Schrenck-Notzing, Caspar von, Verleger, 1927–2009

Die Fam­i­lie Cas­par von Schrenck-Notz­ings gehört zu den ältesten Patriziergeschlechtern der Stadt. Cas­par, geboren am 23. Juni 1927 in München, wurde noch während des Schulbe­suchs 1943 als Flakhelfer einge­zo­gen, kam aber krankheits­be­d­ingt nicht mehr zum Ein­satz. Entschei­dend für seine weltan­schauliche Prä­gung war der Zusam­men­bruch, genauer der Sieg der „Koali­tion von 1945“. Gemeint war damit die dauernde, weit über das Mil­itärische hin­aus­ge­hende, Ein­fluß­nahme der Siegermächte auf Deutsch­land nach dem Ende der Kriegshand­lun­gen ein­er­seits, die Instal­la­tion der Ide­olo­gie des „Antifaschis­mus“ unter tätiger Mith­il­fe der Deutschen ander­er­seits. Schon Anfang der fün­fziger Jahre suchte Schrenck-Notz­ing Kon­takt zu Kreisen der kon­ser­v­a­tiv­en Intel­li­genz. Da er sich nicht auf den christlichen Tra­di­tions­be­stand zurückziehen wollte, stand er rel­a­tiv ein­sam zwis­chen den ver­schiede­nen Blöck­en der intellek­tuellen Recht­en, die sich bilde­ten: den Betont-Katholis­chen oder Nos­tal­gik­ern im Umfeld der „Abendländis­chen Akademie“, den Nur-Antikom­mu­nis­ten oder den Anhängern eines „Nation­al­sozial­is­mus mit men­schlichem Antlitz“.

Die Nei­gung, sich zwis­chen die Stüh­le zu set­zen, teilte er mit seinem Fre­und Armin Mohler. Wobei allerd­ings Schrenck-Notz­ings Skep­sis gegenüber der Bedeu­tung „ide­ol­o­gis­ch­er Samen­streuer“ größer war als die Mohlers. Der Vor­be­halt hin­derte ihn im übri­gen nicht, sich neben dem Plan zu ein­er wis­senschaftlichen „Ide­olo­gien­kunde“ in der zweit­en Hälfte der fün­fziger Jahre vor allem mit der Jagd auf Bib­lio­theken und Nach­lässe zu beschäfti­gen, in deren Kon­se­quenz die größte Pri­vat­samm­lung zur Geschichte der deutschen und europäis­chen intellek­tuellen Recht­en zus­tande gekom­men sein dürfte.

Inter­esse und per­sön­liche Dis­po­si­tion Schrenck-Notz­ings deuteten eigentlich nicht auf eine akti­vere Rolle in der Öffentlichkeit hin. Aber poli­tis­ch­er Kli­mas­turz und Mauer­bau zwan­gen ihn zu ein­er neuen Posi­tions­bes­tim­mung. Sein erstes Buch, das 1961 unter dem Titel 100 Jahre Indi­en erschien, war insofern Symp­tom des Über­gangs. Deut­lich wurde das auch am Tenor seines pro­gram­ma­tis­chen Auf­satzes „Wider die Gefühlspoli­tik“, der 1962 in der Zeitschrift Der Monat erschien. Es gehe nicht um die Pflege anti­quar­isch­er Inter­essen oder um Sen­ti­men­tal­itäten, hieß es da, son­dern um eine nüchterne Beurteilung der Lage. Die erlaube kein anderes Urteil, als daß der „Prozeß der zunehmenden Manip­ulier­barkeit der poli­tis­chen Sphäre … irre­versibel“ sei. Man könne darüber kla­gen, aber das führe zu nichts, die Kon­ser­v­a­tiv­en müßten ihrer­seits ler­nen, das „psy­cho-tech­nis­che Schalt­brett“ zu bedi­enen.

Die bei­den Büch­er, die Schrenck-Notz­ing in den fol­gen­den Jahren veröf­fentlichte, Charak­ter­wäsche (1965) und Zukun­fts­mach­er (1968), befaßten sich mit der Frage, warum den Kon­ser­v­a­tiv­en der Zugang zu diesem „Schalt­brett“ ver­stellt blieb, und seine Antwort lautete: weil auch hier die Kon­stel­la­tion von ‘45 nach­wirk­te, die amerikanis­che reed­u­ca­tion ein­er­seits, die zer­set­zende Wirkung des „Lib­er­al­is­mus“ ander­er­seits dazu geführt hat­ten, der Gegen­seite die Macht­po­si­tio­nen zu ver­schaf­fen. Bis zum Ende der sechziger Jahre kon­nte man noch eine gewisse Hoff­nung haben, daß sich diese Entwick­lung kor­rigieren lasse, aber das Schwinden der Pub­lika­tion­s­möglichkeit­en für die kon­ser­v­a­tive Intel­li­genz war ein Symp­tom für die gravierende Änderung der Lage. Wer sich dem Anpas­sungskurs der bürg­er­lichen Ver­lage und Zeitun­gen nicht anschließen wollte, mußte auf Abhil­fe sin­nen. Die Folge war eine kleine Welle von Zeitschriften­grün­dun­gen seit 1969, wobei das von Schrenck-Notz­ing etablierte Crit­icón (1970–2005) ohne Zweifel das intellek­tuell ein­flußre­ich­ste wurde.

Crit­icón war ursprünglich nur als Rezen­sion­sor­gan konzip­iert, um einen gewis­sen Abon­nen­tenkreis über Neuer­schei­n­un­gen zu informieren, die in der Presse nicht hin­re­ichend gewürdigt wur­den und die zur Vor­bere­itung ein­er kon­ser­v­a­tiv­en The­o­rie im weit­eren Sinn des Wortes geeignet waren. Wenn man Crit­icón als „The­o­rieor­gan“ beze­ich­net, wider­spricht das keineswegs dem Plu­ral­is­mus der Inhalte. Die Zeitschrift entwick­elte sich sehr schnell über den anfangs beschei­de­nen Anspruch hin­aus, kom­binierte Autoren­porträts und Grund­satzartikel mit Kurz­in­for­ma­tio­nen, Hin­ter­grund­bericht­en und Besprechun­gen. Zu den Mitar­beit­ern gehörten Kon­ser­v­a­tive jed­er Couleur, einige Recht­slib­erale und auch Einzel­gänger aus dem Lager der Nation­al­rev­o­lu­tionäre. Schrenck-Notz­ing gelang es, diese in sich sehr het­ero­gene Autoren­schaft zusam­men­zuhal­ten und eine nicht ganz uner­he­bliche Außen­wirkung zu ent­fal­ten.

Mit der Grün­dung von Crit­icón ergab sich eine deut­liche Ver­schiebung in der pub­lizis­tis­chen Tätigkeit Schrenck-Notz­ings, der in Zukun­ft nur noch Zeit fand, drei kleinere Mono­gra­phien – Demokratisierung (1972), Hon­o­ra­tiorendäm­merung (1973) und Abschied vom Parteien­staat (1988) — zu schreiben und zwei Bände mit erweit­erten Crit­icón-Auf­sätzen – Kon­ser­v­a­tive Köpfe (1978) sowie Deutsche Iden­tität (1982) – her­auszugeben.

In erster Lin­ie konzen­tri­erte Schrenck-Notz­ing seine Energie aber auf Crit­icón. Die Zeitschrift diente dem Ver­such, wenn schon nicht direkt auf die Öffentliche Mei­n­ung einzuwirken, so doch einen Punkt der Schei­dung, der „Kri­sis“ – darauf nahm der Titel Crit­icón Bezug – zu bilden. Vor allem war der Name Crit­icón aber eine Ref­erenz gegenüber dem Roman El Crit­icón des spanis­chen Jesuit­en Bal­tasar Gracián. Graciáns Klugheit­slehre übte auf Schrenck-Notz­ing eine ähn­liche Fasz­i­na­tion aus wie das Werk Machi­avel­lis, nicht nur wegen ihres anti­nor­ma­tiv­en Gehalts, son­dern auch, weil er meinte, hier die Grun­dele­mente ein­er wirk­lich real­is­tis­chen poli­tis­chen The­o­rie gefun­den zu haben. Schrenck-Notz­ing kon­nte Crit­icón, wie selb­st Übel­wol­lende zugaben, als „Blatt der recht­en Intel­li­genz“ etablieren, mit konzen­tri­ertem Blick auf die deutsche Lage, aber ein­er „inter­na­tion­al­is­tis­chen“ (Claus Leggewie) Per­spek­tive.

Die Zeitschrift diente dabei nicht nur als Organ ein­er geisti­gen Oppo­si­tion, sie diente auch ein­er ganzen Gen­er­a­tion junger Kon­ser­v­a­tiv­er als Alter­na­tivhochschule, in der man Infor­ma­tion und Ori­en­tierung fand, die son­st kaum noch ange­boten wur­den. Schrenck-Notz­ing hat seine Auf­gabe über dreißig Jahre getreulich, wenn auch nicht ohne ein gewiss­es Wider­streben erfüllt. Erst in den neun­ziger Jahren kon­nte er mit der Her­aus­gabe des Lexikons des Kon­ser­vatismus (1996) und der Grün­dung der „Förder­s­tiftung Kon­ser­v­a­tive Bil­dung und Forschung“ (FKBF) ältere Pläne wieder aufnehmen, die weg von den Zwän­gen des Tages­geschäfts und des Jour­nal­is­mus, hin zu ein­er stärk­eren Konzen­tra­tion auf die Grund­la­ge­nar­beit führten.

Schrenck-Notz­ing starb am 25. Jan­u­ar 2009 in München.

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Zitat:

Was heute kon­ser­v­a­tiv ist, kann wed­er aus dem Wort noch aus der Geschichte abgeleit­et wer­den, son­dern entschei­det sich im Getüm­mel des Tages.

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Schriften:

  • Hun­dert Jahre Indi­en, Stuttgart 1961
  • Charak­ter­wäsche, Stuttgart-Degerloch 1965
  • Zukun­fts­mach­er, Stuttgart-Degerloch 1968
  • Demokratisierung, Stuttgart-Degerloch 1972
  • Hon­o­ra­tiorendäm­merung, Stuttgart-Degerloch 1973
  • (als Hrsg.) Kon­ser­v­a­tive Köpfe, München 1978
  • (als Hrsg. mit Armin Mohler) Deutsche Iden­tität, Krefeld 1982
  • Abschied vom Parteien­staat, Asendorf 1988
  • (als Hrsg.) Lexikons des Kon­ser­vatismus Graz und Stuttgart 1996