Das wohl bekannteste Werk von Ernst Rudolf Huber ist seine siebenbändige Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, die bereits durch ihren Materialreichtum bis heute unerreicht ist und mit enzyklopädischem Anspruch die deutsche Verfassungsgeschichte von der Französischen Revolution bis zum Untergang der Weimarer Republik darstellt. Insbesondere bei dem 1984 erschienenen siebten Band „Ausbau, Schutz und Untergang der Weimarer Republik“ beschrieb Huber auch Ereignisse, an denen er nicht nur als Zeitzeuge selbst beteiligt war.
Der durch die Wandervogelbewegung geprägte evangelische Kaufmannssohnaus der oldenburgischen Exklave Birkenfeld an der Nahe, geboren am 8. Juni 1903 in Oberstein (heute Idar-Oberstein), studierte Literaturwissenschaften in Tübingen (ab 1921), nach einem Zwischenspiel im väterlichen Geschäft Volkswirtschaft 1922/23 in München und ab 1924 in Bonn Rechtswissenschaften, zählte dort bald zum Schülerkreis von Carl Schmitt und wurde bei diesem 1926 mit einer kirchenrechtlichen Arbeit promoviert. Auch nach Schmitts Wechsel nach Berlin blieb Huber in Bonn und wurde 1928 Assistent des Wirtschaftsrechtlers Heinrich Göppert; 1931 wurde er mit einer Arbeit über das Wirtschaftsverwaltungsrecht in Bonn für Öffentliches Recht und Staatsrecht habilitiert. In die Bonner Zeit fällt auch die Eheschließung mit der Rechtsanwältin Tula Simons, der Tochter des Reichsgerichtspräsidenten Walter Simons. Auch als Privatdozent unterhielt Huber engen Kontakt mit Carl Schmitt; an den Beratungen Schmitts als Prozeßvertreter der Reichsregierung war er unmittelbar beteiligt; den Prozeß kommentierte er mit der von Schmitt geschätzten Schrift Reichsgewalt und Staatsgerichtshof (1932). Schmitts Verhältnis zu seinem eigenständigen Schüler Huber war bei aller wissenschaftlichen Nähe auch von Eifersucht geprägt („andere veröffentlichen meine Bücher“). In den letzten Jahren der Weimarer Republik veröffentlichte Huber auch häufig unter mehreren Pseudonymen in jungkonservativen Zeitschriften.
Zum Wintersemester 1933/34 wurde Huber Professor für öffentliches Recht an der Universität Kiel, an der eine nationalsozialistische „Stoßtruppfakultät“ entstehen sollte; Huber gehörte zu den Vertretern der vom Rechtshegelianismus geprägten „Kieler Schule“, die bereits 1935 aber vor ihrer Auflösung stand. Weiterhin wurde er Herausgeber der Zeitschrift für die gesamten Staatswissenschaften. 1937 wechselte Huber nach Leipzig (Dekan 1939–41), wo das Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, das „staatsrechtliche Hauptwerk des Nationalsozialismus“ (Michael Stolleis). Huber versuchte, das Konzept des „Führerstaats“ mit allen Konsequenzen in rechtliche Formen und einen etatistischen Rahmen zu bringen; spätestens mit Ausbruch des Krieges wurde sein an einigen rechtsstaatlichen Elementen festhaltendes Staatsrecht obsolet. Versuche, die 1933 aufgelöste Staastrechtslehrervereinigung wieder zu begründen, scheiterten aus ähnlichen Gründen. Seit 1937 war Huber Mitglied der NSDAP. 1941 wechselte Huber an die „Reichsuniversität Straßburg“, an der es kriegsbedingt aber nur geringen Lehrbetrieb gab. Zwischenzeitig immer wieder als Soldat eingezogen, floh Huber mit seiner Familie 1944 aus Straßburg auf die andere Rheinseite. Nach Kriegsende war Huber zunächst ohne akademische Anbindung. Er lebte zunächst mit seiner Familie in Falkenau (Schwarzwald) in einem Haus des Historikers Hermann Heimpel, seit 1947 in Freiburg i.Br. Für das Familieneinkommen sorgte die erfolgreiche anwaltliche Tätigkeit seiner Ehefrau.
Bei der Wiederbegründung der Staatsrechtslehrervereinigung 1949 wurde Huber (neben Carl Schmitt und Otto Koellreutter) zunächst nicht berücksichtigt. Huber führte die Existenz eines Privatgelehrten; insbesondere die Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Göttinger Akademie der Wissenschaften (Mitglied seit 1961) und die Geschwister-Boehringer-Stiftung Ingelheim ermöglichte ihm das Verfassen seiner ursprünglich auf einen erheblich längeren Zeitraum (seit der Staatsbildung der germanischen Stämme) angelegten Verfassungsgeschichte; 1955 erschien der erste Band. Schrittweise wurde Huber von der Staatsrechtslehre rehabilitiert; seit 1952 durfte er an der Universität Freiburg wieder unterrichten, 1956 erhielt er eine Honorarprofessur und wurde in die Staatsrechtslehrervereinigung wieder aufgenommen. Im Folgejahr erhielt er einen Ruf an die Sozialwissenschaftliche Hochschule Wilhelmshaven. Mit der Eingliederung dieser Hochschule 1962 in die Juristische Fakultät der Universität Göttingen wurde Huber Professor in Göttingen, was er bis zu seiner Emeritierung 1968 bleiben sollte. Mit dem siebten Band wurde die Verfassungsgeschichte 1984 fertiggestellt; 1990 erschien ein Registerband. Bis zu seinem Tod veröffentlichte und forschte Huber wissenschaftlich; zu erwähnen sind insbesondere die mehrbändigen Quellensammlungen Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert (gemeinsam mit seinem Sohn Wolfgang Huber, 5 Bde, 1973–1995) und Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte (5 Bde, 3. Aufl. 1978–1992).
Über die Bedeutung der deutschen konstitutionellen Monarchie kam es in den sechziger Jahren zu einer fachlichen Kontroverse zwischen Huber und Ernst-Wolfgang Böckenförde („Huber-Böckenförde-Kontroverse“). Huber vertrat hier die Ansicht, der deutsche Konstitutionalismus sei eine eigenständige verfassungshistorische Epoche und nicht, wie etwa bei Böckenförde in der Nachfolge Carl Schmitts, lediglich eine Übergangsform zwischen monarchischem und parlamentarischem Regierungssystem. Bei der Rezeption von Hubers Verfassungsgeschichte waren wiederholt kritische Stimmen zu bemerken. Teilweise wurde auf Hubers Rolle im Nationalsozialismus verwiesen, teilweise seiner Verfassungsgeschichte eine „borussozentrische“ Sichtweise vorgehalten. Seit den jüngeren Forschungen (Ewald Grothe) wird vermehrt die Bedeutung Hubers für die deutsche Verfassungsgeschichtsschreibung betont.
Ernst Rudolf Huber starb am 28. Oktober 1990 in Freiburg i.Br.
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Zitat:
Gewiß haben die deutsche wie die anderen großen Nationen allen Anlaß, sich nicht nur vom nationalstaatlichen Chauvinismus fernzuhalten, sondern auch den nationalstaatlichen Isolationismus zu überwinden, die beide das zwischenstaatliche Zusammenwirken wie die Gemeinsamkeit des Rechtsbewußtseins, der Friedensbereitschaft und der Kulturgesinnung in Europa lange behinderten.
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Schriften:
- Reichsgewalt und Staatsgerichtshof, Oldenburg (O.) 1932
- Die Gestalt des deutschen Sozialismus, Hamburg 1934
- Vom Sinn der Verfassung, Hamburg 1935
- Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, Hamburg 1935
- Verfassung, Hamburg 1937 (2. erweiterte Auflage: Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, Hamburg 1939)
- Heer und Staat in der deutschen Geschichte, Hamburg 1938
- Verfassungskrisen des Zweiten Reiches, Leipzig 1940
- Aufstieg und Entfaltung des deutschen Volksbewußtseins, Straßburg 1942
- Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, 7 Bde, Stuttgart 1957–1984
- Nationalstaat und Verfassungsstaat. Studien zur Geschichte der modernen Staatsidee, Stuttgart 1965
- Bewahrung und Wandlung. Studien zur deutschen Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Berlin 1975
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Literatur:
- Ernst Forsthoff/ Werner Weber u.a. (Hrsg.): Festschrift für Ernst Rudolf Huber zum 70. Geburtstag, Göttingen 1973
- Ewald Grothe: Eine „lautlose“ Angelegenheit? Die Rückkehr des Verfassungshistorikers Ernst Rudolf Huber in die universitäre Wissenschaft nach 1945, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 47 (1999)
- Martin Jürgens: Staat und Reich bei Ernst Rudolf Huber. Sein Leben und Werk bis 1945 aus rechtsgeschichtlicher Sicht, Frankfurt a.M. 2005
- Marie-Theres Norpoth: Norm und Wirklichkeit. Staat und Verfassung im Werk Ernst Rudolf Hubers, Hamburg 1998
- Michael Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd 3, München 1999
- Ralf Walkenhaus: Konservatives Staatsdenken. Eine wissenssoziologische Studie zu Ernst Rudolf Huber, Berlin 1997