Bayreuth – Festspielhaus

Bayreuth ist ein Ort, der erst durch die Ansied­lung Richard Wag­n­ers 1872 wirk­lich rel­e­vant gewor­den ist. Vorher hat­te das erst­mals Ende des 12. Jahrhun­derts erwäh­nte fränkische Fleckchen, das bis 1806 unter der Herrschaft der Hohen­zollern  stand und erst infolge der napoleonis­chen Beset­zung an Bay­ern abge­treten wurde, nicht viel Beson­deres an sich. Lediglich einen gewis­sen Ruf als Stadt der Kul­tur hat­te Bayreuth sich seit dem 18. Jahrhun­dert erwor­ben, als eine ganze Rei­he repräsen­ta­tiv­er Baut­en ent­stand und auch die Bayreuther Uni­ver­sität gegrün­det wurde. Die Entschei­dung Wag­n­ers für Bayreuth als Stätte der von ihm geplanten Fest­spiele fiel aber let­ztlich ger­ade auf­grund der rel­a­tiv­en Bedeu­tungslosigkeit und vor allem wegen der Abgeschieden­heit der Stadt. Mit Wag­n­ers Umzug nach Bayreuth, dem Bau von Haus Wah­n­fried und dem 1876 fer­tiggestell­ten, etwas außer­halb der Stadt gele­ge­nen Fest­spiel­haus wurde Bayreuth zum Syn­onym für Wag­n­er, für seine Kun­st und seine Weltan­schau­ung.

Die Musik Wag­n­ers war von Anfang an umstrit­ten, und bis heute ist die Einord­nung Wag­n­ers in die Musikgeschichte des Abend­lan­des schwierig, inner­halb der­er er manchen ger­adezu als Fremd­kör­p­er erscheint. Diese Auf­fas­sung mag man für über­trieben hal­ten — ein Beispiel für die auf mitunter ver­schlun­genen Wegen ablaufende Wag­n­errezep­tion ist die Nutzung der Leit­mo­tivtech­nik in der Film­musik des 20. Jahrhun­derts aber tat­säch­lich sind die Wag­neropern schon allein ihres aus­laden­den Umfangs wegen nur mit Mühe in den all­ge­meinen Gang des kul­turindus­triellen Musik­be­triebs zu inte­gri­eren. Und auch wenn die Musik Mozarts, Beethovens und ander­er sowohl Anhänger als auch Geg­n­er gefun­den hat, so ist das doch kaum ver­gle­ich­bar mit dem Grad an Inten­sität, ja an Beken­nt­niszwang, der mit Richard Wag­n­ers musikalis­chem Schaf­fen ver­bun­den ist. Das hängt wiederum vor allem mit dem Wag­n­er­schen Konzept des Gesamtkunst­werks zusam­men, das es ver­bi­etet, die Musik von dem durch sie trans­portierten Inhalt zu tren­nen.

Wag­n­ers Werk kann daher auch nicht ohne die Weltan­schau­ung ver­standen wer­den, die in Bayreuth ihre prak­tis­che Anwen­dung fand. Poli­tisch war Wag­n­er seit den 1830er Jahren rev­o­lu­tionär-lib­eraler »Jungdeutsch­er« und 1848 Anhänger der Märzrev­o­lu­tion. Ein pri­vat wie öffentlich ver­wick­eltes Leben brachte ihn schließlich nach Bay­ern, wo er neben der Unter­stützung König Lud­wigs II. (†’Neuschwanstein) auch diejenige des 1871 gegrün­de­ten deutschen Kaiser­re­ichs gewann. Allerd­ings beobachtete Wag­n­er die poli­tis­che Entwick­lung Deutsch­lands weit­er­hin mit aus­ge­sproch­en­er Skep­sis. Seine Kul­turkri­tik machte ger­ade bei Preußen und den Hohen­zollern nicht halt; was dem später der »Deutschtümelei« Verdächtigten vorschwebte, war keine poli­tis­che Weltherrschaft Deutsch­lands, son­dern ein Wel­tre­ich des deutschen Geistes, wie es inter­es­san­ter­weise nach Wag­n­ers Tod 1883 auch der nach­haltig von dem berühmten Wag­ne­r­i­an­er Hous­ton Stew­art Cham­ber­lain bee­in­flußte Kaiser Wil­helm II. propagierte.

Wag­n­er ging aber noch weit­er und ver­trat die Auf­fas­sung, daß der deutsche Geist in beson­der­er Weise berufen sei, die kul­turz­er­stören­den Ten­den­zen der Mod­erne zu bekämpfen. Vor allem der im Nieder­gang begrif­f­e­nen Reli­gion wollte er mit Hil­fe sein­er Kun­st zu ein­er umfassenden »Regen­er­a­tion« ver­helfen. In seinem berühmten, 1880 veröf­fentlicht­en Auf­satz über »Reli­gion und Kun­st« faßte er sein Anliegen präg­nant zusam­men: »Man kön­nte sagen, daß da, wo die Reli­gion kün­stlich wird, der Kun­st es Vor­be­hal­ten sei, den Kern der Reli­gion zu ret­ten, indem sie die mythis­chen Sym­bole, welche die erstere im eigentlichen Sinne als wahr geglaubt wis­sen will, ihrem sinnbildlichen Werte nach erfaßt, um durch ide­ale Darstel­lung der­sel­ben die in ihnen ver­bor­gene tiefe Wahrheit erken­nen zu lassen.« Wag­n­er knüpfte damit an — im weitesten Sinne roman­tis­che — Bestre­bun­gen an, die seit dem Ende des 18. Jahrhun­derts von der »Deutschen Bewe­gung« (Her­man Nohl) ver­fol­gt wur­den und die auf eine umfassende poli­tis­che, kul­turelle und religiöse Erneuerung Deutsch­lands abziel­ten. Das Mit­tel dazu sollte eine Syn­these aus Deutsch­tum und Chris­ten­tum sein, und vieles spricht dafür, ger­ade die späteren Werke Richard Wag­n­ers unter diesem Aspekt zu ver­ste­hen: den Ring als Tradierung ger­man­is­ch­er Mytholo­gie, die Bear­beitung des Gralsmo­tivs in Par­si­fal und Lohen­grin als deutschchristlichen Syn­the­sev­er­such.

Eine solche Inter­pre­ta­tion wurde jeden­falls von den Anhängern des Meis­ters propagiert, die sich schon zu dessen Lebzeit­en zum »Bayreuther Kreis« formierten und die nach Wag­n­ers Tod dessen Sendung weit­er­ver­fol­gten. Im Zen­trum standen Wag­n­ers Witwe Cosi­ma sowie Hans von Wol­zo­gen; die größte Ver­bre­itung aber fand die Wag­n­er­sche Lehre durch deren eigen­willige Sys­tem­a­tisierung in den Grund­la­gen des XIX. Jahrhun­derts von Hous­ton Stew­art Cham­ber­lain. Dieses Buch prägte eine ganze Gen­er­a­tion von Jugend­be­wegten, bei denen protes­tantis­che Ern­sthaftigkeit sich mit ein­er zunehmenden Kirchen­ferne ver­band. Die Vorstel­lun­gen des Bayreuther Kreis­es waren rel­a­tiv het­ero­gen, gin­gen etwa von einem deutschen, aber tra­di­tionell geprägten Chris­ten­tum bis hin zu völkischen Entwür­fen. Es waren daher auch nicht so sehr die expliz­it weltan­schaulichen Vor­gaben, die eine gewisse Bre­it­en­wirkung ent­fal­teten, son­dern eher eine durch Wag­n­ers Musik und die von ihm bear­beit­eten the­ma­tis­chen Stoffe infizierte Atmo­sphäre.

Daß auch Hitler sich zu den Wag­ne­r­i­an­ern zählte, ist natür­lich kein Zufall, zumal nicht nur Cham­ber­lain, son­dern auch Wag­n­er selb­st im Anti­semitismus ein Ele­ment ihrer Weltan­schau­ung sahen. Thomas Manns Ausspruch, es stecke »viel Hitler in Wag­n­er«, ist aber unvoll­ständig, wenn man unter­schlägt, wie sehr Mann selb­st von Wag­n­er fasziniert war, dessen Kun­st er als »die sen­sa­tionell­ste Selb­st­darstel­lung und Selb­stkri­tik deutschen Wesens, die sich erdenken läßt«, betra­chtete, die ange­tan sei, »selb­st einem Esel von Aus­län­der das Deutsch­tum inter­es­sant zu machen«. Die Bayreuther Fest­spiele wur­den daher auch zu Recht nach 1945 nicht abgeschafft, Wag­n­er nicht aus den Spielplä­nen gestrichen, und alle Ver­suche in Rich­tung ein­er leichteren Kon­sum­ier­barkeit oder ein­er ide­ol­o­gisch motivierten »Dekon­struk­tion« durch neuere Insze­nierun­gen ändern doch nichts daran, daß in Wag­n­ers Kun­st ein Stück deutschen Geistes unz­er­stör­bar weit­er­lebt.

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Lit­er­atur:

  • Siegfried Ger­lich: Richard Wag­n­er — die Frage nach dem Deutschen. Philoso­phie, Geschichts­denken, Kul­turkri­tik, Wien 2013
  • Thomas Mann: Wag­n­er und unsere Zeit, Frank­furt a. M. 1963
  • Win­fried Schüler: Der Bayreuther Kreis von sein­er Entste­hung bis zum Aus­gang der wil­helminis­chen Ära. Wag­n­erkult und Kul­tur­reform im Geiste völkisch­er Weltan­schau­ung, Mün­ster 1971
  • Richard Wag­n­er: Reli­gion und Kun­st [1880], in: ders.: Dich­tun­gen und Schriften, Bd. 10, Frank­furt a. M. 1983, S. 117–163