Auch wenn es seit den 1970er Jahren in der Europäischen Gemeinschaft Überlegungen gab, eine gemeinsame europäische Währung einzuführen, ist die Verwirklichung des Projekts unmittelbar mit der deutschen Wiedervereinigung von 1990 verknüpft. Damals soll der französische Staatspräsident Franois Mitterand als Gegenleistung für seine Zustimmung zur deutschen Einheit von Helmut Kohl die Einführung des Euro gefordert haben. Auch wenn später alle Beteiligten solch einen Handel bestritten haben, gibt es zahlreiche Indizien, die den Zusammenhang zwischen deutscher Einheit und Euro-Währung erhärten.
Deutschland stand vor 1989 den Plänen einer Gemeinschaftswährung skeptisch gegenüber, weil abzusehen war, daß in einem heterogenen Wirtschaftsraum Preisstabilität nur mit Transferleistungen sicherzustellen wäre. Wer diese im Zweifel zu leisten hatte, war ebenso klar. Sicher ist auch, daß Kohl alles tat, um den Euro zu realisieren (Thilo Sarrazin bezeichnete ihn deshalb als den „Moses des deutschen Volkes auf dem Weg zu seiner europäischen Bestimmung“), und er das im Zweifel aufgezwungene Projekt zu seinem eigenen machte.
Der Vertrag von Maastricht (1992) legte die Kriterien für die Herstellung der europäischen Wirtschafts- und Währungsreform fest. 1994 wurden die Vorgängerinstitution der Europäischen Zentralbank (EZB) gegründet und die Haushaltslage der Mitgliedsstaaten auf Stabilität geprüft. Bereits dabei drückte man (u.a. bei Italien) alle Augen zu, um möglichst viele Länder aufnehmen zu können.
Nachdem am 2. Mai 1998 die Einführung des Euro durch die europäischen Staatschefs beschlossen war, begann die finale Phase 1999 mit der Gründung der EZB, der Festlegung der Wechselkurse und der damit einhergehenden Einführung des Euro als Buchgeld. Die betroffenen Völker wurden nicht gefragt. Seit Dezember 2001 begann der Austausch des Bargelds, und am 1. Januar 2002 war der Euro in Deutschland und zehn weiteren Ländern Zahlungsmittel; bis 2015 folgten weitere acht Staaten.
Da die Ablehnung des Euro in Deutschlands phasenweise auch nach der Einführung sehr groß war, wurde das Zustandekommen und die Frage nach dem eigentlichen Ziel des Euro, nämlich die Gängelung und Ausplünderung Deutschlands, immer wieder thematisiert. Helmut Schmidt schlug 2011 in einer Rede einen Bogen von der deutschen Schuld am Holocaust bis zur gemeinsamen Währung und rechtfertigte damit indirekt die Notwendigkeit einer deutschen Mithaftung für die Schulden der Partnerländer. Dieser Sachverhalt ist schon mehrfach thematisiert worden. Die Folgenlosigkeit dieser Diskussionen liegt darin begründet, daß sich die politische Klasse hier einig ist und es gegen diesen Zusammenhang keine Opposition gibt.
Im Dezember 2010 wies Günter Verheugen im Fernsehen ganz offen darauf hin, als er seinem Kontrahenten, dem bekannten Euro-Kritiker Joachim Starbatty, erwiderte: „Dieses ganze Projekt europäische Einheit ist wegen Deutschland notwendig geworden.“ Es sei immer darum gegangen, „Deutschland einzubinden, damit es nicht zur Gefahr wird für andere“. Wenn irgend jemand glaube, daß das 65 Jahre nach Kriegsende keine Rolle mehr spiele, sei man, so Verheugen, „vollkommen schief gewickelt“. Es spiele „jeden Tag noch eine Rolle“.
Verheugen und Schmidt sehen in diesem Zusammenhang eine unhintergehbare Voraussetzung der deutschen Europapolitik, ein Naturgesetz, das man nicht ändern kann und dem man folgen sollte, weil es sonst Konsequenzen gibt. Mit anderen Worten: Der Rest Europas würde sich ein Abweichen von diesem Nexus nicht gefallen lassen. Wer hier an ein zweites Versailles denkt, liegt also nicht ganz daneben. Thilo Sarrazin hat das in seinem Buch Deutschland braucht den Euro nicht (2012) getan, wenn auch nicht ausdrücklich, sondern geschützt durch Äußerungen des Soziologen Erich Weede, des Chefredakteurs der Wirtschaftswoche, Roland Tichy, und des Ökonomen Hans Willgerodt.
Sie alle haben auf den Zusammenhang zwischen deutscher Schuld und Euro-Einführung und die daraus folgende Erpreßbarkeit hingewiesen. Sarrazin setzt das nur fort, wenn er die Werbung für Eurobonds (welche die deutsche Mithaftung für fremde Schulden auf die Spitze treiben würden), wie sie insbesondere von den Grünen, der SPD und der Linkspartei betrieben werde, bestimmt sieht von “jenem sehr deutschen Reflex, wonach die Buße für Holocaust und Weltkrieg erst endgültig getan ist, wenn wir alle unsere Belange, auch unser Geld in europäische Hände gelegt haben.” Das alles ist getragen von der Überzeugung, “wonach nur ein letztendliches Aufgehen Deutschlands in Europa Deutschland vor sich selbst und die Welt vor Deutschland retten könne” (Sarrazin).
Da die deutsche Teilung einmal als die gerechte Strafe galt, mußte nach deren Ende eine neue, überzeitliche Dimension, die ewige Schuld, erdacht werden. Da diese mit irdischen Mitteln niemals abgetragen werden kann, bleibt Deutschland erpreßbar. Das Aufspannen des „Euro-Rettungsschirms“ gegen die Eurokrise seit 2010 hat den Beweis erbracht, falls es dessen noch bedurfte.
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Literatur:
- Institut für Staatspolitik (Hrsg.): Warum Deutschland nicht vom Euro profitiert, Schnellroda 2013
- David Marsh: Der Euro. Die geheime Geschichte der neuen Weltwährung, Hamburg 2009
- Thilo Sarrazin: Europa braucht den Euro nicht. Wie uns politisches Wunschdenken in die Krise geführt hat, München 2012
- Karl Albrecht Schachtschneider: Die Souveränität Deutschlands. Souverän ist, wer frei ist, Rottenburg 2012