschen bewohnt. Der Analo­gi­eschluß vom deutschen Zol­lvere­in auf Europa und die Welt funk­tion­iert nicht.

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Lit­er­atur:

  • Wol­fram Fis­ch­er: Wirtschaft und Gesellschaft im Zeital­ter der Indus­tri­al­isierung, Göt­tin­gen 1972
  • Ernst Rudolf Huber: Deutsche Ver­fas­sungs­geschichte seit 1789, Bd. 1, Stuttgart 1957, S. 787–820 und Bd. 2, Stuttgart 1960, S. 282–305
  • Thomas Nip­perdey: Deutsche Geschichte 1800–1866, München 1984, S. 358–361
  • Hein­rich von Tre­itschke: Deutsche Geschichte, Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wil­helms III., Leipzig 1927