Feldweggespräche — Martin Heidegger, 1944/1945

Die Feld­wegge­spräche ent­standen unmit­tel­bar im Zeichen des Kriegsendes 1944/45: Hei­deg­ger muß seine Vor­lesun­gen im Novem­ber 1944 abbrechen, Freiburg wird zer­bombt, ein­er sein­er Söhne ist in Kriegs­ge­fan­gen­schaft. Nicht nur die Erwartung, die Hei­deg­ger 1933 an den Nation­al­sozial­is­mus richtete, ist endgültig fehlgeschla­gen. Die drama­tis­chen Entste­hung­sum­stände sind in den ersten bei­den Gesprächen weit­ge­hend unken­ntlich gemacht. Im drit­ten wer­den sie am ehesten sicht­bar.

Der Feld­weg ist für Hei­deg­ger Rem­i­niszenz an den Weg der Kind­heit und Jugend in Meßkirch, der unschein­bare Weg, an dem der Anspruch des Denkens begeg­net. Von hier her wen­det er sich der – in der Neuzeit in den Hin­ter­grund tre­tenden – Form des Dialoges zu dritt zu.

Die Gespräche sind jew­eils als Zweier- bzw. Dreierge­spräche kom­poniert, das erste zwis­chen einem Forsch­er, einem Gelehrten und einem Weisen nimmt das Prob­lem der rech­nen­den Wis­senschaft und der staunen und erschreck­en lassenden Philoso­phie in sich auf. Das zweite Gespräch zeigt Lehrer und Türmer an der Tür zum Tur­mauf­gang; das dritte aber ist als Abendge­spräch in einem rus­sis­chen Kriegs­ge­fan­genen­lager zwis­chen einem Älteren und einem Jün­geren angelegt.

Ger­ade in diesem let­zten Gespräch wird deut­lich, daß Hei­deg­ger ein Geis­terge­spräch mit seinen im Krieg ver­mißten Söh­nen und in ihnen mit der im Zweit­en Weltkrieg hin­geopfer­ten Gen­er­a­tion anzuknüpfen sucht. Der Denker betrauert die geschehenen Katas­tro­phen, und er warnt vor ein­er neuen, die Welt ins­ge­samt ver­nich­t­en­den Zer­störung, die aus dem Auf­s­tand des Men­schen gegen die Erde her­vorzubrechen dro­ht. Wesentliche Züge sein­er großen Ausar­beitun­gen zur Seins­frage, ins­beson­dere Vom Ereig­nis. Beiträge zur Philoso­phie (ent­standen 1936–38), fließen hier zusam­men: die Beschrei­bung von Seinsvergessen­heit und Not der Not­losigkeit, und zugle­ich der Rück­gang in ein auf die Sprache hören­des, schweigen­des Denken, als der Fuge der Wahrheit des Seins, die in der Ent­zo­gen­heit grün­det und mit der sich für Hei­deg­ger die Erwartung verbindet, nur noch ein Gott könne uns ret­ten.

Das erste Gespräch geht von dem Staunen über die Möglichkeit des Vol­lkomme­nen, einem »Fund« aus, dem kein Man­gel anhaftet, weil sich in ihm – wie es Hei­deg­ger ander­norts an einem alten Krug demon­stri­erte – die her­metis­che Sein­ser­fahrung selb­st eröffnet. An diesem Fund geht Wahrheit ursprünglich auf. Sie lichtet sich (griech. aletheuein im ver­balen Sinn). Hei­deg­ger spricht von dem »Unver­bor­gen­sein­lassen dessen, was anwest und als Anwe­sendes sich zeigt«. Dies bedeutet eine Revi­sion gegenüber dem phänom­e­nol­o­gis­chen Gedanken ein­er Kon­sti­tu­tion von Wahrheit. Es nimmt auch eine Meta­physik des Wil­lens zurück und fol­gt darin Niet­zsches Maxime der »Treue zur Erde«, der Nähe zu den näch­sten Din­gen.

Ethos wird als der geschichtliche Aufen­thalt des Men­schen gefaßt: im Jet­zi­gen, Alltäglichen denk­ender zu wer­den. Entschei­dend ist dabei, daß das Denken das Wohnen lerne. Von hier her span­nt das zweite Gespräch den Bogen zum Wun­der­samen des Gefun­de­nen, und das dritte fragt, in der deutschen und europäis­chen Katas­tro­phe, nach dem Heilen und Heil­samen.

Dabei entwick­elt Hei­deg­ger – aus­ge­hend von der Maxime: »Besin­nen wir uns!« und der Frage in der Stunde der Ver­nich­tung: »Was ist jet­zt?« – eine Phänom­e­nolo­gie des Aufen­thaltes. Dies könne ein reich­es Wort wer­den, wenn es auf das Sich-aufhal­ten im Enthalt, also in dem ent­zo­ge­nen anfänglich Wahren ver­weist, das »Wesende im Anfan­gen, … in der Weise des Hal­tens als Hüten und Ver­wahren und somit des Enthal­tens «. Es geht also in ein­er Zeit der Ver­heerung der Erde um die In-ständigkeit im Aufen­thalt, aus der das Heil­same erwach­sen kann.

In ihrer Klar­sicht über das Aus­maß der plan­e­tarischen Zer­störung und der Hal­tung ein­er Zurück­nahme sind Hei­deg­gers Feld­wegge­spräche ein einzi­gar­tiges Doku­ment. Sie evozieren eine dem Zen nahe Hal­tung ein­er Gelassen­heit im Furcht­baren. Dies ist gle­icher­maßen ent­fer­nt von Restau­ra­tionsver­suchen wie der in der Nachkriegszeit gängi­gen Rede vom »Abend­land« wie auch von der Flucht in die Trös­tun­gen der Reli­gion. Es geht um ein Stand-hal­ten des Daseins in einem min­i­malen Hero­is­mus, der den ver­spiel­ten Aufen­thalt beim Anwe­senden wiederzugewin­nen sucht. Hei­deg­ger hat­te Skizzen zu Fort­set­zun­gen dieses Gesprächs angelegt, als ihn die Nachricht­en vom Atom­bomben­ab­wurf über Hiroshi­ma und Nagasa­ki, aber auch über die Konzen­tra­tionslager, in Schweigen und Depres­sion zurück­war­fen.

Erst aus dem Nach­laß sind diese Denk-Gespräche zugänglich gewor­den. Die Rezep­tion ist bis­lang weit­ge­hend auf die Hei­deg­ger-Forschung begren­zt. Gle­ich­wohl haben diese Gespräche eine indi­rekt ori­en­tierende Kraft, die ihnen einen Ort in der Geschichte des Geheimen Deutsch­land, nach dem Scheit­ern des Hitler-Atten­tats, sich­ern soll­ten.

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Zitat:

Heute abend erst wurde es hell um mich, und darum fiel mir wohl das Gespräch ein. Das Gespräch lautet so: Der Eine sagte: »Ihr redet vom Unnöti­gen.« Der Andere sprach: »Erst muß ein­er das Unnötige erken­nen, ehe man mit ihm vom Nöti­gen reden kann. Die Erde ist ja weit und groß und doch braucht der Men­sch, um zu ste­hen, nur so viel Platz, daß er seinen Fuß darauf set­zen kann. Wenn aber unmit­tel­bar neben dem Fuß ein Riß entstände bis hinab zu der Unter­welt, wäre ihm dann der Platz, worauf er ste­ht, noch zu etwas nütze?« Der Eine sprach: »Es wäre ihm nicht mehr nütze.« Der Andere sprach: »Daraus ergibt sich klar die Notwendigkeit des Unnöti­gen.«

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Aus­gabe

  • 2., durchge­se­hene Auflage, Frank­furt a. M.: Kloster­mann 2007

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Lit­er­atur:

  • Man­fred Riedel: Feld­weg-Gespräche. Deuten im Wort, in: Dieter Thomä (Hrsg.): Hei­deg­ger-Hand­buch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart 2003
  • Har­ald Seu­bert: 1945 – Hei­deg­gers Denkbe­we­gun­gen, in: Sezes­sion (2005), Heft 9