Salomon, Ernst von — Schriftsteller, 1902–1972

Ernst von Salomon, geboren am 25. Sep­tem­ber 1902 in Kiel, war zehn Jahre alt, als sein Vater, ein ehe­ma­liger preußis­ch­er Rittmeis­ter, beschloß, ihn auf die Kadet­te­nanstalt zu schick­en. Von Novem­ber 1913 an besuchte er die Kadet­te­nanstalt in Karl­sruhe und später die Königlich-Preußis­che Kadet­te­nanstalt in Berlin-Lichter­felde. Beseelt von dem Wun­sch, am Weltkrieg teilzunehmen, erlebte der 16jährige Obersekun­dan­er den Zusam­men­bruch sowie die anschließen­den Wirren des deutschen Bürg­erkriegs. Im Jan­u­ar 1919 schloß er sich dem Frei­willi­gen Lan­desjägerko­rps an. Es sei „das Preußis­che“ gewe­sen, daß ihn zu den Frei­willi­gen geführt habe. Im Freiko­rps Lieber­mann kämpfte Salomon im Baltikum gegen die Rote Armee und den Bolschewis­mus. Zurück im Reich beteiligte er sich am Kapp-Putsch und mußte erleben, wie sein Freiko­rps in Har­burg von roten Arbeit­ern aufgerieben und dessen Führer, der Fliegerhaupt­mann Berthold, nach der Kapit­u­la­tion bru­tal gelyncht wurde.

Als Mit­glied der aus der Brigade Ehrhardt ent­stande­nen Organ­i­sa­tion Con­sul, aus deren Rei­hen die Mörder von Reich­saußen­min­is­ter Wal­ter Rathenau stammten, zählte auch Salomon zu den Eingewei­ht­en des Kom­plotts. Den von ihm für das Atten­tat vorgeschla­ge­nen Fahrer lehn­ten die bei­den Haupt­täter Erwin Kern und Her­mann Fis­ch­er jedoch ab. Den­noch wurde Salomon 1922 zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach sein­er Ent­las­sung Ende 1927 schloß er sich, wie sein Brud­er Bruno, der Land­volk­be­we­gung an. Nach ein­er neuer­lichen Unter­suchung­shaft wan­delte sich Salomon endgültig vom Mann der Tat zum Mann des Wortes. 1929 erschien bei Rowohlt sein auto­bi­ographis­ch­er Erstlingsro­man Die Geächteten, in dem Salomon seine Erleb­nisse im Nachkrieg, die Ermor­dung Rathenaus und seine Haftzeit schildert. Es fol­gten 1932 Die Stadt, ein Roman über die Land­volk­be­we­gung und 1933 Die Kadet­ten. Die Darstel­lung der Kadet­te­nanstalt Lichter­felde und deren Ende 1918 ist gle­ichzeit­ig Salomons per­sön­lich­es Beken­nt­nis zu Preußen.

Nach der Machter­grei­fung veröf­fentlichte er im Rowohlt-Ver­lag, für den Salomon auch als Lek­tor tätig war, 1936 noch den Freiko­rp­süberblick Nahe Geschichte. Da das Werk der parteiof­fiziellen Geschichts­deu­tung der Freiko­rps als ange­blichem Vor­läufer des Nation­al­sozial­is­mus und des poli­tis­chen Sol­da­ten­tums wider­sprach, wurde Salomon „wegen poli­tis­che Unzu­ver­läs­sigkeit“ aus der Reich­s­pressekam­mer aus­geschlossen. For­t­an ver­faßte er vor allem Drehbüch­er, um mit unpoli­tis­chen und unver­fänglichen Arbeit­en seinen Leben­sun­ter­halt zu bestre­it­en und sich mit den herrschen­den Ver­hält­nis­sen zu arrang­ieren. Daneben betätigte sich Salomon aber auch weit­er­hin als Chro­nist der Freiko­rps, unter anderem als Schriftleit­er der von Heinz Oskar Hauen­stein her­aus­gegebe­nen Zeitschrift Reit­er gen Ostens.

Salomon ver­achtete Hitler und stand den Nation­al­sozial­is­ten ins­beson­dere nach dem 30. Juni 1934 ablehnend gegenüber. Ähn­lich wie Hans Fal­la­da, mit dem Salomon im April 1933 gemein­sam wegen des Ver­dachts auf „Ver­schwörung gegen die Per­son des Führers“ in Schutzhaft genom­men wurde, ging er aber nicht in die Emi­gra­tion. Zwar hielt er engen Kon­takt zu ver­schiede­nen Wider­stand­skämpfern und Ver­schwör­ern gegen Hitler, wie zum Beispiel Har­ro Schulze-Boy­sen oder Hart­mut Plaas, ein Atten­tat lehnte er aber, auch aus der Erfahrung sein­er Beteili­gung am Rathenau­mord her­aus, ab. „Es ging mir um Preußen – in Preußen gab es keinen Mord, auch einen poli­tis­chen Mord nicht.“ Mord, so Salomon, sei immer „eine „Ver­legen­heit­slö­sung“ der­er, die keine besseren Mit­tel hät­ten. In seinem 1943/44 für den amerikanis­chen Geheim­di­enst „Office of Strate­gic Ser­vices“ ver­faßten Report über Kün­stler und Schrift­steller, die im nation­al­sozial­is­tis­chen Deutsch­land verblieben waren, ord­nete der 1939 in die USA emi­gri­erte Dra­matik­er Carl Zuck­may­er Salomon in die Gruppe der teils pos­i­tiv, teils neg­a­tiv zu beurteilen­den Son­der­fälle ein. Salomon, so Zuck­meier, habe sich von „nation­al­is­tis­chen Ver­schwör­ertum, dem­a­gogis­chem Anti­semitismus und völkischem Ressen­ti­ment“ abge­wandt und nach der Machter­grei­fung ver­sucht, „neu­tral zu bleiben und ‘unpoli­tisch’ für Filme etc. zu schreiben“. Es sei schon „eine ziem­liche Charak­ter­leis­tung, daß er sich nicht von den Nazis zum ‘Helden’ und Mär­tyr­er machen ließ, er hätte sich leicht einen Schlagetern­im­bus ver­schaf­fen kön­nen, aber er war allerd­ings durch Fre­und­schaften und Beziehun­gen zu Intellek­tuellen für die Nazis ver­dor­ben und leise verdächtig. Sein men­schlich­es Niveau war zu gut, um sich ins Naz­i­tum abbiegen zu lassen“.

Nach Kriegsende wurde Salomon im Juni 1945 von den Amerikan­ern ver­haftet und für 15 Monate in ver­schiede­nen Lagern, darunter in Lands­berg, interniert. Über seine Gefan­gen­schaft, aber auch die Maß­nah­men der Ent­naz­i­fizierung und Umerziehung rech­nete er in seinem 1951 bei Rowohlt erschienen auto­bi­ographis­chen Roman Der Frage­bo­gen mit schar­fer Ironie ab. Auf über 800 Seit­en beant­wortet er die Fra­gen des amerikanis­chen Ent­naz­i­fizierungs­bo­gens so aus­führlich, daß die „bürokratisch-kollek­tive Maß­nahme, die den deutschen Men­schen zu kat­e­gorisieren suchte“, let­ztlich ad absur­dum geführt wird. Das Buch erre­ichte inner­halb von anderthalb Jahren eine Auflage von über 200.000 Exem­plaren und wurde zu einem ersten Best­seller der Bun­desre­pub­lik. Auch als Drehbuchau­tor war Salomon nach wie vor erfol­gre­ich. So stam­men beispiel­sweise die Drehbüch­er zu Hans Hell­mut Kirsts 08/15-Tri­olo­gie aus ein­er Fed­er.

Poli­tisch wan­delte sich der ein­stige Freiko­rp­skämpfer zum Frieden­sak­tivis­ten. In dieser Zeit ver­faßte er Das Schick­sal des A.D. (1960). In dem Werk über den desertierten Reich­swehr-Offizier­an­wärter Arthur Diet­zsch, der siebe­nundzwanzig Jahre seines Lebens in Haf­tanstal­ten der Weimar­er Repub­lik, nation­al­sozial­is­tis­chen Konzen­tra­tionslagern und alli­ierten Kriegsver­brecherge­fäng­nis­sen ver­brachte, flossen auch Salomons eigene Hafter­leb­nisse und ‑ein­drücke mit ein. Er sah in Diet­zsch einen Mann, der all die Jahre sein­er Gefan­gen­schaft „stel­lvertre­tend für die Sün­den unser­er Zeit büßte, ein Mann, der inmit­ten der Prob­lematik unser­er ‘unbe­wältigten Ver­gan­gen­heit’ sein­er­seits die Ver­gan­gen­heit dur­chaus bewältigte“.

Als nationaler Paz­i­fist lehnte Salomon die Wieder­be­waffnung der Bun­desre­pub­lik eben­so ab wie deren ein­seit­ige Bindung an den West­en. Stattdessen hegte er dur­chaus Sym­pa­thien für die Sow­jets, was in der DDR wohlwol­lend aufgenom­men wurde. Salomon gehörte zu den Grün­dungsmit­gliedern der Deutschen Frieden­sunion und nahm 1961 als Delegiert­er an der „7. Weltkon­ferenz gegen A- und H‑Bomben für voll­ständi­ge Abrüs­tung“ in Tokio teil. Dort appel­lierte er an die Siegermächte: „Ihr habt ver­sprochen, miteinan­der zu reden, ihr habt ver­sprochen, nicht aufeinan­der zu schießen. Wir rufen euch eure Parole zu: Frieden! Frieden! Frieden!“.

Doch Salomon war nicht nur überzeugter Paz­i­fist, son­dern blieb bis zu seinem Tod am 9. August 1972 in Stoeck­te bei Win­sen (Luhe) auch überzeugter Preuße. Seinem Ide­al von Preußen wid­mete er sein let­ztes Buch, Der tote Preuße, das 1973 pos­tum erschien.

– — –

Zitat:

Alle Tugen­den, die das Wesen des Kriegertums aus­machen, sind zer­stört. Sind heute auch über­flüs­sig. Die Frauen und Kinder, die der Krieger beschützen soll, wer­den von den mod­er­nen Ver­nich­tungswaf­fen und den Atom­waf­fen ja gle­ich sel­ber getrof­fen. Schon siebzigei­n­und­siebzig war es ja fast sinn­los. Ich als bewußter Krieger hab´s ja noch ein­mal ver­sucht im Freiko­rps. Aber ich hab´s ja eingeste­hen müssen – im Grunde waren´s ja Räu­ber­ban­den!

– — –

Schriften:

  • Die Geächteten, Berlin 1929
  • Die Stadt, Berlin 1932
  • Die Kadet­ten, Berlin 1933
  • Nahe Geschichte, Berlin 1936
  • Das Buch vom deutschen Freiko­rp­skämpfer, Berlin 1938
  • Boche in Frankre­ich, Ham­burg 1950
  • Der Frage­bo­gen, Ham­burg 1951
  • Das Schick­sal des A.D, Ham­burg 1960
  • Die Schöne Wil­helmine. Roman aus Preußens galanter Zeit, Ham­burg 1965
  • Glück in Frankre­ich, Ham­burg 1966
  • Deutsch­land, deine Schleswig-Hol­stein­er, Ham­burg 1971
  • Die Kette der tausend Kraniche, Ham­burg 1972
  • Der tote Preuße. Roman ein­er Staat­sidee, München 1973

– — –

Lit­er­atur:

  • Markus Josef Klein: Ernst von Salomon. Rev­o­lu­tionär ohne Utopie, Aschau i. Ch. 2002