497 — Chlodwig I. läßt sich in Reims taufen

Bis heute gilt Chlod­wig als „Vater der franzö­sis­chen Nation“, und die Schlacht bei Zülpich als deren Erweck­ungser­leb­nis. Bis heute erin­nern in Paris Straßen­na­men an die Ereignisse vor über 1500 Jahren: so etwa die kilo­me­ter­lange Rue de Tol­bi­ac (die franzö­sis­che Beze­ich­nung für Zülpich), unter der auch die Met­ro­sta­tion Tol­bi­ac liegt. Eben­so ist die Zülpich­er Brücke, Pont de Tol­bi­ac, eine Verkehrsad­er der Haupt­stadt. Auch Napoleon Bona­parte und sein Bischof Berdo­let wußten um die Bedeu­tung Zülpichs für die Fran­zosen und schenk­ten 1811 der Stadt zwei Mar­mortafeln mit lateinis­ch­er Inschrift, die heute in der Kryp­ta der Peter­skirche auf­be­wahrt wer­den. Die Auf­schriften nen­nen Zülpich, „berühmt durch Chlod­wigs Sieg, der Franken Glück und des Reich­es Wiege“.

Eine ähn­liche Würdi­gung erfährt Chlod­wig in der Wal­hal­la, der Ruhme­shalle der Deutschen nahe Regens­burg. Die zeit­genös­sis­che Sicht bei Entste­hung der Wal­hal­la iden­ti­fizierte das König­tum Chlod­wigs mit der Vol­len­dung der ger­man­is­chen Land­nahme in Frankre­ich. In auf­fal­l­en­der Zurück­hal­tung übt sich indes die deutsche His­to­ri­ogra­phie in der Bun­desre­pub­lik. Ger­adezu erle­ichtert zeigte sich die deutsche Öffentlichkeit, als der franzö­sis­che Botschafter Franois Scheer die Chlod­wig-Ausstel­lung in Zülpich 1996 mit den Worten eröffnete, es sei nicht über­trieben, Chlod­wig als den „ersten Europäer“ zu beze­ich­nen.

Doch nicht nur in Deutsch­land fand die Charak­ter­isierung des Frankenkönigs als europäis­che Inte­gra­tions­fig­ur Zus­tim­mung. So herrscht dur­chaus zu bei­den Seit­en des Rheins — und sei es als kle­in­ster gemein­samer Nen­ner — die Auf­fas­sung vor, daß die Grün­dung des fränkischen Großre­ichs zum Grund­stein des Abend­lan­des wurde: charak­ter­isiert durch antikes Erbe, christliche Prä­gung und lateinis­che For­mung.

Lange galt das Franken­re­ich, im sech­sten und sieben­ten Jahrhun­dert von Erb­stre­it­igkeit­en und Fam­i­lien­zwist inner­lich zer­ris­sen, erst mit der Herrschaft der Karolinger als „salon­fähig“. Neuere archäol­o­gis­che Funde in Frankre­ich bele­gen jedoch, daß die Franken bere­its unter den Merowingern eine wichtige Mit­tler­rolle zwis­chen Antike und Mit­te­lal­ter spiel­ten, zumal sie sich selb­st aus vie­len kleinen Völk­ern zusam­menset­zten. Sie woll­ten das ihnen „zuge­fal­l­ene“ Reich bewahren und über­liefer­ten u.a. das antike Rechts- und Ver­wal­tungssys­tem.

Chlod­wig, als Sohn des Childerich im Jahr 481 in das Geschlecht der Merowinger hineinge­boren, hat­te bis zur Schlacht bei Zülpich das fränkische Reich durch die Eroberung des römisch gebliebe­nen Teils Gal­liens sowie eines großen Teils Ale­man­niens und Aqui­taniens so weit aus­gedehnt, daß es schließlich vom Main bis zur Garonne reichte. Im Jahr 508 machte Chlod­wig dann die römis­che Sied­lung Paris zur Haupt­stadt seines fränkischen Ein­heit­sre­ich­es.

Als erster deutsch­er König trat Chlod­wig zum katholis­chen Chris­ten­tum über und ließ sich — wohl an Heili­ga­bend 497 — durch Bischof Remigius in Reims taufen. Das exak­te Jahr dieses Ereigniss­es ist in der Forschung umstrit­ten, auch das Fol­ge­jahr wird immer wieder genan­nt. Unstrit­tig hinge­gen ist, daß mit der Taufe Chlod­wigs der „Bund zwis­chen Thron und Altar“ geschlossen war. Bew­erten die Fran­zosen die Schlacht bei Zülpich als Erweck­ung der „Grande Nation“, so gilt ihnen die Taufe Chlod­wigs gle­ich­sam als deren Geburt.

In Vergessen­heit mag dabei ger­at­en, daß bei kon­se­quenter Betra­ch­tung der geo­graphis­chen Aus­dehnung des Franken­re­ich­es den Fran­zosen somit ein „Zwill­ings­brud­er“ geboren wor­den war. Denn auch im recht­srheinis­chen Teil seines Reich­es ließ Chlod­wig die Aus­bre­itung des Chris­ten­tums im ger­man­is­chen Volke fördern und ebnete dem christlichen Glauben in Deutsch­land eben­so den Weg wie dem römis­chen Pap­st­tum das Tor zur späteren Reich­skirche des Mit­te­lal­ters. Zugute kam ihm dabei, daß man im Franken­re­ich weit ent­fer­nt war von der über­lege­nen byzan­ti­nis­chen Macht, die den Van­dalen in Afri­ka und den Ost­goten in Ital­ien die Gren­zen aufzeigte.

Auch ermöglichte der König der fränkischen Adelss­chicht die schnelle Sym­biose mit den römis­chen Eliten und ihrer beste­hen­den Infra­struk­tur, welche ger­ade in Gal­lien als einem Her­z­land des ein­sti­gen Wel­tre­ichs über­lebt hat­ten. Zahlre­iche Ange­hörige der alten römis­chen Führungss­chicht sahen Chlod­wig als legit­i­men Nach­fol­ger der Cäsaren an und wuch­sen mit dessen Gefol­gschaft zu einem neuen Dien­stadel zusam­men, der später im fränkischen Lehnsstaat neue Bedeu­tung erlangte.

Damit schuf er einen ideellen Aus­gle­ich zwis­chen der ger­man­is­chen und der unter­wor­fe­nen roman­is­chen Bevölkerung, was ihn in der Wahl der Mit­tel aus­drück­lich vom Ost­gotenkönig Theoderich unter­schei­det, der eher eine poli­tis­che, soziale und religiöse Tren­nung bei­der Bevölkerung­steile betrieb und zudem, wie auch andere ost­ger­man­is­che Stämme, dem Ari­an­is­mus anhing, für den Chris­tus Gott wesen­sähn­lich, aber nicht wesens­gle­ich war. Und nicht zulet­zt schuf Chlod­wig auf diese Weise eine wesentliche Voraus­set­zung für die zukun­ftsweisende Verbindung von Antike, Chris­ten­tum und Ger­ma­nen­tum und für die — auch biol­o­gis­che — Ver­schmelzung von Ger­ma­nen und Roma­nen.

Und wem „gehört“ nun Chlod­wig? Der His­torik­er Karl-Fer­di­nand Wern­er arbeit­et in seinen Veröf­fentlichun­gen her­aus, daß es im Zusam­men­hang mit der Schaf­fung der Reich­sein­heit sowohl auf seit­en franzö­sis­ch­er wie auch auf seit­en deutsch­er His­torik­er eine irrige Annahme gibt: So sei wed­er Gal­lien von „den Franken erobert“ wor­den, noch tre­ffe umgekehrt die franzö­sis­che Auf­fas­sung zu, der Osten Gal­liens und die Gebi­ete östlich des Rheins seien von „den Franken“ erobert wor­den. Vielmehr — so Wern­er — sei das Franken­re­ich von Anfang an auf einem Dual­is­mus begrün­det gewe­sen, der wiederum auf den bei­den wesentlichen Reich­steilen beruhte. Dem­nach habe es nur einen Garan­ten des gemein­samen „reg­num fran­co­rum“ gegeben: das Königshaus Chlod­wigs.

Lit­er­atur:

  • Matthias Bech­er: Merowinger und Karolinger, Darm­stadt 2009
  • Matthias Bech­er: Chlod­wig I. Der Auf­stieg der Merowinger und das Ende der antiken Welt, München 2011
  • Karl-Fer­di­nand Wern­er: Die Ursprünge Frankre­ichs bis zum Jahr 1000, Stuttgart 1989