1900 — Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) tritt in Kraft

Das Bürg­er­liche Geset­zbuch (BGB) ist das seit dem 1. Jan­u­ar 1900 zunächst im Deutschen Reich gel­tende wichtig­ste Geset­zbuch des Zivil­rechts auf dem Gebi­et der Bun­desre­pub­lik Deutsch­land. Mit seinem Inkraft­treten wurde der jahrzehn­te­lange Prozeß ein­er deutschen Zivil­recht­skod­i­fika­tion abgeschlossen, zum ersten­mal galt ein ein­heitlich­es deutsches Zivilge­set­zbuch, also eine Regelung der rechtlichen Beziehun­gen der Bürg­er untere­inan­der. Das BGB wurde seit seinem Inkraft­treten wieder­holt und regelmäßig geän­dert, ver­stärkt nach 1945; im Kern ist jedoch das Geset­zbuch von 1900 noch immer deut­lich zu erken­nen.

Sein Inhalt läßt sich an seinen fünf Büch­ern gut darstellen; nach dem „All­ge­meinen Teil“ (§§ 1–240) fol­gen das zweite Buch „Schul­drecht“ (§§ 241–853), das dritte Buch „Sachen­recht“ (§§ 854‑1296), das vierte Buch „Fam­i­lien­recht“ (§§ 1297–1921) und das fün­fte Buch „Erbrecht“ (§§ 1922–2385). Obwohl all­ge­mein als Kod­i­fika­tion beze­ich­net, wer­den nicht alle Bere­iche des Zivil­rechts durch das BGB geregelt. Ins­beson­dere das Han­dels- und Gesellschaft­srecht ist zu großen Teilen Gegen­stand weit­er­er Geset­zbüch­er, eben­so das Recht des geisti­gen Eigen­tums, also der Schutz der Urhe­ber und Erfind­er. Das Arbeit­srecht wird durch das BGB nur bezüglich des engeren Bere­ichs der Dien­stverträge (Ver­tragstyp der meis­ten Indi­vid­u­alar­beitsverträge) geregelt. Eine Kod­i­fika­tion des kollek­tiv­en Arbeit­srechts (Tar­ifverträge) wurde seit 1919 angestrebt, fehlt aber bis heute.

Die Frage nach ein­er Kod­i­fika­tion des, damals begrif­flich noch weit­er gefaßten, deutschen bürg­er­lichen Rechts läßt sich mit unter­schiedlich­er Akzen­tu­ierung bere­its ab 1780 nach­weisen, bis 1871 fehlten dazu allerd­ings die Voraus­set­zun­gen. Die Ver­fas­sung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871 enthielt zunächst keine Reich­skom­pe­tenz für Zivil­recht, die erst am 20. Feb­ru­ar 1873 auf Ini­tia­tive der nation­al­lib­eralen Reich­stagsab­ge­ord­neten Johannes von Miquel und Eduard Lasker einge­führt wurde (Lex Miquel-Lasker). Damit kon­nten die Arbeit­en an ein­er Kod­i­fika­tion begin­nen; 1874 wurde eine Vorkom­mis­sion einge­set­zt, die ein Gutacht­en „über Plan und Meth­ode bei Auf­stel­lung des Entwurfs eines deutschen Civilge­set­zbuch­es“ vor­legte, im sel­ben Jahr die „Erste Kom­mis­sion“ unter Vor­sitz des Richters und Präsi­den­ten des Reich­sober­han­dels­gerichts, Eduard Pape, ein­berufen. Sie umfaßte elf Mit­glieder, im wesentlichen Prak­tik­er, aber auch den bedeu­ten­den Pan­dek­tis­ten Bern­hard Wind­scheid.

1888 legte diese Kom­mis­sion ihren „1. Entwurf“ („der kleine Wind­scheid“) und die dazuge­höri­gen Motive vor. Der Entwurf erhielt vehe­mente Kri­tik. Vorge­wor­fen wurde eine zu große Nähe zum römis­chen Recht, eine zu hohe Abstrak­theit, unver­ständliche Sprache, unglück­liche Ver­weisun­gen, die fehlende Berück­sich­ti­gung kollek­tiv­er Per­so­n­en­ver­hält­nisse über den zwei­seit­i­gen Ver­trag hin­aus, zulet­zt und am wirkungsvoll­sten eine fehlende „soziale“ Aus­rich­tung.

Als Wort­führer der Kri­tik­er erwies sich ins­beson­dere der zulet­zt in Berlin lehrende Vertreter der juris­tis­chen Ger­man­is­tik Otto (von) Gierke, daneben der Wiener Jurist Anton Menger; bekan­nt ist in diesem Zusam­men­hang das bei­den Juris­ten in ver­schiede­nen For­men zugeschriebene Zitat von den „Tropfen sozial­is­tis­chen [auch: sozialen] Öls“, mit denen das BGB gesalbt wer­den müsse. Dabei ver­stand der poli­tisch kon­ser­v­a­tive Gierke den Aus­druck „sozial­is­tisch“ nicht in einem parteipoli­tis­chen oder gar marx­is­tis­chen Sinn.

1889 wurde eine „Zweite Kom­mis­sion“ ein­berufen, daneben eine weit­ere Min­is­te­r­i­al-Kom­mis­sion im Reich­sjus­ti­zamt, 1896 kon­nte ein zweit­er Entwurf vorgelegt wer­den, der auf die Kri­tik in Teilen einge­gan­gen war; dieser wurde 1896 in ein­er gerin­gen Über­ar­beitung als „Drit­ter Entwurf“ dem Bun­desrat vorgelegt. Kri­tik wurde etwa an dem Fam­i­lien­recht geübt, das zu wenig ein­er christlichen Ehe verpflichtet sei, so durch den streng lutherischen Fürsten Reuß älter­er Lin­ie, Hein­rich XXII. („der Unar­tige“).

Bere­its durch das Übergewicht Preußens war eine Mehrheit für das BGB im Bun­desrat aber sich­er. Von Feb­ru­ar bis Juni 1896 wurde das BGB im Reich­stag berat­en; die katholis­che Zen­trumspartei trug das Gesetz weit­ge­hend mit, Kri­tik kam im wesentlichen von der SPD (August Bebel beze­ich­nete das BGB bere­its vor Inkraft­treten als „über­holt“) und den Kon­ser­v­a­tiv­en. In der Schlußab­stim­mung am 1. Juli 1896 wurde das BGB mit 222 von 288 Stim­men (Gegen­stim­men von SPD, Kon­ser­v­a­tiv­en und Welfen) angenom­men und am 18. August 1896 von Kaiser Wil­helm II. im Neuen Palais Pots­dam unterze­ich­net und aus­ge­fer­tigt.

Das Geset­zbuch been­dete die zivil­rechtliche Recht­sz­er­split­terung im Deutschen Reich; es erset­zte in Teilen Preußens das All­ge­meine Preußis­che Lan­drecht (ALG), im preußis­chen Rhein­land und der bay­erischen Pfalz den franzö­sis­chen Code civ­il, in Baden das diesem nachge­bildete Badis­che Lan­drecht, in Sach­sen das Säch­sis­che BGB von 1865, bis dahin die „mod­ern­ste“ deutsche Kod­i­fika­tion, an der sich das BGB in Teilen ori­en­tierte. Trotz oder vielle­icht ger­ade wegen der hohen Erwartun­gen, die mit ein­er Zivil­recht­skod­i­fika­tion ver­bun­den waren, set­zte mit dem Inkraft­treten des BGB (neben dur­chaus eupho­rischen Stim­men) eine neue Kri­tik an, die das Geset­zbuch der ver­al­teten „sta­tis­chen“ Begriff­sjurispru­denz ver­haftet sah und etwa auch bei Oswald Spen­gler, der aber nur juris­tis­che Kri­tik­er referierte, zu find­en war. Auf der anderen Seite mußte sich die deutsche Rechtswis­senschaft, die sich seit Sav­i­gny als his­torische Wis­senschaft ver­standen hat­te, neu ori­en­tieren; die sub­sidiäre Gel­tung des „Gemeinen Rechts“ war fort­ge­fall­en.

Während des Ersten Weltkriegs wurde wieder­holt der Vor­wurf erhoben, das BGB sei ein reines „Friedens­ge­setz“; tat­säch­lich kon­nten mit dem Geset­zbuch kriegs­be­d­ingte Anpas­sun­gen von Verträ­gen, der „Weg­fall der Geschäfts­grund­lage“, die Fol­gen der Gelden­twer­tung und das kollek­tive Arbeit­srecht nur bed­ingt gelöst wer­den. Eine wichtige Rolle als Kor­rek­tiv bei der Ausle­gung des BGB erhielt die Recht­sprechung ins­beson­dere des Reichs­gerichts, auch im Wege der richter­lichen Rechts­fort­bil­dung. Gle­ich­wohl erwies sich das BGB mit weni­gen Aus­nah­men (Aus­gliederung Erb­bau­recht 1919, Ver­schol­len­heit 1939) als sta­bil. Für eine große Reform fehlte in der Weimar­er Repub­lik auch die par­la­men­tarische Mehrheit.

Im Nation­al­sozial­is­mus wurde im Zuge des „Anschlusses“ von Öster­re­ich 1938 das „Ehege­setz“ erlassen, das bis 1998 Teile des Fam­i­lien­rechts aus dem BGB aus­gliederte, dabei auch im Ansatz das Schei­dungsrecht (aus bevölkerungspoli­tis­chen Motiv­en, dabei aber auf Entwürfe von vor 1933 zurück­ge­hend) reformierte. Ab 1939 bere­it­ete die 1933 gegrün­dete „Akademie für Deutsches Recht“ ein „Volks­ge­set­zbuch“ als Ersatz für das als „lib­er­al“ und „römis­chrechtlich“ kri­tisierte BGB vor; 1942 wurde ein Entwurf mit der Ein­gangs­bes­tim­mung „Ober­stes Gesetz ist das Wohl des deutschen Volkes“ vorgelegt, dann kam kriegs­be­d­ingt die Arbeit zum Erliegen. Nach 1945 galt das BGB zunächst in allen Zonen fort, auch der sow­jetis­chen und der späteren DDR. Erst 1975 wurde es in der DDR endgültig durch eine neue zivil­rechtliche Kod­i­fika­tion (Zivilge­set­zbuch der Deutschen Demokratis­chen Repub­lik, ZGB) erset­zt.

Das Grundge­setz hat­te durch seinen Artikel 117 Absatz 1 unmit­tel­bare Kon­se­quen­zen für das BGB, da danach alle gegen den Gle­ich­heits­grund­satz des Artikel 3 GG ver­stoßen­den Bes­tim­mungen geän­dert wer­den mußten (Gle­ich­berech­ti­gungs­ge­setz 1957). Eine großan­gelegte Reform des BGB war die Fam­i­lien­recht­sre­form 1976, mit der im Schei­dungsrecht das Ver­schulden­sprinzip zugun­sten der Zer­rüt­tungss­chei­dung abgeschafft wurde; ins­ge­samt zeich­net sich das Fam­i­lien­recht des BGB trotz gele­gentlich­er gegen­läu­figer Ten­den­zen („Natur­recht­sre­nais­sance“ um 1950) durch einen kon­stan­ten Abbau der „patri­ar­chalis­chen“ Fam­i­lie, die von den Vätern des BGB allerd­ings eher voraus­ge­set­zt als begrün­det wurde, aus. Andere Refor­men des BGB, etwa im Eigen­tums- und Erbrecht, kamen nicht zus­tande. Mit der Wiedervere­ini­gung 1990 erset­zte das BGB wieder das ZGB der ehe­ma­li­gen DDR.

Die größten Ein­schnitte in die Sys­tem­atik des BGB ent­standen bish­er durch die Umset­zung europäis­ch­er Nor­men, seit län­gerem wird die Ein­führung eines europäis­chen Kaufrechts disku­tiert, das sich nicht primär am BGB ori­en­tiert; das Bedürf­nis nach dieser Nov­el­le ist inner­halb der deutschen Zivil­rechtswis­senschaft allerd­ings umstrit­ten.

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Lit­er­atur:

  • Bar­bara Döle­mey­er: Das BGB für das Deutsche Reich, in: Hel­mut Coing: Hand­buch der Quellen und Lit­er­atur der neueren europäis­chen Pri­va­trechts­geschichte III/2, München 1982, S. 1572ff.
  • Tilman Rep­gen: BGB, in: Hand­wörter­buch zur deutschen Rechts­geschichte, Bd. 1, Berlin 2008, Sp. 752–765
  • Hans Schulte-Nölke: Das Reich­sjus­ti­zamt und die Entste­hung des BGB, Frank­furt a. M. 1995
  • Franz Wieack­er: Pri­va­trechts­geschichte der Neuzeit, Göt­tin­gen 1967