Jünger, Ernst, Schriftsteller, 1895–1998

Ernst Jünger wurde am 29. März in Hei­del­berg geboren. Jüngers Leben überspan­nt einen Zeitraum vom Kaiser­re­ich bis zum wiedervere­inigten Rest­deutsch­land. Durch diesen einzi­gar­ti­gen Erfahrung­shor­i­zont und seine durchge­hende Teil­habe an den geisti­gen Auseinan­der­set­zun­gen des Jahrhun­derts gehört Jünger zu den bedeu­tend­sten recht­en bzw. kon­ser­v­a­tiv­en Autoren.

Jüngers Ruhm leit­et sich bis heute von seinem Erstling her, seinem Kriegstage­buch In Stahlge­wit­tern, das 1920 erschien. Darin schildert der Frei­willige von 1914, der froh war, Eltern­haus und Schule zu entkom­men, seine Erleb­nisse als Stoßtruppführer an der West­front, vom ersten Gefecht bis zur Ver­lei­hung des höch­sten Ordens Pour le merite am Ende des Krieges. Jüngers Buch zeich­net sich durch eine nüchterne Dik­tion aus, die den Krieg als Natur­ereig­nis begreift, das man nicht einem pro oder con­tra abtun kann.

In den zwanziger Jahren war Jünger ein­er der ein­flußre­ich­sten Pub­lizis­ten der poli­tis­chen Recht­en. Es ging ihm um die Begrün­dung eines neuen Nation­al­is­mus, der nichts mit dem Vorkriegs-Patri­o­tismus aber auch nichts mit dem Nation­al­sozial­is­mus zu tun haben sollte. In diese Phase fall­en auch einige meta­ph­ysis­che Deu­tun­gen des Krieges. For­mal und inhaltlich schloß Jünger mit seinem Aben­teuer­lichen Herzen (1929) sein poli­tis­ches Engage­ment ab und zog sich auf die Posi­tion des Beobachters und Deuters zurück. Sein Arbeit­er (1932) nimmt insofern eine Zwit­ter­stel­lung ein, da nicht ganz klar ist, ob Jünger bloß als Seis­mo­graph oder nicht auch als Weg­bere­it­er ein­er neuen Gesellschaft­sor­d­nung schreibt. Mit der Machtüber­nahme von 1933 mußte Jünger sich entschei­den, ob er sich zum Aushängeschild des neues Deutsch­land machen lassen wollte.

Er zog stattdessen aus Berlin in die Prov­inz, set­zte seine Reisetätigkeit fort und veröf­fentlichte einen unver­fänglichen Erin­nerungs­band (Afrikanis­che Spiele, 1936). Kurz vor Kriegs­be­ginn erfol­gte die Reak­tivierung als Haupt­mann. Seine Erzäh­lung Auf den Mamork­lip­pen erschien im Okto­ber 1939 und stand bald in dem Ruf, eine Wider­standspara­bel zu sein. Jünger war in der Armee vor Nach­stel­lun­gen sich­er, tat Dienst in der Paris­er Etappe und schrieb fleißig Tage­buch. Nach dem 20. Juli 1944 wurde Jünger ent­lassen. Bere­its seit 1941 beschäftigte sich Jünger mit der Konzep­tion ein­er Nachkrieg­sor­d­nung, die er in der Denkschrift Der Friede umriß. Als Manuskript kur­sierte sie unter Gle­ich­gesin­nten (u. a. Erwin Rom­mel), kon­nte aber erst nach Kriegsende erscheinen.

Jüngers Nachkriegsruhm begann mit Verzögerun­gen, da er sich weigerte den alli­ierten Frage­bo­gen auszufüllen, was die Briten mit einem Pub­lika­tionsver­bot beant­worteten. Über die Schweiz, der Kon­takt kam über den späteren Sekretär Armin Mohler zus­tande, gab es erste Pub­lika­tion­s­möglichkeit­en. Auch Ger­hard Nebel span­nte sich in dieser Zeit ganz in den Dienst von Jüngers Reha­bil­i­ta­tion.

Sein Come­back feierte Jünger mit den Strahlun­gen (1949), seinem Tage­buch von Feb­ru­ar 1942 bis April 1945. Ein­lei­t­end kom­men­tiert er seine Sit­u­a­tion und recht­fer­tigt seine beobach­t­ende Hal­tung: »Nach dem Erd­beben schlägt man auf die Seis­mo­graphen ein.« Wenig später erschien Heliopo­lis, eine Zukun­ftsvi­sion, in der zwei Bürg­erkriegsparteien um die Macht kämpfen. Die eine ste­ht für die aris­tokratis­che Ord­nung, die andere ver­sucht eine demokratisch legit­imierte »absolute Bürokratie« zu instal­lieren. Der Roman wird kri­tisch aufgenom­men, sein wach­sender Ruhm grün­dete sich auf seine Reise­tage­büch­er, vor allem aber die Essays der fün­fziger Jahre.

Über die Lin­ie ist eine Hei­deg­ger gewid­mete Abhand­lung über den Nihilis­mus, auf die Hei­deg­ger wenig später antwortet. Am bekan­ntesten dürfte bis heute Der Waldgang sein, der Jüngers Vor­be­halt gegen Massendemokratie zeigt und das Lob des Anar­chen singt, der sich entzieht, weil er sich einem höheren Prinzip verpflichtet weiß. Erfol­gre­ich war auch Der gordis­che Knoten, in dem Jünger den Ost-West-Kon­flikt als eine unhin­terge­hbare Polar­ität ver­schieden­er Wirk­lichkeit­sauf­fas­sun­gen beschreibt.

Im San­duhrbuch (1954), ein­er Geschichte der Zeit, und der Erzäh­lung Gläserne Bienen(1957) zeigt sich Jüngers neue, kri­tis­che Sicht auf die Tech­nik. Er set­zt diese Ten­denz mit dem äußerst pos­i­tiv aufgenomme­nen Buch An der Zeit­mauer (1959) fort, in dem er den Abschied von der Geschichte erk­lärt, den er am verän­derten Ver­hält­nis zur Natur fest­macht. Jünger gewin­nt dem Wan­del aber auch pos­i­tive Seit­en ab und sieht neue mythis­che Kräfte wach­sen. In diesem Sinne war auch die Zeitschrift Antaios (1959–1971), die er gemein­sam mit Mircea Eli­ade her­aus­gab, ein Ver­such, ein Peri­odikum für der­ar­tige Fra­gen zu schaf­fen.

Jüngers 60. Geburt­stag brachte einen neuen Höhep­unkt öffentlich­er Anerken­nung, mehrere Lit­er­atur­preise wurde ihm zuge­sprochen und Bun­de­spräsi­dent Heuss besuchte ihn in Wil­flin­gen, wo er seit Ende 1949 wohnte. Die erste Werkaus­gabe erschien bere­its 1960 bis 1965 in zehn Bän­den (seit 1977 erschien die zweite Gesam­taus­gabe!). Darüber kam es zum Bruch mit Armin Mohler, der Jünger vor­warf, seine frühen, elek­trisieren­den Texte nur in ver­stüm­melter und dem Zeit­geist angepaßter Form abge­druckt zu haben.

Jünger recht­fer­tigt dieses Vorge­hen damals mit der Ver­ant­wor­tung, die er für seine Texte allein trage. Trotz Werkaus­gabe pub­liziert Jünger weit­er. An seinem 70. Geburt­stag begann er wieder regelmäßig Tage­buch zu schreiben, das in mehreren Bän­den als  Siebzig ver­we­ht erschien. Seine Exper­i­mente mit Dro­gen, oft gemein­sam mit Albert Hoff­mann, dem Ent­deck­er der psy­choak­tiv­en Eigen­schaften des LSD, faßt er in dem Band Annäherun­gen (1970) zusam­men, der ihm bald einen Sta­tus in der Eso­terik­szene beschert.

Ander­er­seits machte die zunehmende Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung auch vor Jünger nicht halt und bedachte ihn mit den üblichen Vok­a­beln. Auch wenn Jünger sich aus der Tage­spoli­tik her­aushielt, kamen doch immer wieder bis­sige Kom­mentare von ihm. Durch die Ost­poli­tik von Brandt sah er »ein Drit­tel des Reich­es ohne Gegen­leis­tung ver­spielt « und das Schlimm­ste am Ersten Weltkrieg war für Jünger, daß »wir ihn ver­loren haben«. Er polar­isierte weit­er, was ins­beson­dere bei Ehrun­gen öffentlich aus­ge­tra­gen wurde, z. B. bei der Ver­lei­hung des Goethe-Preis­es 1982.

Ander­er­seits kam Bun­deskan­zler Hel­mut Kohl ihn zum 90. Geburt­stag besuchen. In der Folge nah­men die öffentlichen Ehrun­gen und hohen Besuche weit­er zu. Jüngers 100. Geburt­stag sorgte für großes Medi­ene­cho, sein Tod knapp drei Jahre später bescherte ihm weltweite Nachrufe. Wenige Jahre später erschienen seine poli­tis­chen Auf­sätze der zwanziger Jahre, zahlre­iche Briefwech­sel und die Orig­inal­t­age­büch­er aus dem Ersten Weltkrieg. Sei­ther ist Jünger nicht mehr umstrit­ten, son­dern gehört spätestens seit der Auf­nahme in die Bib­lio­thèque de la Pléi­ade (2008) auch offiziell zu den Klas­sik­ern.

Er starb am 17. Feb­ru­ar 1998 Riedlin­gen.

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Zitat:

Der Umsatz steigt auf Kosten des Kap­i­tals und die Bewe­gung auf Kosten der Sub­stanz; wir hän­gen wie an Schrauben in der Luft. Bei allen Sicherun­gen und bei dem steigen­den Wert, den man der Sicher­heit beim­ißt, fehlt doch die let­zte, die des Ver­trauens, sei es der Men­schen untere­inan­der, sei es der Vorse­hung gegenüber, die bei­de die echte Ord­nung ausze­ich­nen.

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Schriften:

  • In Stahlge­wit­tern, Leis­nig 1920
  • Der Kampf als inneres Erleb­nis, Berlin 1922
  • Das Aben­teuer­liche Herz. Aufze­ich­nun­gen bei Tag und Nacht, Berlin 1929
  • Die totale Mobil­machung, Berlin 1931
  • Der Arbeit­er, Ham­burg 1932
  • Blät­ter und Steine, Ham­burg 1934
  • Auf den Mamork­lip­pen, Ham­burg 1939
  • Strahlun­gen, Tübin­gen 1949
  • Der Waldgang, Frank­furt a. M. 1951; Rivarol, Frank­furt a. M. 1956
  • Jahre der Okku­pa­tion, Stuttgart 1958
  • An der Zeit­mauer, Stuttgart 1959
  • Sub­tile Jag­den, Stuttgart 1967
  • Annäherun­gen. Dro­gen und Rausch, Stuttgart 1970
  • Die Schere, Stuttgart 1990
  • Poli­tis­che Pub­lizis­tik 1919 bis 1933, hrsg. von Sven Olaf Berggötz, Stuttgart 2001
  • Kriegstage­buch 1914–1918, hrsg. von Hel­muth Kiesel, Stuttgart 2010
  • Sämtliche Werke, 22 Bde, Stuttgart 1978–2003

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Lit­er­atur:

  • Hel­muth Kiesel: Ernst Jünger. Die Biogra­phie, München 2007
  • Mar­tin Mey­er: Ernst Jünger, München/Wien 1990
  • Daniel Morat: Von der Tat zur Gelassen­heit. Kon­ser­v­a­tives Denken Mar­tin Hei­deg­ger, Ernst Jünger und Friedrich Georg Jünger, Göt­tin­gen 2007
  • Heimo Schwilk: Ernst Jünger. Ein Jahrhun­dertleben. Die Biogra­phie, München 2007