Der Brand — Jörg Friedrich, 2002

Der Brand war Jörg Friedrichs erster Best­seller. Er hat­te auch mit seinen früheren Büch­ern Aufmerk­samkeit erregt, aber kein Auf­se­hen. Das war bei Der Brand anders, weil die Deutschen, das »Täter­volk «, als Opfer erscheinen mußten, und ein­er das unmißver­ständlich zur Sprache brachte und doch nicht in das Bild paßte, das man sich gewöhn­lich von einem Revi­sion­is­ten machte.

Der Brand präsen­tiert ein Szenario des Schreck­ens, zusam­menge­set­zt – beina­he pointil­lis­tisch – aus ein­er Vielzahl von Details. Neben die Darstel­lung der Genese des total­en Luftkriegs tritt die Schilderung des mil­itärischen Geschehens der »oberen Lin­ie«, neben den Plä­nen der Tech­niker zur Ver­nich­tung großer Teile der deutschen Zivil­bevölkerung ste­ht die Auseinan­der­set­zung mit Fra­gen der prak­tis­chen Durch­führbarkeit und die Unzahl von Schilderun­gen aus Opfer­per­spek­tive. Auch dabei geht es Friedrich um ganz ver­schiedene Facetten, in denen sich dieWirk­lichkeit spiegelt: die kindliche Begeis­terung für die »Tan­nen­bäume« (Markierun­gen, die die Vorhut der Bomber­flot­ten set­zte), den bürokratis­chen Aufwand bei der Kon­trolle der allfäl­li­gen Ver­dunkelung,
die unwirk­liche Idylle der Bunkerge­mein­schaft und jenen »Her­rn Singer«, einen deutschen Juden, dem eigentlich der sichere Ort ver­wehrt war, den die Insassen aber doch gegen den Wider­stand
des »Luftschutzwarts« here­in­nah­men, die Sorge um den Köl­ner Dom, der ver­schont bleibt, die Zer­störung von Goethes Geburtshaus in Frank­furt am Main, die Leichen­streck­en und die Arbeit der »Iden­ti­fizierungskom­man­dos«, der erste Angriff auf Freiburg am Beginn und der Holo­caust von Dres­den am Ende.

Es hat bei den Lesun­gen aus Der Brand immer wieder Störver­suche gegeben. Damit war zu rech­nen. Was Friedrich als Autor stärk­er irri­tierte, war, daß auch in den durch Bom­barde­ments  zer­störten Städten Ange­hörige der Erleb­nis­gen­er­a­tion diese Art der Kriegführung als notwendig und moralisch legit­im bejaht­en. Friedrichs Ver­störung darüber ist auch eine über den Erfolg jen­er zweit­en Umerziehung, der seine eigene, die APO-Gen­er­a­tion, die Deutschen unter­wor­fen hat. Friedrich gehörte zu den Pro­tag­o­nis­ten der Stu­den­ten­be­we­gung und hat – was sel­ten gese­hen wird – einen weit­en Weg zurück­gelegt, von sein­er ersten Beschäf­ti­gung mit der Ent­naz­i­fizierung über das zen­trale Werk, das er zum »Gesetz des Krieges« geschrieben hat, bis zur bis­lang let­zten Veröf­fentlichung, die den Korea-Kon­flikt behan­delt.

Es kann eigentlich gar nicht anders sein, als daß ihm bei der inten­siv­en Beschäf­ti­gung mit der mod­er­nen Kriegs­geschichte – von der Franzö­sis­chen Rev­o­lu­tion über den amerikanis­chen Bürg­erkrieg, die bei­den Weltkriege bis zu den Kon­flik­ten nach 1945 – aufge­gan­gen ist, wie unredlich das dauernde Gerede über »Unver­gle­ich­barkeit­en« wirkt, sobald man sich tat­säch­lich die Mühe des Ver­gle­ichs macht.

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Zitat:

Über den Bombenkrieg ist viel geschrieben wor­den, seit langem aber nichts über seine Lei­de­form.

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Aus­gabe:

  • Spiegel-Edi­tion, Bd. 35, Ham­burg: Spiegel 2007

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Lit­er­atur:

  • Karl­heinz Weiß­mann: Autoren­por­trait Jörg Friedrich, in: Sezes­sion (2008), Heft 23