Bremen – Böttcherstraße

Die Bre­mer Böttch­er­straße war, wie der Name sagt, ursprünglich Wohn- und Arbeit­splatz der Faß­mach­er. Sie bestand seit dem Mit­te­lal­ter aus ein­er Rei­he klein­er, eher dun­kler und wenig ansehn­lich­er Gebäude. Daß sie seit den 1920er Jahren zu den Sehenswürdigkeit­en der alten Hans­es­tadt zählt, geht auf die Ini­tia­tive des Großkauf­manns Lud­wig Roselius zurück. Roselius hat­te ein Ver­mö­gen durch die Erfind­ung des entkof­feinierten Kaf­fees – »Kaf­fee HAG« – gemacht und sich seit der Vorkriegszeit als Phil­an­throp, Kun­st­samm­ler und Mäzen betätigt. Für ihn typ­isch
war auch die Verknüp­fung von Geschäftsin­ter­esse, prak­tis­chem Sinn und Vision beim Umbau der Böttch­er­straße. Schon das zuerst erwor­bene Haus, die Nr. 6, das älteste und schön­ste Gebäude
der Böttch­er­straße, hat­te Roselius zum Ver­wal­tungssitz sein­er Fir­ma gemacht, ab 1928 nahm es seine Kun­st­samm­lung auf und wurde in »Roselius-Haus« umbe­nan­nt. Ähn­lich ging es mit den Lager­häusern in Nr. 4 und 5, in die seine Haus­bank, die Bre­men-Ameri­ka-Bank, ein­zog.

Zwis­chen 1923 und 1927 wurde die ganze, vom Markt aus gese­hen, rechte Seite der Straße neu gestal­tet. Den Auf­trag dazu erhiel­ten die ange­se­henen Bre­mer Architek­ten Alfred Runge und Eduard
Scot­land. Sie grif­f­en auf tra­di­tionelle Vor­gaben zurück, vor allem Muster der Bre­mer Weser­re­nais­sance, und fan­den damit all­ge­meine Anerken­nung. Deut­lich anders ver­hielt es sich mit dem Paula-Beck­er-Mod­er­sohn-Haus, das Roselius von seinem Fre­und, dem Bild­hauer Bern­hard Hoet­ger, erricht­en ließ. Hoet­ger, der nach Lehr- und Wan­der­jahren, die ihn u. a. nach Paris und durch die Schule Rodins geführt hat­ten, in der Kün­stlerkolonie Worp­swede eine Heimat fand, war kein Architekt und gestal­tete das Beck­er-Mod­er­sohn-Haus eher wie eine Skulp­tur. Das erk­lärt die »organ­is­che« For­mung der Innen­räume eben­so wie die naturhafte Wirkung der vielfach gebroch­enen Fas­sade, aus der Orna­mente und relie­far­tige Sym­bole her­vortreten. Immer­hin hat die Ver­wen­dung des Back­steins hier wie bei den Gebäu­den von Scot­land und Runge einen har­monis­chen Gesamtein­druck hin­ter­lassen. Trotz­dem gab es nach der Vol­len­dung 1927 auch irri­tierte Stim­men, die sich vor allem an expres­sion­is­tis­chen Ele­menten und dem Mod­ernismus des Haus­es störten.

Zu beto­nen ist aber, daß sich die Kri­tik am For­malen, nicht an der inhaltlichen Bes­tim­mung entzün­dete, denn das von Roselius for­mulierte Pro­gramm – »Die Wieder­errich­tung der Böttch­er­straße ist ein Ver­such, deutsch zu denken« – kon­nte in der Zwis­chenkriegszeit dur­chaus auf bre­it­ere Zus­tim­mung rech­nen. Prob­lema­tisch erschien nur die Art und Weise, in der Roselius diesem »Ver­such, deutsch zu denken«, kün­st­lerischen Aus­druck ver­schaf­fen wollte. Bis Mitte der zwanziger Jahre waren seine Vorstel­lun­gen eher restau­ra­tiv gewe­sen. Das änderte sich unter dem Ein­fluß Hoet­gers, der bei den expres­sion­is­tis­chen Stürmern und Drängern der Zeit als eine Art Führerfig­ur galt. Eine wichtige Rolle für dessen Abwen­dung von der Klas­sik spielte die Auseinan­der­set­zung mit prim­i­tiv­er Kun­st afrikanis­ch­er und poly­ne­sis­ch­er Herkun­ft, deren Ursprünglichkeit er aber auch als etwas ver­stand, das dem »Nordis­chen« ungle­ich näher kam als die Bemühun­gen eines völkischen Real­is­mus.

Die Angst, daß die Böttch­er­straße nichts anderes sein werde als ein attrak­tives, kom­merziell nutzbares, aber in ihrem Aus­druck unschöpferisches Ganzes, hat Roselius offen­bar dazu ver­an­laßt,
Hoet­ger für die Gestal­tung der Gebäude, mit denen er beauf­tragt wurde, weit­ge­hend freie Hand zu lassen. Das galt schon für das Beck­er-Mod­er­sohn-Haus und dann erst recht für das Haus Atlantis. Auch hier fand sich die Kom­bi­na­tion aus Brauch­barkeit und Weltan­schaulichem. So beherbergte das Haus neben Klub- und Ver­anstal­tungsräu­men, darunter der große »Him­melssaal« im Dachgeschoß, ein »Insti­tut für Gesund­heit und Leis­tung«, eine Art Fit­ness-Zen­trum, das auch dem Betrieb­ss­port der Angestell­ten von Roselius diente, Bib­lio­theks- und Leseräume sowie einen muse­alen Bere­ich für die »Samm­lung Väterkunde«. Anders als im Roselius- oder im Beck­er-Mod­er­sohn-Haus ging es in der Samm­lung aber nicht um die Präsen­ta­tion wertvoller Kunst­werke, son­dern um die Ver­mit­tlung eines bes­timmten Geschichts­bildes, in dessen Zen­trum die Idee stand, daß die »nordis­che Rasse« die einzige kul­turschöpferische sei, mit einem nordis­chen Atlantis als ihre Urheimat, die in der Vorzeit durch eine Flutkatas­tro­phe ver­nichtet wor­den sei und deren Über­lebende dann in allen Teilen der Welt mit ihrem über­lege­nen Wis­sen befruch­t­end gewirkt
hät­ten. Von entsprechen­den – stark durch Her­man Wirth bee­in­flußten – Ideen war auch eine über die ganze Höhe der Fas­sade reichende Skulp­tur geprägt, die das Rad­kreuz und einen Lebens­baum miteinan­der kom­binierte, an dem Odin sich selb­st gekreuzigt hat­te. Nach Fer­tig­stel­lung war aber nicht nur Wirth, son­dern auch die bre­it­ere Öffentlichkeit entset­zt, denn Hoet­gers Fig­ur des Gekreuzigten bedeck­te an den Lenden eine Art Fellschurz, der Kör­p­er wirk­te aus­ge­mergelt, der Kopf selt­sam über­pro­por­tion­iert und masken­haft unmen­schlich. Roselius vertei­digte
zwar das Werk seines Fre­un­des, aber nach Hitlers Machtüber­nahme sah er sich gezwun­gen, den offiziellen Führer der Böttch­er­straße mit einem Hin­weis zu verse­hen, daß das »Paula Beck­er-Mod­er­sohn-Haus und der Lebens­baum vor dem Hause Atlantis keines­falls der heuti­gen nation­al­sozial­is­tis­chen Kun­stan­schau­ung entsprechen«.

Dieser Akt der Selb­stzen­sur blieb nicht der einzige, dem sich Roselius und Hoet­ger unter­war­fen. Geholfen hat das nichts. Im Früh­jahr 1935 begann Das Schwarze Korps, die Wochen­zeitung der SS, die ihre beson­dere Auf­gabe darin sah, »verdeck­te« Geg­n­er des Sys­tems zu ent­lar­ven, mit Angrif­f­en auf Roselius und Hoet­ger, und in sein­er großen kul­tur­poli­tis­chen Rede auf dem Nürn­berg­er Parteitag von 1936 erk­lärte Hitler dann unmißver­ständlich, der »Nation­al­sozial­is­mus lehnt diese Art von Böttch­er­straßen-Kul­tur schärf­stens ab«. Die Ange­grif­f­e­nen unter­war­fen sich nicht nur dem Dik­tum Hitlers bedin­gungs­los, sie macht­en ihrer­seits Vorschläge, wie man die »Kul­turschande« beheben könne. Zu den wichtig­sten Verän­derun­gen gehörte ohne Zweifel die Ent­fer­nung des expres­sion­is­tis­chen Ziegel- und Bunt­glas­ge­füges über dem Ein­gangstor der Böttch­er­straße, das Hoet­ger durch ein gold­schim­mern­des Relief erset­zen ließ, das einen vom Him­mel her­ab­stoßen­den Engel mit Schw­ert zeigte, der einen Drachen nieder­schlägt. Zeit­gle­ich bat Roselius Hitler per­sön­lich um Abän­derungsvorschläge, der entsch­ied aber, daß keine Kor­rek­turen vorzunehmen seien, vielmehr solle die Böttch­er­straße der Nach­welt als abschreck­endes Beispiel für »entartete Kun­st« erhal­ten bleiben: Nach der Bege­hung durch Albert Speer wurde das ganze Ensem­ble ein halbes Jahr später zu diesem Zweck sog­ar unter Denkmalschutz gestellt.

Gerettet hat das die Böttch­er­straße nicht vor den alli­ierten Luftan­grif­f­en auf Bre­men am 19. August und 6. Okto­ber 1944. Nur das Haus Atlantis blieb weit­ge­hend unversehrt, die Stahlkon­struk­tion war sta­bil genug. Indes wurde der Lebens­baum zum großen Teil ein Opfer der Flam­men. Daß man bei der Rekon­struk­tion der Böttch­er­straße, die 1954 abgeschlossen war, nicht an eine Restau­ra­tion dachte, wird man vielle­icht als ver­ständlich anse­hen, aber bis 1965 wur­den auch die Reste der Hoet­ger­schen Fas­sade unken­ntlich gemacht. Lediglich Trep­pen­haus und Him­melssaal
ließen die neuen pri­vat­en Eign­er restau­ri­eren. Immer­hin kann man auch heute dur­chaus noch einen Ein­druck von diesem ambi­tion­ierten und eigen­willi­gen Ver­such »nationalen Bauens« gewin­nen, wenn man die Böttch­er­straße besucht.

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Lit­er­atur:

  • Daniel Schreiber (Hrsg.): Ewald Mataré und das Haus Atlantis. Eine Kun­st­geschichte zwis­chen Hoet­ger und Beuys, Bre­men 2005
  • Arn Strohmey­er: Der gebaute Mythos. Das Haus Atlantis in der Bre­mer Böttch­er­straße. Ein deutsches Mißver­ständ­nis, Bre­men 1993
  • Hans Tal­lasch (Hrsg.): Pro­jekt Böttch­er­straße, Del­men­horst 2002