Gogarten, Friedrich, Theologe, 1887–1967

Gog­a­rten wurde am 13.Januar 1887 in Dort­mund geboren. Er studierte bis 1912 in Jena, Berlin und Hei­del­berg The­olo­gie. Seine prä­gen­den Lehrer waren Har­nack und Troeltsch. 1914 wurde er zum Hil­f­spredi­ger in Bre­men, 1917 zum Pfar­rer in Stelzen­dorf (Thürin­gen) und 1925 in das Pfar­ramt zu Dorn­dorf an der Saale bestellt. Gog­a­rten galt als höchst ein­drucksvoller und wort­mächtiger Predi­ger. Schon 1924 erhielt er die Ehren­dok­tor­würde der Uni­ver­sität Gießen und seit 1925 fungierte er neben seinem Pfar­ramt als Pri­vat­dozent in Jena. Funk­tio­nen als ordentlich­er Pro­fes­sor in Bres­lau (seit 1931) und Göt­tin­gen (seit 1935 bis zur Emer­i­tierung 1955) schlossen sich an.

Inspi­ra­tio­nen empf­ing Gog­a­rten ein­er­seits von der Dialog­philoso­phie Mar­tin Bubers und Fer­di­nand Ebn­ers. Er nahm in sein­er Frühzeit Hei­deg­gers Denken aus ein­er genauen Ken­nt­nis des deutschen Ide­al­is­mus, ins­beson­dere von Fichte, dif­feren­ziert zur Ken­nt­nis, erwies aber allen Quellen gegenüber eine hohe Eigen­ständigkeit. In sein­er Frühzeit stand Gog­a­rten der Dialek­tis­chen The­olo­gie Karl Barths nahe. Die Zertrüm­merung des Kul­tur­protes­tantismus bildete eine gemein­same Grun­der­fahrung. Doch in der Beken­nt­nis­si­t­u­a­tion der dreißiger Jahre tren­nte sich sein Weg endgültig von dem Karl Barths. Durchge­hend blieb die Prä­gung Mar­tin Luthers bes­tim­mend. Die Zuge­hörigkeit zu den Deutschen Chris­ten ist umstrit­ten. Sie war allen­falls von vorüberge­hen­der Bedeu­tung.

Gog­a­rtens Werk ist um die Frage des Zusam­men­hangs und der Unter­schei­dung von Offen­barung und Geschichte und damit zugle­ich auf die the­ol­o­gisch ethis­che Gegen­warts­deu­tung konzen­tri­ert. Der durchgängige Leit­faden ist im Lutherischen Sinne die Exp­lika­tion des Wortes Gottes als viva vox Dei und Bindung des Gewis­sens in der Span­nung zwis­chen Gesetz und Evan­geli­um. Deshalb kann Gog­a­rtens Werk als eine Ein­heit gese­hen wer­den.

Es weist jedoch, den Sig­na­turen der Zeit geschuldet, zugle­ich unter­schiedliche, klar erkennbare Entwick­lungsphasen auf. In seinen frühen Schriften im Umkreis des Ersten Weltkriegs ori­en­tiert sich Gog­a­rten ein­er­seits an der Wertephiloso­phie, an Troeltschs Konzep­tion des »rel­a­tiv­en Absoluten« und vor allem an Fichte. Er sucht nach Begriff und Begrün­dung ein­er ethisch rel­e­van­ten Reli­gion, die auf die Iden­tität des Men­schen mit Gott zielt und in der die Kul­tur­w­erte wie Wis­senschaft und Kun­st rel­a­tive Werte sind, die ihre eigentliche Dig­nität von dem Pri­mum Analo­ga­tum, der Bindung an Gott, her gewin­nen. Nach dem Ersten Weltkrieg, bed­ingt aber wohl primär durch ein ver­tieftes Luther-Studi­um seit 1915, ver­wirft Gog­a­rten später die Konzep­tion dieser Ein­heit und ver­ste­ht, ähn­lich wie der frühe Karl Barth, Gott als »Ganz Anderen«, wobei er die Dis­tink­tion trifft: »Entwed­er wir oder die Ewigkeit.«

Die Erfahrung des Gericht­es Gottes wird die zen­trale christliche Erfahrung, weshalb auch sei­ther bei Gog­a­rten nicht mehr im all­ge­meinen von Reli­gion die Rede ist. An Kierkegaard ori­en­tiert, kon­sta­tiert Gog­a­rten, daß sich christlich­er Glaube von einem sin­gulären Ereig­nis in Raum und Zeit mit Offen­barungsrang her schreibt. Dies bedeute den Bruch mit jed­er ide­al­is­tis­chen Erwartung an eine zeit­lose meta­ph­ysis­che Wahrheits- und Wirk­lichkeit­serken­nt­nis. Abzuwehren ist jede – Fichteanis­che – Iden­tität von Ich und Gott. Ethisch bedeutet dies, daß das »Du sollst« den Men­schen als Gebot direkt anre­det, im Unter­schied zu der (Hei­deg­ger verpflichteten) öffentlichen Top­ik des »Man«: »Man sollte etwas tun.« Inter­sub­jek­tiv­ität fol­gt wie ein unüber­schre­it­bar­er Imper­a­tiv aus dieser Offen­barungsre­al­ität. Men­schen sind aufeinan­der ver­wiesen, einan­der gehörig, wobei Gog­a­rten auch von »Hörigkeit« spricht. Sie ste­hen dabei aber unter der Sünde und Schuld. Das Wort Gottes als Gesetz deckt dieses latente Böse auf. Weltliche Ord­nun­gen und Insti­tu­tio­nen hal­ten den Men­schen, wobei diese Rolle Staat, Polis, zulet­zt aber dem Leben (bios) selb­st zukommt. In dieser Zeit, den Jahren 1928–1937, übt Gog­a­rten vehe­ment Kri­tik an der Säku­lar­isierung. Die darin beanspruchte Autonomie sei ein Auf­s­tand gegen Gott.

Eine dritte Phase gewin­nt nach dem Zweit­en Weltkrieg Gestalt. Gog­a­rten zieht ein­er­seits in der Mono­gra­phie Der Men­sch zwis­chen Gott und Welt die Summe sein­er Luther-Stu­di­en, ander­er­seits prüft er nun das Wirk­lichkeitsver­ständ­nis an dem his­torischen Jesus und begreift die »Ver­ant­wor­tung für die Welt vor Gott« als Nach­folge Christi in theo­mor­pher Autonomie. Die Ver­ant­wor­tung vor der Welt wird von der Ver­ant­wor­tung vor Gott unter­schieden, wom­it Gog­a­rten nicht nur die klas­sis­che Zwei-Reiche-Lehre weit­er­führt, son­dern auch die Säku­lar­isierung der Neuzeit the­ol­o­gisch als nur weltlichen Umgang mit der Welt begrün­det und recht­fer­tigt. Dieser Gedanke ste­ht Bon­ho­ef­fers Konzep­tion, vor Gott in der Welt zu leben, als ob es Gott nicht gäbe, ersichtlich nahe. Als Fehlform iden­ti­fiziert Gog­a­rten hinge­gen den Säku­lar­is­mus, eine ange­maßte Autonomie, in der men­schlich­es und poli­tis­ches Han­deln mit gle­ich­sam sakraler Bedeu­tung aufge­laden würde, im Namen welch­er Ide­olo­gie auch immer.

Der starke Begriff des Dial­o­gis­chen bleibt bewahrt, er wird aber im Blick auf das Gewis­sen und den Men­schen vor Gott und sich selb­st the­ma­tisiert. Beson­ders ein­drucksvoll ist es, wie in Gog­a­rtens Gesamtwerk die tiefe und durchge­hende Lutherische Prä­gung sich mit der seis­mis­chen Erfas­sung der eige­nen Zeit verbindet, um an ihr zu wach­sen.

Er starb am 16.10. 1967 in Göt­tin­gen.

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Zitat:

Nicht darum also geht es bei der Erken­nt­nis der soge­nan­nten »christlichen« Ethik als ein­er der aus dem christlichen Glauben sich ergebe­nen Säku­lar­i­sa­tion­ser­schei­n­un­gen, daß sie preis­gegeben wer­den soll. Vielmehr han­delt es sich im Gegen­teil darum, daß in ihr, so wie es dem Denken und den ihm über­ant­worteten Entschei­dun­gen zukommt, das Geschick des Men­schen in sein­er Geschichtlichkeit besorgt wird. Nur so behält auch der Glaube den Bere­ich, in dem allein er Glaube zu bleiben ver­mag.

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Schriften:

  • Fichte als religiös­er Denker, Jena 1914
  • Die religiöse Entschei­dung, Jena 1914
  • Illu­sio­nen, Jena 1926
  • Poli­tis­che Ethik. Ver­such ein­er Grundle­gung, Jena 1932
  • Das Beken­nt­nis der Kirche, Jena 1934
  • Gericht oder Skep­sis. Eine Stre­itschrift gegen Karl Barth, Jena 1937
  • Die Verkündi­gung Jesu Christi, Hei­del­berg 1948 (zulet­zt 1967)
  • Die Kirche in der Welt, Hei­del­berg 1948
  • Der Men­sch zwis­chen Gott und Welt, Hei­del­berg 1952 (zulet­zt 1967)
  • Ver­häng­nis und Hoff­nung der Neuzeit. Die Säku­lar­isierung als the­ol­o­gis­ches Prob­lem, Stuttgart 1953, ²1958
  • Der Schatz in ird­e­nen Gefäßen. Predigten, Stuttgart 1960
  • Jesus Chris­tus. Wende der Welt. Grund­fra­gen zur Chris­tolo­gie, Tübin­gen 1966
  • Luthers The­olo­gie, Tübin­gen 1967
  • Die Frage nach Gott, Tübin­gen 1968

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Lit­er­atur:

  • Armin Volk­mar Bauer: Frei­heit zur Welt. Zum Weltver­ständ­nis und Weltver­hält­nis des Chris­ten nach der The­olo­gie Friedrich Gog­a­rtens, Pader­born 1967
  • Joachim Kahl: Philoso­phie und Chris­tolo­gie im Denken Friedrich Gog­a­rtens, Mar­burg 1967
  • Theodor Strohm: The­olo­gie im Schat­ten poli­tis­ch­er Roman­tik, München/Mainz 1970