Frauenburg – Dom: Ostpreußen, Ermland

Leuch­t­end rot erhebt sich über der weit­en blauen Fläche des Frischen Haffs – diesem Schick­sal­sweg der Ost­preußen Anfang 1945 – der Frauen­burg­er Dom der ermländis­chen Bis­chöfe. Der von Kaiser und Papst zur Chris­tian­isierung des Prußen­lan­des aus­ge­sandte Deutsche Orden  hat­te sich 1243 mit dem päp­stlichen Legat­en Wil­helm von Mod­e­na dahinge­hend geeinigt, ein Drit­tel des eroberten Gebi­etes Bis­chöfen für Bistümer zu übergeben – eines davon wurde das Ermland.

Diese räum­liche Ver­wal­tung­steilung führte dur­chaus nicht zu ein­er eben­solchen des Staates; vielmehr wandten sich Hochmeis­ter und Bis­chöfe gemein­sam der Chris­tian­isierung und Kolonisierung zu. Nicht zulet­zt durch den Aus­tausch von Baumeis­tern schufen sie vere­int die das Land zwis­chen Weich­sel und Memel bis heute prä­gende Ein­heit.

Die Stadt Frauen­burg wurde um 1270 durch den Loka­tor Ger­hard Flem­ing auf einem für das Ordens­land typ­is­chen raster­ar­ti­gen Grun­driß angelegt, während ober­halb der­sel­ben nach der Dis­loka­tion des ermländis­chen Domkapi­tels um 1278 von Brauns­berg nach Frauen­burg die Dom­burg aus­ge­baut wurde, zunächst mit hölz­ern­er Kathe­drale. 1310 erhielt die Sied­lung ihr lübis­ches Stadtrecht. Der Bau des neuen, back­stein­er­nen Doms seit etwa 1330 wurde auch durch päp­stliche Ablässe finanziert. Nach der Fer­tig­stel­lung 1388 zählte er »zu den großar­tig­sten und eigen­willig­sten architek­tonis­chen Schöp­fun­gen im gesamten mit­te­lal­ter­lichen Preußen« (Christofer Her­rmann). Eben­falls bah­nte sich eine beson­dere Stel­lung des ermländis­chen Bischofs an, als er 1356 in der Gold­e­nen Bulle Kaiser Karls IV. als Fürst­bischof aufge­führt wurde.

Von den Kriegen zwis­chen Ordensstaat und Polen während des 15. Jahrhun­derts wurde auch das Ermland immer wieder berührt, so plün­derten etwa Polen 1414 den Dom. Die fol­gen­den inneren Gegen­sätze des Ordensstaates nutzend, schlug sich das Ermland im Dreizehn­jähri­gen Krieg (1454–1466) auf die Seite der auf­begehren­den Stände und damit des mit diesen ver­bün­de­ten
pol­nis­chen Königs. Obgle­ich Söld­ner des­sel­ben die Dom­burg erneut ver­wüsteten, unter­stellte sich das Bis­tum im Zweit­en Thorner Frieden (1466) der Herrschaft der pol­nis­chen Kro­ne, nicht ohne in der Folge seine Sou­veränität Ein­grif­f­en auch dieser gegenüber zu vertei­di­gen.

Der Kon­flikt zwis­chen Polen und dem das Ermland umgeben­den Restor­densstaat trat noch ein­mal im Reit­erkrieg 1520 her­vor. Hochmeis­ter Albrecht brand­schatzte die Stadt Frauen­burg und zog mit seinen Trup­pen vor die ermländis­che Stadt Allen­stein. Hier­hin war zum Auf­bau ein­er Vertei­di­gung Nico­laus Coper­ni­cus aufge­brochen. Damit ist jen­er Name genan­nt, dem das kleine Frauen­burg seinen weltweit­en Ruhm ver­dankt.

Nico­laus Coper­ni­cus (*1473 Thorn) wurde 1503, nach einem Studi­um der Rechte, Astronomie und Medi­zin (Krakau und Ital­ien), bei seinem Onkel, dem ermländis­chen Fürst­bischof Lucas  Watzen­rode, Domherr in Frauen­burg. 1509 ver­faßte er die Schrift Com­men­tar­i­o­lus, in der er seine astronomis­chen Beobach­tun­gen dem Fre­un­deskreis mit­teilte. Er ver­warf das bish­erige Welt­bild, wonach sich Sonne und Plan­eten um die Erde drehen, und wurde so zum neuzeitlichen Ent­deck­er des heliozen­trischen Sys­tems, erken­nend, daß die Plan­eten um die Sonne kreisen. Sein Hauptwerk De Rev­o­lu­tion­ibus Orbium Coelestium (Über den Umschwung der himm­lis­chen Kreise) über­gab er dem Wit­ten­berg­er Math­e­matik­er Joachim Rheti­cus, der es zur Veröf­fentlichung nach Nürn­berg brachte. Coper­ni­cus starb im Mai 1543 in Frauen­burg – wie die Leg­ende berichtet –, kurz nach­dem ihm das gedruck­te Buch über­re­icht wor­den war.

Schon 1842 emp­fan­den Polen die Auf­stel­lung der Büste Coper­ni­cus’€™ in derž Wal­hal­la als  Pro­voka­tion, und lange wurde die Forschung von der Nation­al­itäten­frage beherrscht. Aber selb­st wenn manche englis­chsprachige Enzyk­lopädie den Astronomen als Polen führt – pol­nis­ch­er Staats­bürg­er war er ja –, oder wenn »Mikol‚aj Kopernik« 2003 in ein­er Erk­lärung des pol­nis­chen Sen­ats zu den großen Polen gerech­net wurde, soll uns dies nicht von der Nen­nung abhal­ten, denn bei­de, Frauen­burg und Coper­ni­cus, berühren einen Teil deutschen Geis­teslebens und beispiel­haft die heutige Ver­drän­gung der Orte des deutschen Ostens aus unserem Gedächt­nis.

Der gegen besseres Wis­sen bewußte Verzicht auf diesen Namen wird mit welt­bürg­er­lich­er Gelassen­heit, dem Ver­weis auf die ver­meintliche Neben­säch­lichkeit der Herkun­ft jen­er der Men­schheit gehören­den, bedeu­ten­den Män­ner bemän­telt. Wurde nicht in jenen human­is­tis­chen Zeit­en und Kreisen der Volk­s­tum­szuge­hörigkeit ger­adezu kein Wert beigemessen schrieb und sprach Coper­ni­cus nicht in Latein? Gewiß; aber erwäh­nt sei, daß ger­ade zu Coper­ni­cus’€™ Zeit im Her­zog­tum Preußen ein die Lan­des­geschichte prä­gen­des Gesetz, die Reg­i­mentsno­tel von 1542, erlassen wurde, durch welche die Elite die höch­sten Staat­sämter an jene Sprachzuge­hörigkeit band, die auch Coper­ni­cus’€™ Mut­ter­sprache war: Deutsch. Unsere Akzep­tanz der Ver­drän­gung oder nach­bar­lichen Aneig­nung von Namen – denen von Orten wie von Per­so­n­en – entspringt weniger gelassen­er Welt­bürg­er­lichkeit als Gle­ichgültigkeit gegenüber dem Eige­nen. Mit einem Nicht-mehr-Nen­nen von Coper­ni­cus als Teil des deutschen Geis­teslebens und mit Frauen­burg als einem Ort im Osten Europas, an den uns mehr als nur die Erin­nerung der von dort Ver­triebe­nen bindet, mit dem Vergessen von Men­schen und Orten, die zu unser­er Kul­turgeschichte über Jahrhun­derte selb­stver­ständlich hinzuge­hörten, schnei­den wir Verbindun­gen zu Räu­men ab, die unser Denken erweiter(te)n, bereicher(te)n, form(te)n. Frauen­burg ist also bewußt und exem­plar­isch zu nen­nen, nicht nur, um es im Gedächt­nis zu bewahren, son­dern vielmehr, um den Kos­mos unseres Denkens offen zu hal­ten.

Kehren wir zurück zum Ort. Mit der ersten Teilung Polens 1772 fiel das Ermland an Preußen. Friedrich der Große über­legte 1773 in einem Brief an Voltaire, in dem ermländis­chen Ort »un mon­u­ment sur le tombeau du fameux Coper­nic« zu erricht­en. Aber wirk­liche Bedeu­tung erlangte das kleine Frauen­burg nicht mehr. Bei Kriegsende 1945 wurde die Stadt schw­er zer­stört, aber die Dom­burg blieb erhal­ten, wurde zu einem würdi­gen Gedenko­rt für Nico­laus Coper­ni­cus und beliebten Touris­ten­mag­net aus­ge­baut und thront wie eh und je über dem Frischen Haff. An jene ungezählten Toten, die 1945 im Eis des Frischen Haffes mit Pferd und Wagen ver­sanken, erin­nert hinge­gen nur ein form­los­er Fin­d­ling, der zeigt, wie weit wir uns von ein­er ehren­den Hal­tung, wie sie in der Weimar­er Repub­lik noch Auf­gabe des Kün­stlers war, ger­ade auch durch unser Vergessen ent­fer­nt haben.

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Lit­er­atur:

  • Kurt Forstreuter: Bemerkun­gen zu den ältesten Bildern und Biogra­phien von Coper­ni­cus, in: Preußen­land, Nr. 2, 1973, S. 18–32
  • Christofer Her­rmann: Mit­te­lal­ter­liche Architek­tur im Preußen­land, Peters­berg 2007
  • Dierk Loy­al: Sakrale Back­stein­gotik im Ermland. Eine bau­to­pographis­che Unter­suchung, Bonn 1995
  • Wern­er Thimm: Die wis­senschaftlichen Ergeb­nisse des Coper­ni­cus­jahres 1973, in: Preußen­land, Nr. 1/2, 1974, S. 1–30