Geschichtsphilosophie und Weltbürgerkrieg — Hanno Kesting, 1959

Der Begriff »Welt­bürg­erkrieg« hat sich zuerst in der »Schule« Carl Schmitts durchge­set­zt, zu deren wichtig­sten Köpfen in der Nachkriegszeit Han­no Kest­ing gehörte. Kest­ing hat das Stich­wort aufge­grif­f­en und in seinem Buch Geschicht­sphiloso­phie und Welt­bürg­erkrieg eine der orig­inell­sten Deu­tun­gen jen­er ide­ol­o­gis­chen Kon­flik­te geliefert, die seit dem 18. Jahrhun­dert das Geschehen zuerst im europäis­chen, dann im glob­alen Maßstab (mit)bestimmten und immer die Ein­heit von Raum und Men­schheit voraus­set­zten, in der die Kämpfend­en mehr oder weniger deut­lich als Mit­glieder von Parteien, ver­standen als Frak­tio­nen der Ein­heit, betra­chtet wur­den.

Ursache dafür ist nach Kest­ing, daß die »Geschicht­sagen­ten« der ver­schiede­nen Lager seit der Franzö­sis­chen Rev­o­lu­tion daran gegan­gen sind, ihre Vorstel­lun­gen von den Geset­zen und Zie­len des his­torischen Prozess­es ein­er »Öffentlichkeit« zu präsen­tieren, die zwar nicht als eine rein pas­sive, aber hochma­nip­ulier­bare Größe zu betra­cht­en ist. Die Mas­sen­ge­sellschaft ist deshalb nach Kest­ings Mei­n­ung nicht in erster Lin­ie bes­timmt von den objek­tiv­en Bedin­gun­gen der tech­nis­chen Entwick­lung an der »Basis«, son­dern von Auseinan­der­set­zun­gen im »Über­bau«. Hat­ten dabei seit der Aufk­lärung die Kräfte der Linken die Ober­hand, deren »bewaffnete Mis­sion­are« am Ende des 18. Jahrhun­derts began­nen, die Welt nach ihren utopis­chen Vorstel­lun­gen umzugestal­ten, zeich­nete sich im Vor­feld des Ersten Weltkriegs eine Gegen­be­we­gung ab, die zwar nicht mehr der alten, aber ein­er neuen Recht­en zuzuord­nen war, die sich auch mod­ern­er Meth­o­d­en bedi­ente, um ihr Ziel zu erre­ichen, das let­ztlich darin bestand, die große Umwälzung abzustop­pen oder doch so abzu­lenken, daß sie anderen als zer­störerischen Zie­len dienen würde.

Kest­ing wußte, daß das nicht gelun­gen war, son­dern die von Europa aus­ge­hende Dynamik let­ztlich zur Ent­mach­tung Europas – dem »Unter­gang des Abend­lan­des« – geführt hat­te. Seine Inter­pre­ta­tion durchzieht deshalb ein tief pes­simistis­ch­er Ton. Ver­schiedentlich wird sog­ar erkennbar, daß er mit »nachgeschichtlichen« Zustän­den rech­net, in denen nur noch eine poli­tis­che »Kyber­netik« helfen könne: Sie würde zwar nicht das Beste erre­ichen, aber wenig­stens das Schlimm­ste ver­hüten. In diesen Andeu­tun­gen wird eine Affinität zu Arnold Gehlen erkennbar, bei dem Kest­ing sich noch in den sechziger Jahren habil­i­tieren kon­nte, bevor sein Leben früh und tragisch endete.

Die biographis­chen und die Zei­tum­stände erk­lären viel von der Wirkungslosigkeit der Arbeit­en Kest­ings, ins­beson­dere seines Hauptwerks Geschicht­sphiloso­phie und Welt­bürg­erkrieg, das am Ende der »halky­onis­chen Jahre« (Cas­par von Schrenck-Notz­ing) erschien, kaum beachtet wurde und dann aus dem Bewußt­sein der Öffentlichkeit ver­schwand, weil man den Denkstil befremdlich fand und die Skep­sis unpassend.

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Zitat:

In ihrer Maßlosigkeit und Beschränk­theit haben Fas­cis­mus wie Nation­al­sozial­is­mus die his­torische Stunde ver­spielt und, im Ergeb­nis, die Staat­en und Völk­er Europas dem Schick­sal des Satel­li­ten­tums aus­geliefert…

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Lit­er­atur:

  • Dirk van Laak: Gespräche in der Sicher­heit des Schweigens. Carl Schmitt in der poli­tis­chen Geis­tes­geschichte der frühen Bun­desre­pub­lik, Berlin 1993