Jünger, Friedrich Georg, Schriftsteller, 1898–1977

Bekan­ntheit erlangte Friedrich Georg Jünger vor allem durch sein Hauptwerk Die Per­fek­tion der Tech­nik (1946), das als bedeu­ten­des Man­i­fest kon­ser­v­a­tiv­er Ide­olo­giekri­tik nach 1945 zu werten ist. Sein umfan­gre­ich­es essay­is­tis­ches, lyrisches und erzäh­lerisches Werk wurde zwar in der frühen Bun­desre­pub­lik durch zahlre­iche Preise gewürdigt, infolge der kul­tur­poli­tis­chen Machter­grei­fung linkslib­eraler Eliten mit Hil­fe der feuil­leton­is­tis­chen Kol­lab­o­ra­tion Anfang der 1960er Jahre aber zunehmend mar­gin­al­isiert. Jüngers Lebens- und Denkweg hat­te ihn von einem
nation­al­rev­o­lu­tionären Aktivis­mus in der Zwis­chenkriegszeit zu ein­er an die Wurzeln gehen­den kon­tem­pla­tiv­en Lage­analyse geführt: Diese entwick­elte er bere­its unter dem Regime der nationalen Sozial­is­ten, um sie in der Fol­gezeit beizube­hal­ten und weit­er auszubauen. Damit ste­ht Jünger für eine typ­is­che Entwick­lung viel­er deutsch­er Rechtsin­tellek­tueller dieser Ära.

Geboren am 1. Sep­tem­ber 1898 in Han­nover, aus dem gehobe­nen Mit­tel­stand des Kaiser­re­ichs stam­mend und von diesem geprägt, geri­et der Ober­re­alschüler 1916, zwei Jahre später als sein älter­er Brud­er Ernst Jünger, ohne Schu­la­b­schluß in den Ersten Weltkrieg und wurde bei nur kurzem Fron­tein­satz sogle­ich schw­er ver­wun­det. Nach dem Krieg absolvierte er in Leipzig ein Studi­um der Rechte und Kam­er­al­is­tik als pro­moviert­er Volljurist, prak­tizierte dann jedoch nicht, son­dern betätigte sich als radikaler poli­tis­ch­er Pub­lizist und Schrift­steller. Hierin ist Jünger wie sein älter­er Brud­er jen­em rev­o­lu­tionären Nation­al­is­mus der ersten Jahrhun­derthälfte zuzurech­nen, der ohne Sys­tem­atik eine für die poli­tis­che Rechte charak­ter­is­tis­che real­is­tis­che Anthro­polo­gie mit sozial­is­tis­chen, also linken Ansätzen ver­band.

Dies kul­minierte in der Zusam­me­nar­beit mit dem von der radikalisierten Sozialdemokratie herk­om­menden Nation­al­bolschewis­ten Ernst Niekisch Anfang der 1930er Jahre. Aus Jüngers früher pub­lizis­tis­ch­er Phase sind nur wenige Texte heute noch beacht­enswert, darunter seine let­zten Essays in Niekischs Zeitschrift Wider­stand und die Ein­leitung zu dem von Edmund Schultz her­aus­gegebe­nen Pho­to­buch Das Gesicht der Demokratie (1931). Aus ein­er nation­al­rev­o­lu­tionären Deu­tung der späten Weimar­er Repub­lik entwick­elt er dort exem­plar­isch eine scharfe Kri­tik des
Lib­er­al­is­mus als Fer­ment der Auflö­sung aller Dinge, die in der »Ver­nich­tung des Men­schen als Per­son und Per­sön­lichkeit« resul­tiere. Auch das Pro­gramm und den Erfolg der NSDAP begriff Jünger als Phänomen der all­ge­meinen Demokratisierung und damit des Lib­er­al­is­mus, dessen Ende er in rev­o­lu­tionär­er Naher­wartung schon vor Augen zu haben wäh­nte. Nach­dem sich die nationalen Sozial­is­ten 1933/34 indes zu sein­er Über­raschung durch­set­zen kon­nten, enthielt er sich kün­ftig der offen poli­tis­chen Pub­lizis­tik.

Friedrich Georg Jüngers nun auf­blühende essay­is­tis­che Reflex­ion wandte sich Mitte der 1930er Jahre dem Feld schöngeistiger Gegen­stände und kul­tureller Grund­la­gen­fra­gen zu. 1939 schloß er die erste Fas­sung sein­er Ide­olo­giekri­tik der Tech­nisierung ab, die aber erst nach dem Zweit­en Weltkrieg unter dem Titel Die Per­fek­tion der Tech­nik bre­it­er rezip­iert wer­den kon­nte. Sie hat­te unter anderem auf Mar­tin Hei­deg­gers Tech­nikphiloso­phie erhe­blichen Ein­fluß. Jüngers in der Folge weit­er aus­ge­baute Schrift rief die erste große Debat­te über die Tech­nisierung der Lebenswelt in der Nachkriegszeit her­vor, da hier die Tech­nik kon­se­quent »als Ord­nung sui gener­is ins Blick­feld gerät, deren Ent­fal­tung zer­störerische Kon­se­quen­zen hat« (Ste­fan Breuer). Wenn nur noch eine von allen Bindun­gen gelöste tech­nis­che Ratio­nal­ität das Dasein des Men­schen organ­isierte, würde Jünger zufolge »nichts im Wege ste­hen, die Hil­flosen, die Kranken und die alten Leute totzuschla­gen«. Damit ist seine Tech­nikstudie als Ver­tiefung und Aus­bau der älteren Lib­er­al­is­muskri­tik zu begreifen, die beansprucht, wirk­same Struk­turen freizule­gen, ohne sich auf ide­ol­o­gis­che Spiegelfechtereien einzu­lassen. Jüngers Analyse ken­nt also keine fun­da­men­tal­en Brüche zwis­chen Weimar­er Repub­lik, Nation­al­sozial­is­mus und Besatzungsreg­i­men oder demokratis­chen Fol­gere­pub­liken, son­dern zielt vielmehr auf die eskalierende Logik des Util­i­taris­mus, die allen diesen Sys­te­men zugrunde liegt.

Weit­ere Abhand­lun­gen sind fol­gerichtig dem Zusam­men­hang von Sprache und instru­menteller Ratio­nal­ität (Sprache und Denken, 1962) und ein­er kri­tis­chen Sich­tung der biol­o­gis­chen Evo­lu­tion­s­the­o­rie (Die vol­lkommene Schöp­fung, 1969) gewid­met. Mit dem Inge­nieur und Pub­lizis­ten Max Him­mel­he­ber zusam­men zeich­nete Friedrich Georg Jünger 1971 überdies ver­ant­wortlich als Grün­dung­sher­aus­ge­ber der Schei­dewege, der ersten kon­se­quent fortschrittsskep­tisch und ökol­o­gisch aus­gerichteten Zeitschrift in West­deutsch­land, worin er selb­st einige gewichtige Auf­sätze veröf­fentlichte. Ein zen­trales Poten­tial für seel­is­che und kul­turelle Erneuerun­gen erblick­te er in der arche­typ­is­chen Macht des mythis­chen Denkens (Griechis­che Mythen, 1957), darin Wal­ter Friedrich Otto fol­gend. Dem entsprach, daß sich Jünger seit sein­er inten­siv­en Beschäf­ti­gung mit Hölder­lin Ende der 1920er Jahre dem Beruf des Dichters als schöpferischem
Hüter von Sprache und Schrift verpflichtet sah. So hat­te er beson­ders in Gedicht­en seine ihm wichtig­ste Aus­drucks­form gefun­den, zu der nach dem Zweit­en Weltkrieg auch die Erzähl­prosa hinzu­trat.

Jüngers Essays zeich­net ein Stil behar­rlichen und gründlichen Bedenkens aus, das nachvol­l­zo­gen wer­den will. Seine lyrischen Arbeit­en weisen eine Entwick­lung von der Adap­tion klas­sis­ch­er Vor­bilder hin zum Spiel mit freieren For­men auf; die Erzähl­prosa, darunter zwei auto­bi­ographis­che Bände und drei Romane, greift immer wieder The­men sein­er Essays auf, vere­int dies jedoch meist müh­e­los mit den Vorteilen solid­er tra­di­tioneller Erzäh­lkun­st. Friedrich Georg Jünger erfuhr in den let­zten bei­den Jahrzehn­ten als Klas­sik­er ökol­o­gis­chen Denkens wieder größere Beach­tung, sein im engeren Sinne lit­er­arisches Werk hinge­gen nicht.

Friedrich Georg Jünger ver­starb am 20. Juli 1977 in Über­lin­gen.

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Zitat:

Was hil­ft der Jam­mer? Sollen wir auch noch die Zer­set­zung und Auflö­sung bekla­gen? Die Halb­heit ein­er solchen Teil­nahme richtet sich selb­st. Wer aber Sala­man­der sein will, der muß sich darüber ausweisen, ob er im Feuer leben kann.

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Schriften:

  • Ein­leitung, in: Edmund Schultz (Hrsg.): Das Gesicht der Demokratie. Ein Bild­w­erk zur Geschichte der deutschen Nachkriegszeit, Leipzig 1931
  • Über die Gle­ich­heit, in: Wider­stand 9 (1934) Heft 4
  • Wahrheit und Wirk­lichkeit, in: Wider­stand 9 (1934) Heft 5
  • E. T. A. Hoff­mann, in: Wider­stand 9 (1934) Heft 11
  • Niet­zsche, Frank­furt a. M. 1949
  • Die Per­fek­tion der Tech­nik, Frank­furt a. M. 1953
  • Die Spiele. Ein Schlüs­sel zu ihrer Bedeu­tung, Frank­furt a. M. 1953
  • Gedächt­nis und Erin­nerung, Frank­furt a. M. 1957
  • Griechis­che Mythen, Frank­furt a. M. 1957
  • Sprache und Denken, Frank­furt a. M. 1962
  • Ori­ent und Okzi­dent. Essays, Frank­furt a. M. 1966
  • Die vol­lkommene Schöp­fung. Natur oder Natur­wis­senschaft?, Frank­furt a. M. 1969
  • Werke. 12 Bde, hrsg. von Cit­ta Jünger, Stuttgart 1978–1987

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Lit­er­atur:

  • Ulrich Fröschle: Friedrich Georg Jünger (1898–1977). Kom­men­tiertes Verze­ich­nis sein­er Schriften, Marbach/Neckar 1998
  • Ulrich Fröschle: Friedrich Georg Jünger und der ›radikale Geist‹. Fall­studie zum lit­er­arischen Radikalis­mus der Zwis­chenkriegszeit, Dres­den 2008
  • Andreas Gey­er: Friedrich Georg Jünger. Werk und Leben, Wien und Leipzig 2007
  • Fred Slanitz: Wirtschaft, Tech­nik, Mythos. Friedrich Georg Jünger nach­denken, Würzburg 2000