Der preußische Stil — Arthur Moeller van den Bruck, 1916

Der preußis­che Stil war ohne Zweifel das schön­ste und geschlossen­ste Buch Moeller van den Brucks. Die erste Aus­gabe veröf­fentlichte Rein­hold Piper (München) im Jahr 1916, die zweite erschien kurz nach Ende des Krieges, 1922. Eine dritte gab nach dem Tod Moellers 1931 der Wil­helm Korn Ver­lag (Bres­lau) her­aus, der nach dem Zweit­en Weltkrieg in München wiederge­grün­det wurde (als Bergstadtver­lag Wil­helm Got­tlieb Korn) und 1953 noch eine weit­ere – die bish­er let­zte – Aus­gabe des Preußis­chen Stils besorgte. Ins­ge­samt sollen achtund­dreißig­tausend Exem­plare des Buch­es gedruckt wor­den sein, das seit 1916 nur eine erhe­bliche Verän­derung erfuhr, als Moeller für die zweite Auflage das Schlußkapi­tel erweit­erte, einen Abschnitt hinzufügte und die Kri­tik des Wil­helmin­is­mus ver­schärfte; die Aus­gaben von 1931 und 1953 wur­den von Hans Schwarz und der Witwe Moellers stilis­tisch bear­beit­et; let­ztere ist auch ver­ant­wortlich für den dilet­tan­tis­chen Ein­griff im let­zten Teil der Aus­gabe von 1953.

Der Preußis­che Stil ste­ht nicht nur zeitlich in der Mitte von Moellers Werk, es verbinden sich in ihm auch am deut­lich­sten die bei­den Haup­taspek­te seines Denkens: der kün­st­lerische und kun­st­the­o­retis­che ein­er­seits, der poli­tis­che und his­torische ander­er­seits. Dabei genoß der ästhetis­che Aspekt für Moeller immer einen Vor­rang, was auch am Preußis­chen Stil fest­stell­bar ist. Die Gliederung des Buch­es fol­gt im ersten Teil der Chronolo­gie, behan­delt die Ära des großen Baumeis­ters Schlüter als Eröff­nung, den Klas­sizis­mus von Lang­hans und Gilly als Vol­len­dung des »preußis­chen Stils«, während mit Schinkel für Moeller schon der Abstieg begin­nt. Eigentlich müßte man hier anstelle von »Klas­sizis­mus« die Wen­dung »Wiedergewin­nung des Klas­sis­chen« set­zen, denn Moeller betra­chtete den Klas­sizis­mus, wie er sich seit der Renais­sance als reine Nachah­mung der Antike durchge­set­zt hat­te, mit Miß­bil­li­gung, weil ihm der schöpferische Impuls fehlte. Erst die Ein­sicht in die »Wahlver­wandtschaft« des Griechis­chen und des Deutschen hat wirk­lich »zur Stil­ver­wandtschaft«, zu ein­er neuen Auf­nahme des Klas­sis­chen, geführt.

Moeller glaubte, daß schon im gotis­chen »Kolo­nial­stil« der askanis­chen Mark­grafen bes­timmte Momente dieser Klas­siz­ität vor­weggenom­men wor­den sind und sie sich dann trotz der barock­en Über­for­mung in Schlüters Architek­tur aus­ge­drückt hat. Sog­ar in dem Entwurf des ganz und gar unkün­st­lerischen Friedrich Wil­helm I. für seine Sol­dat­en- und Beamten­häuser in Pots­dam ist sie laut Moeller wirk­sam gewe­sen. Pots­dam hat sein eigentlich­es Gepräge trotz­dem erst unter Friedrich dem Großen erhal­ten und ist so zum Gesamtkunst­werk des preußis­chen Stils gewor­den: »Pots­dam ist fritzisch. Die Seele dieser Stadt ist die Seele Friedrichs des Großen: was unsterblich an sein­er Wesen­heit war, das blieb in ihr räum­lich als Ver­mächt­nis zurück.« Und »das Geheim­nis von Pots­dam« war: »durch Ein­fach­heit vornehm zu wirken«. In dieser For­mulierung ist vielle­icht am präg­nan­testen gesagt, was Moeller unter »preußis­chem Stil« ver­stand: eine »edel­kalte Form«.

Der zweite Teil des Buch­es begin­nt mit einem Kapi­tel, das aus­drück­lich die Über­schrift »Stil« trägt. Stil ist »selb­st­gestaltig« und »nur auf geistiger Grund­lage möglich, auf mythis­ch­er oder religiös­er oder meta­ph­ysis­ch­er Grund­lage, je nach den Zeit­en, aber nicht auf der­jeni­gen des täglichen, sinnlichen, sich selb­st über­lasse­nen, und wäre es des kün­st­lerischen Lebens. Stil ist Zusam­men­fas­sung, Flächenge­füge, Meißelschlag sein­er Zeit: Bindung des Unge­bun­de­nen für die Ewigkeit, die nach uns kommt: Stil ist Architek­tonik in jeglich­er Kun­st«. Der Stil entspricht ein­er Form, aber er geht nicht aus ihr her­vor. Als geistiges Prinzip bedarf er eines über­lege­nen Wil­lens, der ihm Aus­druck ver­schafft, und dieser Aus­druck beschränkt sich keineswegs auf die Kun­st, »da Leben nun dauernd nur unter Form möglich ist«. Dementsprechend wirk­te sich der »preußis­che Stil« auch in allen son­sti­gen Leben­säußerun­gen des preußis­chen Staates aus: seinem »Mil­i­taris­mus« und seinem Beam­ten­tum, seinen Tugen­den und Kants Philoso­phie.

Seinen Unter­gang erlebte dieser Stil, als Preußen den Höhep­unkt sein­er Macht erre­icht zu haben schien. Mit der Reichs­grün­dung von 1871 begann die »Ent­preußung«, beim Rück­tritt Bis­mar­cks, 1890, war sie vol­len­det. Moeller sah in diesem Prozeß keine Zwangsläu­figkeit, da eine Kul­tur immer stärk­er von geisti­gen als von natür­lichen Bedin­gun­gen abhängig sei. Preußens Nieder­gang im 19. Jahrhun­dert war, fol­gt man Moeller, durch den Man­gel an bedeu­ten­den Repräsen­tan­ten verur­sacht. Das Deutsche set­zte sich wieder gegen das Preußis­che durch, das Schwärmerische gegen das Stois­che, das Roman­tis­che gegen den Stil.

Bedenkt man, welche Bedeu­tung die Roman­tik für das nationale Selb­stver­ständ­nis der Deutschen im 19. und auch zu Beginn des 20. Jahrhun­derts besaß, war diese Volte gegen die Roman­tik bemerkenswert. Moeller legte hier seinen Fin­ger auf einen wun­den Punkt, wenn er die oft und nicht nur von ihm bemerk­te Form­feindlichkeit des Deutschen, seine anar­chis­che, chao­tis­che Nei­gung, glaubte bis in die Anfänge der deutschen Geschichte zurück­ver­fol­gen zu kön­nen. Preußen war vor allen Din­gen im Poli­tis­chen antiro­man­tisch, die Gegen­po­si­tion zu jen­er »ghi­bellinisch-mys­tis­chen Selb­st­täuschung«, in der befan­gen die Deutschen seit dem Ver­fall der stau­fis­chen Macht lebten, die ein­er­seits die impe­ri­alen Vorstel­lun­gen des Mit­te­lal­ters beflügelt, ander­er­seits den Real­itätsver­lust der immer weit­er an ihrem Über­staat jen­seits nationaler Begren­zung fes­thal­tenden Deutschen bewirkt hat­te.

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Zitat:

Stil ist Gesetz. Roman­tik ist Geset­zlosigkeit. Auch sie hat ihr Recht im Leben eines Volkes, wenn sie aus einem Über­schwange sein­er Men­schen kommt, wenn sie Wag­nis ist, Her­aus­forderung des Schick­sals, Auf­bruch zu unent­deck­ten Ges­taden. Aber wenn ein Volk nicht an dieser Roman­tik zer­schellen soll, dann muß es gle­ich­wohl Bindun­gen geben, die das Leben des Volkes erhal­ten, die es inner­lich zusam­men­hal­ten – starke Klam­mern der Gemein­schaft und feste For­men der Über­liefer­ung.

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Aus­gabe:

  • 2. Auflage, neue Fas­sung (erweit­ert und verän­derte Bild­beiga­be), München: Piper 1922

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Lit­er­atur:

  • Dieter Bartet­zko: Unter dem Berufe des Kriegerischen. Ein Mißver­ständ­nis: Arthur Moeller van den Brucks preußis­ch­er Stil, in: Patrick Bahners/Gerd Roel­lecke (Hrsg.): Preußis­che Stile. Ein Staat als Kun­st­stück, Stuttgart 2001