Blumenwitz, Dieter, Völkerrechtler, 1939–2005

Dieter Blu­men­witz, geboren am 11. Juli 1939 in Regens­burg, zählte zu den pro­fil­ierten Völk­er­rechtlern der Bun­desre­pub­lik Deutsch­land. Seine beson­deren Schw­er­punk­te gal­ten der völk­er­rechtlichen Posi­tion Deutsch­lands nach dem Zweit­en Weltkrieg und dem Min­der­heit­en­recht. Hier galt seine beson­dere Aufmerk­samkeit der rechtlichen Stel­lung der deutschsprachi­gen Min­der­heit­en in Europa sowie der heimatver­triebe­nen Deutschen nach 1945.

Eine enge Zusam­me­nar­beit bestand mit der Sude­tendeutschen Lands­man­nschaft. In diesem Zusam­men­hang ver­suchte er, das völk­er­rechtlich schw­er faßbare »Recht auf Heimat« zu ver­rechtlichen; er ver­trat die Ansicht, daß ein Großteil der deutschen Ver­triebe­nen einen Recht­sanspruch auf »Rück­führung zur alten Heimat­stätte und zu ihrem Besitz« besäße, der auch inter­na­tion­al durch­set­zbar sei. Ein weit­er­er Schw­er­punkt seines wis­senschaftlichen Œuvre galt seit einem Aus­land­saufen­thalt als Schüler in Pasade­na (Kali­fornien) dem »anglo-amerikanis­chen Recht« (Com­mon Law) sowie dem Inter­na­tionalen Pri­va­trecht.

Während seines Studi­ums der Rechtswis­senschaften und der Poli­tis­chen Wis­senschaften in München, unter­brochen durch ein von der EG-Kom­mis­sion gefördertes Aus­landsse­mes­ter in Straßburg, gehörte Blu­men­witz zu den Schülern des Völk­er­rechtlers Friedrich Berber, der vor 1945 zu den Beratern des Auswär­ti­gen Amtes gehört hat­te. Er wurde bei ihm 1966 mit ein­er Arbeit über die »Grund­la­gen eines Friedensver­trages mit Deutsch­land« pro­moviert und 1970 von der Münch­en­er Fakultät für Öffentlich­es Recht, Staat­srecht und Völk­er­recht habil­i­tiert (Der Schutz inner­staatlich­er Rechts­ge­mein­schaften beim Abschluß völk­er­rechtlich­er Verträge, 1972). Zwis­chen­zeit­ig war er Assis­tent bei Murad Ferid am Insti­tut für Rechtsver­gle­ichung. Wenig später wurde er als Völk­er­rechtler an die 1971 gegrün­dete bay­erische »Refor­mu­ni­ver­sität« Augs­burg berufen. Von dort wech­selte er 1976 als Nach­fol­ger des recht­skatholis­chen Völk­er­rechtlers und CSU-Poli­tik­ers Friedrich August von der Hey­dte an die Uni­ver­sität Würzburg auf den Lehrstuhl für Völk­er­recht, All­ge­meine Staat­slehre, deutsches und bay­erisches Staat­srecht und poli­tis­che Wis­senschaften. Diesen Lehrstuhl sollte er bis zu seinem uner­warteten Tod nach kurz­er schw­er­er Krankheit bek­lei­den.

Einen sein­er let­zten öffentlichen Auftritte hat­te er im Okto­ber 2004 anläßlich ein­er zeit­geschichtlichen Fach­ta­gung des Bun­des der Ver­triebe­nen in Ell­wan­gen. Bere­its vor seinem Wech­sel nach Würzburg war Blu­men­witz als ein völk­er­rechtlich­er Berater der von der CSU gestell­ten bay­erischen Staat­sregierung her­vor­ge­treten; so ver­trat er 1973 den Freis­taat vor dem Bun­desver­fas­sungs­gericht in sein­er Klage gegen den Grund­la­gen­ver­trag, die in großen Teilen Erfolg hat­te. Im Auf­trag der »Kul­turs­tiftung der deutschen Ver­triebe­nen« erstellte er mehrere
Gutacht­en zur Wieder­her­stel­lung der staatlichen Ein­heit Deutsch­lands, die 1990 als Buch erschienen.

Fern­er ver­faßte er Gutacht­en zu deutsch-pol­nis­chen Städtepart­ner­schaftsabkom­men, die er bei Städten in den ehe­ma­li­gen Ost­ge­bi­eten für ver­fas­sungswidrig hielt, und der Darstel­lung der deutschen Gren­zen in Karten­werken. Nach der Wiedervere­ini­gung 1990 set­zte Blu­men­witz sein Engage­ment für die Ver­triebe­nen unge­brochen fort. Er plädierte für ein Offen­hal­ten der Ver­mö­gen­sansprüche deutsch­er Ver­trieben­er in den deutsch-pol­nis­chen Beziehun­gen und ver­trat dabei auch unkon­ven­tionelle Ansätze, etwa ein Wahlrecht für die Ange­höri­gen der deutschen Volks­gruppe in Ober­schle­sien zum Deutschen Bun­destag, oder bestritt die Immu­nität des dama­li­gen DDR-Staat­sratsvor­sitzen­den Erich Honeck­er gegenüber Strafver­fol­gung in der Bun­desre­pub­lik.

Eben­falls im Rah­men eines umfan­gre­ichen Gutacht­ens bezog Blu­men­witz 2002 zum EU-Beitritt der Tschechis­chen Repub­lik Stel­lung. Nach sein­er Ansicht waren die fort­gel­tenden Benes-Dekrete dem Min­der­heit­en­recht der Europäis­chen Union diame­tral ent­ge­genge­set­zt. Blu­men­witz ver­trat damit eine kom­plett andere Mei­n­ung als der vom Europäis­chen Par­la­ment mit einem Gutacht­en beauf­tragte Hei­del­berg­er Völk­er­rechtler Jochen Abra­ham Frowein, der eben­falls bere­its bei den Ostverträ­gen bera­tend tätig gewe­sen war.

Auch über seinem wis­senschaftlichen Ein­satz für die Sache der Ver­triebe­nen, ins­beson­dere der Sude­tendeutschen, hin­aus war Blu­men­witz ein anerkan­nter Staats- und Völk­er­rechtler, der etwa die Bun­desregierung und das Fürsten­tum Liecht­en­stein vor inter­na­tionalen Gericht­en ver­trat. Für den ange­se­henen »Bon­ner Kom­men­tar« zum Grundge­setz bear­beit­ete er Vorschriften zum Bun­desrat, für den Großkom­men­tar »Staudinger« zum Bürg­er­lichen Geset­zbuch zahlre­iche Vorschriften des Inter­na­tionalen Pri­va­trechts.

Umstrit­ten war seine ver­fas­sungsrechtliche Beratungstätigkeit von Präsi­dent Augus­to Pinochet in Chile 1979/80. Blu­men­witz war wohl der namhafteste deutsche Völk­er­rechtler, der das »Recht auf Heimat« rechtlich zu unter­mauern suchte; unbe­strit­ten sind seine Ver­di­en­ste um die Anerken­nung der  Min­der­heit­en­rechte im Völk­er­recht.

Er starb am 2. April 2005 in Würzburg.

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Zitat:

Ohne daß das Teilung­sun­recht am Maßstab der Rechtsstaatlichkeit gemessen wird, erhal­ten einige ihr Eigen­tum zurück und erzie­len damit nach den nun­mehr gel­tenden Geset­zen der Mark­twirtschaft hohe Verkauf­swerte, andere wer­den auf das Almosen ein­er Scheinentschädi­gung ver­wiesen, die der sozial­is­tis­che Staat ohne jeden Bezug zum realen Wert des enteigneten Ver­mö­gens­ge­gen­standes entrichtete.

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Schriften:

  • Die Grund­la­gen eines Friedensver­trages mit Deutsch­land, Berlin 1966
  • Feind­staaten­klauseln, München/Wien 1972
  • Die Ein­rich­tung Ständi­ger Vertre­tun­gen im Lichte des Staats- und Völk­er­rechts, Baden-Baden 1975
  • Die Darstel­lung der Gren­zen Deutsch­lands in kar­tographis­chen Werken, Bonn 1980
  • Die deutsch­pol­nis­chen Städtepart­ner­schaftsabkom­men im Lichte des Staats- und Ver­fas­sungsrechts, Bonn 1980
  • Die neue Ver­fas­sung der Repub­lik Chile, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts 30 (1981)
  • Die Über­win­dung der deutschen Teilung und die vier Mächte, Berlin 1990
  • Das Offen­hal­ten der Ver­mö­gens­frage in den deutsch­pol­nis­chen Beziehun­gen, Bonn 1992
  • Wahlrecht für Deutsche in Polen?, Köln 1999
  • Rechtsgutacht­en über die Ver­brechen an den Deutschen in Jugoslaw­ien 1944–1948, München ²2003
  • Die Zukun­ft der Wel­tord­nung, München 2004

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Lit­er­atur:

  • Gilbert H. Gornig: Liber dis­cip­u­lo­rum. Fest­gabe für Dieter Blu­men­witz, Frank­furt a. M. 1989
  • Gilbert H. Gornig/Dietrich Mur­swiek: Nachruf auf Dieter Blu­men­witz, in: Gilbert H. Gornig (Hrsg.): Das Recht auf die Heimat, Berlin 2006
  • Gilbert H. Gornig/Burkhard Schöbener/Winfried Bausback/Tobias H. Irm­sch­er (Hrsg.): Iusti­tia et pax. Gedächt­niss­chrift für Dieter Blu­men­witz, Berlin 2008