2002 — Der Euro löst die Deutsche Mark ab

Auch wenn es seit den 1970er Jahren in der Europäis­chen Gemein­schaft Über­legun­gen gab, eine gemein­same europäis­che Währung einzuführen, ist die Ver­wirk­lichung des Pro­jek­ts unmit­tel­bar mit der deutschen Wiedervere­ini­gung von 1990 verknüpft. Damals soll der franzö­sis­che Staat­spräsi­dent Franois Mit­terand als Gegen­leis­tung für seine Zus­tim­mung zur deutschen Ein­heit von Hel­mut Kohl die Ein­führung des Euro gefordert haben. Auch wenn später alle Beteiligten solch einen Han­del bestrit­ten haben, gibt es zahlre­iche Indizien, die den Zusam­men­hang zwis­chen deutsch­er Ein­heit und Euro-Währung erhärten.

Deutsch­land stand vor 1989 den Plä­nen ein­er Gemein­schaftswährung skep­tisch gegenüber, weil abzuse­hen war, daß in einem het­ero­ge­nen Wirtschaft­sraum Preis­sta­bil­ität nur mit Trans­fer­leis­tun­gen sicherzustellen wäre. Wer diese im Zweifel zu leis­ten hat­te, war eben­so klar. Sich­er ist auch, daß Kohl alles tat, um den Euro zu real­isieren (Thi­lo Sar­razin beze­ich­nete ihn deshalb als den „Moses des deutschen Volkes auf dem Weg zu sein­er europäis­chen Bes­tim­mung“), und er das im Zweifel aufgezwun­gene Pro­jekt zu seinem eige­nen machte.

Der Ver­trag von Maas­tricht (1992) legte die Kri­te­rien für die Her­stel­lung der europäis­chen Wirtschafts- und Währungsre­form fest. 1994 wur­den die Vorgän­gerin­sti­tu­tion der Europäis­chen Zen­tral­bank (EZB) gegrün­det und die Haushalt­slage der Mit­gliedsstaat­en auf Sta­bil­ität geprüft. Bere­its dabei drück­te man (u.a. bei Ital­ien) alle Augen zu, um möglichst viele Län­der aufnehmen zu kön­nen.

Nach­dem am 2. Mai 1998 die Ein­führung des Euro durch die europäis­chen Staatschefs beschlossen war, begann die finale Phase 1999 mit der Grün­dung der EZB, der Fes­tle­gung der Wech­selkurse und der damit ein­herge­hen­den Ein­führung des Euro als Buchgeld. Die betrof­fe­nen Völk­er wur­den nicht gefragt. Seit Dezem­ber 2001 begann der Aus­tausch des Bargelds, und am 1. Jan­u­ar 2002 war der Euro in Deutsch­land und zehn weit­eren Län­dern Zahlungsmit­tel; bis 2015 fol­gten weit­ere acht Staat­en.

Da die Ablehnung des Euro in Deutsch­lands phasen­weise auch nach der Ein­führung sehr groß war, wurde das Zus­tandekom­men und die Frage nach dem eigentlichen Ziel des Euro, näm­lich die Gän­gelung und Aus­plün­derung Deutsch­lands, immer wieder the­ma­tisiert. Hel­mut Schmidt schlug 2011 in ein­er Rede einen Bogen von der deutschen Schuld am Holo­caust bis zur gemein­samen Währung und recht­fer­tigte damit indi­rekt die Notwendigkeit ein­er deutschen Mithaf­tung für die Schulden der Part­ner­län­der. Dieser Sachver­halt ist schon mehrfach the­ma­tisiert wor­den. Die Fol­gen­losigkeit dieser Diskus­sio­nen liegt darin begrün­det, daß sich die poli­tis­che Klasse hier einig ist und es gegen diesen Zusam­men­hang keine Oppo­si­tion gibt.

Im Dezem­ber 2010 wies Gün­ter Ver­heugen im Fernse­hen ganz offen darauf hin, als er seinem Kon­tra­hen­ten, dem bekan­nten Euro-Kri­tik­er Joachim Star­bat­ty, erwiderte: „Dieses ganze Pro­jekt europäis­che Ein­heit ist wegen Deutsch­land notwendig gewor­den.“ Es sei immer darum gegan­gen, „Deutsch­land einzu­binden, damit es nicht zur Gefahr wird für andere“. Wenn irgend jemand glaube, daß das 65 Jahre nach Kriegsende keine Rolle mehr spiele, sei man, so Ver­heugen, „vol­lkom­men schief gewick­elt“. Es spiele „jeden Tag noch eine Rolle“.

Ver­heugen und Schmidt sehen in diesem Zusam­men­hang eine unhin­terge­hbare Voraus­set­zung der deutschen Europa­poli­tik, ein Naturge­setz, das man nicht ändern kann und dem man fol­gen sollte, weil es son­st Kon­se­quen­zen gibt. Mit anderen Worten: Der Rest Europas würde sich ein Abwe­ichen von diesem Nexus nicht gefall­en lassen. Wer hier an ein zweites Ver­sailles denkt, liegt also nicht ganz daneben. Thi­lo Sar­razin hat das in seinem Buch Deutsch­land braucht den Euro nicht (2012) getan, wenn auch nicht aus­drück­lich, son­dern geschützt durch Äußerun­gen des Sozi­olo­gen Erich Weede, des Chefredak­teurs der Wirtschaftswoche, Roland Tichy, und des Ökonomen Hans Will­gerodt.

Sie alle haben auf den Zusam­men­hang zwis­chen deutsch­er Schuld und Euro-Ein­führung und die daraus fol­gende Erpreßbarkeit hingewiesen. Sar­razin set­zt das nur fort, wenn er die Wer­bung für Eurobonds (welche die deutsche Mithaf­tung für fremde Schulden auf die Spitze treiben wür­den), wie sie ins­beson­dere von den Grü­nen, der SPD und der Linkspartei betrieben werde, bes­timmt sieht von “jen­em sehr deutschen Reflex, wonach die Buße für Holo­caust und Weltkrieg erst endgültig getan ist, wenn wir alle unsere Belange, auch unser Geld in europäis­che Hände gelegt haben.” Das alles ist getra­gen von der Überzeu­gung, “wonach nur ein let­z­tendlich­es Aufge­hen Deutsch­lands in Europa Deutsch­land vor sich selb­st und die Welt vor Deutsch­land ret­ten könne” (Sar­razin).

Da die deutsche Teilung ein­mal als die gerechte Strafe galt, mußte nach deren Ende eine neue, überzeitliche Dimen­sion, die ewige Schuld, erdacht wer­den. Da diese mit irdis­chen Mit­teln niemals abge­tra­gen wer­den kann, bleibt Deutsch­land erpreßbar. Das Auf­s­pan­nen des „Euro-Ret­tungss­chirms“ gegen die Eurokrise seit 2010 hat den Beweis erbracht, falls es dessen noch bedurfte.

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Lit­er­atur:

  • Insti­tut für Staat­spoli­tik (Hrsg.): Warum Deutsch­land nicht vom Euro prof­i­tiert, Schnell­ro­da 2013
  • David Marsh: Der Euro. Die geheime Geschichte der neuen Weltwährung, Ham­burg 2009
  • Thi­lo Sar­razin: Europa braucht den Euro nicht. Wie uns poli­tis­ches Wun­schdenken in die Krise geführt hat, München 2012
  • Karl Albrecht Schachtschnei­der: Die Sou­veränität Deutsch­lands. Sou­verän ist, wer frei ist, Rot­ten­burg 2012