Geheimer Bericht und andere biographische Aufzeichnungen — Pierre Drieu La Rochelle, 1951

»Der faschis­tis­che Intellek­tuelle ist der radikale déca­dent«, schrieb Gün­ter Maschke über den Schrift­steller Pierre Drieu La Rochelle. »Er kann den ihn quälen­den Wert­ni­hilis­mus nur ertra­gen, weil er glaubt, daß sich das wirk­liche Leben erst im Aus­nah­mezu­s­tand enthüllt; im Krieg oder im Augen­blick der Gefahr.«

Drieu gilt als ein­er der schillernd­sten Expo­nen­ten unter den faschis­tis­chen Lit­er­at­en; mit Louis-Fer­di­nand Céline, Robert Brasil­lach und Lucien Rebatet teilt er den Ruf eines poli­tis­chen Poéte mau­dit, der sich im beset­zten Frankre­ich der Jahre 1940–44 der Sünde der aktiv­en Kol­lab­o­ra­tion schuldig gemacht hat­te. Wie seine Schick­salsgenossen hat­te Drieu aber auch in ander­er Hin­sicht einen abgründi­gen, einen »ver­dammten« Zug.

Der Ver­fass­er von Roma­nen wie Das Irrlicht (1931), Verträumte Bour­geoisie (1937) und Die Unzulänglichen (1939), Weltkrieg­steil­nehmer und Wegge­fährte der Sur­re­al­is­ten, war ein rast­los­er, todessehn­süchtiger Dandy, den Frauen und dem Rausch zuge­tan, der die wahrgenommene Dekadenz seines Zeital­ters eben­so in sich trug, wie er sie durch den »reve fas­ciste« (Mau­rice Bardéche) zu über­winden suchte. Nach der Befreiung von Paris im August 1944 unter­nahm er einen ersten Suizid­ver­such, den er zufäl­lig über­lebte. Als am 15. März 1945 ein Vor­führungs­be­fehl gegen ihn erge­ht, tötet er sich mit ein­er Über­do­sis Schlafmit­tel.

Geheimer Bericht ver­sam­melt auto­bi­ographis­che Schriften Drieus sowie Essays des Her­aus­ge­bers Joachim Sar­to­rius und des Drieu-Biographen Frédéric Grover, die sich vor allem auf die Innen­seite seines fatal­en poli­tis­chen Weges konzen­tri­eren. Der titel­gebende Text, ver­faßt nach dem Selb­st­mord­ver­such Drieus im August 1944, stellt den Fre­itod in einen weit­eren Kon­text, in dem selb­st die Parteinahme für die schon früh als ver­loren und kor­rumpiert erkan­nte Sache des Faschis­mus als Schachzug eines aus­sicht­slosen, tödlichen Spiels mit dem Schick­sal erscheint, an dessen Ende ein befreien­der Zusam­men­bruch ste­ht und dessen stärk­ster Antrieb die Suche nach ein­er absoluten Tran­szen­denz ist, die im irdis­chen Leben nicht zu erlan­gen ist: »Es gibt fast immer, es gibt vielle­icht immer ein Ele­ment der Rein­heit in dem zum Selb­st­mord Neigen­den.« Seine lebenslange, beinah mys­tis­che Nei­gung zum Selb­st­mord sieht Drieu verknüpft mit ein­er »magis­chen, theur­gis­chen Neugierde, die von Unternehmungen, von Über­schre­itun­gen träumt«, eine »kühne, unbesonnene Neugierde, die tätig sein, auf Exper­i­mente aus sein will«. Großen Ein­fluß hat­ten hier auch indis­che und chi­ne­sis­che Vorstel­lun­gen von der Unter­schei­dung zwis­chen »dem Sein und dem Nicht­sein auf der einen Seite, und dem, was jen­seits dieser Antin­o­mie ist«.

Diesem »geheimen« Pri­vatis­si­mum gegenüber ste­ht das Exordi­um, eine Art öffentlich­es Tes­ta­ment und stolze Vertei­di­gungsrede, in der Drieu noch ein­mal seine poli­tis­chen Motive reka­pit­uliert. Er beken­nt sich als »nicht schuldig« im Sinne der Anklage, deren Recht­sprechung er nicht anerken­nt. Drieu beken­nt, auf ein starkes Deutsch­land gehofft zu haben, das als hege­mo­ni­ale Schutz­macht Europa eini­gen und gegenüber den rus­sis­chen und anglo-amerikanis­chen Inter­essen vertei­di­gen würde. Die Deutschen und ins­beson­dere Hitler waren dieser Auf­gabe aber nicht gewach­sen gewe­sen – am Ende haben sie nicht weniger zu Zer­störung Europas beige­tra­gen als ihre Feinde. Er als Intellek­tueller aber habe kon­se­quent gehan­delt und seine Bere­itschaft unter Beweis gestellt, mit seinem eige­nen Blut statt mit Tinte zu unter­schreiben.

– — –

Zitat:

Ja, ich bin ein Ver­räter. Ja, ich war im Ein­ver­ständ­nis mit dem Feind. Ich habe dem Feind franzö­sis­chen Ver­stand gebracht. Es ist nicht meine Schuld, daß dieser Feind nicht ver­ständig gewe­sen ist. Ja, ich bin kein gewöhn­lich­er Patri­ot, kein ver­nagel­ter Nation­al­ist: Ich bin ein Inter­na­tion­al­ist. Ich bin nicht nur Fran­zose, ich bin Europäer. Auch ihr seid es, unbe­wußt oder bewußt. Aber wir haben gespielt, ich habe ver­loren. Ich beantrage den Tod.

– — –

Lit­er­atur:

  • Benedikt Kaiser: Euro­faschis­mus und bürg­er­liche Dekadenz. Europakonzep­tion und Gesellschaft­skri­tik bei Pierre Drieu La Rochelle, Kiel 2011