Huber, Ernst Rudolf — Staatsrechtler, 1903–1990

Das wohl bekan­nteste Werk von Ernst Rudolf Huber ist seine sieben­bändi­ge Deutsche Ver­fas­sungs­geschichte seit 1789, die bere­its durch ihren Mate­ri­al­re­ich­tum bis heute unerr­e­icht ist und mit enzyk­lopädis­chem Anspruch die deutsche Ver­fas­sungs­geschichte von der Franzö­sis­chen Rev­o­lu­tion bis zum Unter­gang der Weimar­er Repub­lik darstellt. Ins­beson­dere bei dem 1984 erschiene­nen siebten Band „Aus­bau, Schutz und Unter­gang der Weimar­er Repub­lik“ beschrieb Huber auch Ereignisse, an denen er nicht nur als Zeitzeuge selb­st beteiligt war.

Der durch die Wan­der­vo­gel­be­we­gung geprägte evan­ge­lis­che Kauf­mannssohnaus der old­en­bur­gis­chen Exklave Birken­feld an der Nahe, geboren am 8. Juni 1903 in Ober­stein (heute Idar-Ober­stein), studierte Lit­er­atur­wis­senschaften in Tübin­gen (ab 1921), nach einem Zwis­chen­spiel im väter­lichen Geschäft Volk­swirtschaft 1922/23 in München und ab 1924 in Bonn Rechtswis­senschaften, zählte dort bald zum Schülerkreis von Carl Schmitt und wurde bei diesem 1926 mit ein­er kirchen­rechtlichen Arbeit pro­moviert. Auch nach Schmitts Wech­sel nach Berlin blieb Huber in Bonn und wurde 1928 Assis­tent des Wirtschaft­srechtlers Hein­rich Göp­pert; 1931 wurde er mit ein­er Arbeit über das Wirtschaftsver­wal­tungsrecht in Bonn für Öffentlich­es Recht und Staat­srecht habil­i­tiert. In die Bon­ner Zeit fällt auch die Eheschließung mit der Recht­san­wältin Tula Simons, der Tochter des Reichs­gericht­spräsi­den­ten Wal­ter Simons. Auch als Pri­vat­dozent unter­hielt Huber engen Kon­takt mit Carl Schmitt; an den Beratun­gen Schmitts als Prozeßvertreter der Reich­sregierung war er unmit­tel­bar beteiligt; den Prozeß kom­men­tierte er mit der von Schmitt geschätzten Schrift Reichs­ge­walt und Staats­gericht­shof (1932). Schmitts Ver­hält­nis zu seinem eigen­ständi­gen Schüler Huber war bei aller wis­senschaftlichen Nähe auch von Eifer­sucht geprägt („andere veröf­fentlichen meine Büch­er“). In den let­zten Jahren der Weimar­er Repub­lik veröf­fentlichte Huber auch häu­fig unter mehreren Pseu­do­ny­men in jungkon­ser­v­a­tiv­en Zeitschriften.

Zum Win­terse­mes­ter 1933/34 wurde Huber Pro­fes­sor für öffentlich­es Recht an der Uni­ver­sität Kiel, an der eine nation­al­sozial­is­tis­che „Stoßtrupp­fakultät“ entste­hen sollte; Huber gehörte zu den Vertretern der vom Recht­shegelian­is­mus geprägten „Kiel­er Schule“, die bere­its 1935 aber vor ihrer Auflö­sung stand. Weit­er­hin wurde er Her­aus­ge­ber der Zeitschrift für die gesamten Staatswis­senschaften. 1937 wech­selte Huber nach Leipzig (Dekan 1939–41), wo das Ver­fas­sungsrecht des Großdeutschen Reich­es, das „staat­srechtliche Hauptwerk des Nation­al­sozial­is­mus“ (Michael Stolleis). Huber ver­suchte, das Konzept des „Führerstaats“ mit allen Kon­se­quen­zen in rechtliche For­men und einen etatis­tis­chen Rah­men zu brin­gen; spätestens mit Aus­bruch des Krieges wurde sein an eini­gen rechtsstaatlichen Ele­menten fes­thal­tendes Staat­srecht obso­let. Ver­suche, die 1933 aufgelöste Staas­trecht­slehrervere­ini­gung wieder zu begrün­den, scheit­erten aus ähn­lichen Grün­den. Seit 1937 war Huber Mit­glied der NSDAP. 1941 wech­selte Huber an die „Reich­suni­ver­sität Straßburg“, an der es kriegs­be­d­ingt aber nur gerin­gen Lehrbe­trieb gab. Zwis­chen­zeit­ig immer wieder als Sol­dat einge­zo­gen, floh Huber mit sein­er Fam­i­lie 1944 aus Straßburg auf die andere Rhein­seite. Nach Kriegsende war Huber zunächst ohne akademis­che Anbindung. Er lebte zunächst mit sein­er Fam­i­lie in Falke­nau (Schwarzwald) in einem Haus des His­torik­ers Her­mann Heim­pel, seit 1947 in Freiburg i.Br. Für das Fam­i­lieneinkom­men sorgte die erfol­gre­iche anwaltliche Tätigkeit sein­er Ehe­frau.

Bei der Wieder­be­grün­dung der Staat­srecht­slehrervere­ini­gung 1949 wurde Huber (neben Carl Schmitt und Otto Koell­reut­ter) zunächst nicht berück­sichtigt. Huber führte die Exis­tenz eines Pri­vat­gelehrten; ins­beson­dere die Förderung durch die Deutsche Forschungs­ge­mein­schaft, die Göt­tinger Akademie der Wis­senschaften (Mit­glied seit 1961) und die Geschwis­ter-Boehringer-Stiftung Ingel­heim ermöglichte ihm das Ver­fassen sein­er ursprünglich auf einen erhe­blich län­geren Zeitraum (seit der Staats­bil­dung der ger­man­is­chen Stämme) angelegten Ver­fas­sungs­geschichte; 1955 erschien der erste Band. Schrit­tweise wurde Huber von der Staat­srecht­slehre reha­bil­i­tiert; seit 1952 durfte er an der Uni­ver­sität Freiburg wieder unter­richt­en, 1956 erhielt er eine Hon­o­rarpro­fes­sur und wurde in die Staat­srecht­slehrervere­ini­gung wieder aufgenom­men. Im Fol­ge­jahr erhielt er einen Ruf an die Sozial­wis­senschaftliche Hochschule Wil­helmshaven. Mit der Eingliederung dieser Hochschule 1962 in die Juris­tis­che Fakultät der Uni­ver­sität Göt­tin­gen wurde Huber Pro­fes­sor in Göt­tin­gen, was er bis zu sein­er Emer­i­tierung 1968 bleiben sollte. Mit dem siebten Band wurde die Ver­fas­sungs­geschichte 1984 fer­tiggestellt; 1990 erschien ein Reg­is­ter­band. Bis zu seinem Tod veröf­fentlichte und forschte Huber wis­senschaftlich; zu erwäh­nen sind ins­beson­dere die mehrbändi­gen Quel­len­samm­lun­gen Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhun­dert (gemein­sam mit seinem Sohn Wolf­gang Huber, 5 Bde, 1973–1995) und Doku­mente zur deutschen Ver­fas­sungs­geschichte (5 Bde, 3. Aufl. 1978–1992).

Über die Bedeu­tung der deutschen kon­sti­tu­tionellen Monar­chie kam es in den sechziger Jahren zu ein­er fach­lichen Kon­tro­verse zwis­chen Huber und Ernst-Wolf­gang Böck­en­förde („Huber-Böck­en­förde-Kon­tro­verse“). Huber ver­trat hier die Ansicht, der deutsche Kon­sti­tu­tion­al­is­mus sei eine eigen­ständi­ge ver­fas­sung­shis­torische Epoche und nicht, wie etwa bei Böck­en­förde in der Nach­folge Carl Schmitts, lediglich eine Über­gangs­form zwis­chen monar­chis­chem und par­la­men­tarischem Regierungssys­tem. Bei der Rezep­tion von Hubers Ver­fas­sungs­geschichte waren wieder­holt kri­tis­che Stim­men zu bemerken. Teil­weise wurde auf Hubers Rolle im Nation­al­sozial­is­mus ver­wiesen, teil­weise sein­er Ver­fas­sungs­geschichte eine „borus­sozen­trische“ Sichtweise vorge­hal­ten. Seit den jün­geren Forschun­gen (Ewald Grothe) wird ver­mehrt die Bedeu­tung Hubers für die deutsche Ver­fas­sungs­geschichtss­chrei­bung betont.

Ernst Rudolf Huber starb am 28. Okto­ber 1990 in Freiburg i.Br.

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Zitat:

Gewiß haben die deutsche wie die anderen großen Natio­nen allen Anlaß, sich nicht nur vom nation­al­staatlichen Chau­vin­is­mus fernzuhal­ten, son­dern auch den nation­al­staatlichen Iso­la­tion­is­mus zu über­winden, die bei­de das zwis­chen­staatliche Zusam­men­wirken wie die Gemein­samkeit des Rechts­be­wußt­seins, der Friedens­bere­itschaft und der Kul­tur­gesin­nung in Europa lange behin­derten.

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Schriften:

  • Reichs­ge­walt und Staats­gericht­shof, Old­en­burg (O.) 1932
  • Die Gestalt des deutschen Sozial­is­mus, Ham­burg 1934
  • Vom Sinn der Ver­fas­sung, Ham­burg 1935
  • Wesen und Inhalt der poli­tis­chen Ver­fas­sung, Ham­burg 1935
  • Ver­fas­sung, Ham­burg 1937 (2. erweit­erte Auflage: Ver­fas­sungsrecht des Großdeutschen Reich­es, Ham­burg 1939)
  • Heer und Staat in der deutschen Geschichte, Ham­burg 1938
  • Ver­fas­sungskrisen des Zweit­en Reich­es, Leipzig 1940
  • Auf­stieg und Ent­fal­tung des deutschen Volks­be­wußt­seins, Straßburg 1942
  • Deutsche Ver­fas­sungs­geschichte seit 1789, 7 Bde, Stuttgart 1957–1984
  • Nation­al­staat und Ver­fas­sungsstaat. Stu­di­en zur Geschichte der mod­er­nen Staat­sidee, Stuttgart 1965
  • Bewahrung und Wand­lung. Stu­di­en zur deutschen Staat­s­the­o­rie und Ver­fas­sungs­geschichte, Berlin 1975

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Lit­er­atur:

  • Ernst Forsthoff/ Wern­er Weber u.a. (Hrsg.): Festschrift für Ernst Rudolf Huber zum 70. Geburt­stag, Göt­tin­gen 1973
  • Ewald Grothe: Eine „laut­lose“ Angele­gen­heit? Die Rück­kehr des Ver­fas­sung­shis­torik­ers Ernst Rudolf Huber in die uni­ver­sitäre Wis­senschaft nach 1945, in: Zeitschrift für Geschichtswis­senschaft 47 (1999)
  • Mar­tin Jür­gens: Staat und Reich bei Ernst Rudolf Huber. Sein Leben und Werk bis 1945 aus rechts­geschichtlich­er Sicht, Frank­furt a.M. 2005
  • Marie-Theres Nor­poth: Norm und Wirk­lichkeit. Staat und Ver­fas­sung im Werk Ernst Rudolf Hubers, Ham­burg 1998
  • Michael Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutsch­land, Bd 3, München 1999
  • Ralf Walken­haus: Kon­ser­v­a­tives Staats­denken. Eine wis­senssozi­ol­o­gis­che Studie zu Ernst Rudolf Huber, Berlin 1997