Die Familie Caspar von Schrenck-Notzings gehört zu den ältesten Patriziergeschlechtern der Stadt. Caspar, geboren am 23. Juni 1927 in München, wurde noch während des Schulbesuchs 1943 als Flakhelfer eingezogen, kam aber krankheitsbedingt nicht mehr zum Einsatz. Entscheidend für seine weltanschauliche Prägung war der Zusammenbruch, genauer der Sieg der „Koalition von 1945“. Gemeint war damit die dauernde, weit über das Militärische hinausgehende, Einflußnahme der Siegermächte auf Deutschland nach dem Ende der Kriegshandlungen einerseits, die Installation der Ideologie des „Antifaschismus“ unter tätiger Mithilfe der Deutschen andererseits. Schon Anfang der fünfziger Jahre suchte Schrenck-Notzing Kontakt zu Kreisen der konservativen Intelligenz. Da er sich nicht auf den christlichen Traditionsbestand zurückziehen wollte, stand er relativ einsam zwischen den verschiedenen Blöcken der intellektuellen Rechten, die sich bildeten: den Betont-Katholischen oder Nostalgikern im Umfeld der „Abendländischen Akademie“, den Nur-Antikommunisten oder den Anhängern eines „Nationalsozialismus mit menschlichem Antlitz“.
Die Neigung, sich zwischen die Stühle zu setzen, teilte er mit seinem Freund Armin Mohler. Wobei allerdings Schrenck-Notzings Skepsis gegenüber der Bedeutung „ideologischer Samenstreuer“ größer war als die Mohlers. Der Vorbehalt hinderte ihn im übrigen nicht, sich neben dem Plan zu einer wissenschaftlichen „Ideologienkunde“ in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre vor allem mit der Jagd auf Bibliotheken und Nachlässe zu beschäftigen, in deren Konsequenz die größte Privatsammlung zur Geschichte der deutschen und europäischen intellektuellen Rechten zustande gekommen sein dürfte.
Interesse und persönliche Disposition Schrenck-Notzings deuteten eigentlich nicht auf eine aktivere Rolle in der Öffentlichkeit hin. Aber politischer Klimasturz und Mauerbau zwangen ihn zu einer neuen Positionsbestimmung. Sein erstes Buch, das 1961 unter dem Titel 100 Jahre Indien erschien, war insofern Symptom des Übergangs. Deutlich wurde das auch am Tenor seines programmatischen Aufsatzes „Wider die Gefühlspolitik“, der 1962 in der Zeitschrift Der Monat erschien. Es gehe nicht um die Pflege antiquarischer Interessen oder um Sentimentalitäten, hieß es da, sondern um eine nüchterne Beurteilung der Lage. Die erlaube kein anderes Urteil, als daß der „Prozeß der zunehmenden Manipulierbarkeit der politischen Sphäre … irreversibel“ sei. Man könne darüber klagen, aber das führe zu nichts, die Konservativen müßten ihrerseits lernen, das „psycho-technische Schaltbrett“ zu bedienen.
Die beiden Bücher, die Schrenck-Notzing in den folgenden Jahren veröffentlichte, Charakterwäsche (1965) und Zukunftsmacher (1968), befaßten sich mit der Frage, warum den Konservativen der Zugang zu diesem „Schaltbrett“ verstellt blieb, und seine Antwort lautete: weil auch hier die Konstellation von ‘45 nachwirkte, die amerikanische reeducation einerseits, die zersetzende Wirkung des „Liberalismus“ andererseits dazu geführt hatten, der Gegenseite die Machtpositionen zu verschaffen. Bis zum Ende der sechziger Jahre konnte man noch eine gewisse Hoffnung haben, daß sich diese Entwicklung korrigieren lasse, aber das Schwinden der Publikationsmöglichkeiten für die konservative Intelligenz war ein Symptom für die gravierende Änderung der Lage. Wer sich dem Anpassungskurs der bürgerlichen Verlage und Zeitungen nicht anschließen wollte, mußte auf Abhilfe sinnen. Die Folge war eine kleine Welle von Zeitschriftengründungen seit 1969, wobei das von Schrenck-Notzing etablierte Criticón (1970–2005) ohne Zweifel das intellektuell einflußreichste wurde.
Criticón war ursprünglich nur als Rezensionsorgan konzipiert, um einen gewissen Abonnentenkreis über Neuerscheinungen zu informieren, die in der Presse nicht hinreichend gewürdigt wurden und die zur Vorbereitung einer konservativen Theorie im weiteren Sinn des Wortes geeignet waren. Wenn man Criticón als „Theorieorgan“ bezeichnet, widerspricht das keineswegs dem Pluralismus der Inhalte. Die Zeitschrift entwickelte sich sehr schnell über den anfangs bescheidenen Anspruch hinaus, kombinierte Autorenporträts und Grundsatzartikel mit Kurzinformationen, Hintergrundberichten und Besprechungen. Zu den Mitarbeitern gehörten Konservative jeder Couleur, einige Rechtsliberale und auch Einzelgänger aus dem Lager der Nationalrevolutionäre. Schrenck-Notzing gelang es, diese in sich sehr heterogene Autorenschaft zusammenzuhalten und eine nicht ganz unerhebliche Außenwirkung zu entfalten.
Mit der Gründung von Criticón ergab sich eine deutliche Verschiebung in der publizistischen Tätigkeit Schrenck-Notzings, der in Zukunft nur noch Zeit fand, drei kleinere Monographien – Demokratisierung (1972), Honoratiorendämmerung (1973) und Abschied vom Parteienstaat (1988) — zu schreiben und zwei Bände mit erweiterten Criticón-Aufsätzen – Konservative Köpfe (1978) sowie Deutsche Identität (1982) – herauszugeben.
In erster Linie konzentrierte Schrenck-Notzing seine Energie aber auf Criticón. Die Zeitschrift diente dem Versuch, wenn schon nicht direkt auf die Öffentliche Meinung einzuwirken, so doch einen Punkt der Scheidung, der „Krisis“ – darauf nahm der Titel Criticón Bezug – zu bilden. Vor allem war der Name Criticón aber eine Referenz gegenüber dem Roman El Criticón des spanischen Jesuiten Baltasar Gracián. Graciáns Klugheitslehre übte auf Schrenck-Notzing eine ähnliche Faszination aus wie das Werk Machiavellis, nicht nur wegen ihres antinormativen Gehalts, sondern auch, weil er meinte, hier die Grundelemente einer wirklich realistischen politischen Theorie gefunden zu haben. Schrenck-Notzing konnte Criticón, wie selbst Übelwollende zugaben, als „Blatt der rechten Intelligenz“ etablieren, mit konzentriertem Blick auf die deutsche Lage, aber einer „internationalistischen“ (Claus Leggewie) Perspektive.
Die Zeitschrift diente dabei nicht nur als Organ einer geistigen Opposition, sie diente auch einer ganzen Generation junger Konservativer als Alternativhochschule, in der man Information und Orientierung fand, die sonst kaum noch angeboten wurden. Schrenck-Notzing hat seine Aufgabe über dreißig Jahre getreulich, wenn auch nicht ohne ein gewisses Widerstreben erfüllt. Erst in den neunziger Jahren konnte er mit der Herausgabe des Lexikons des Konservatismus (1996) und der Gründung der „Förderstiftung Konservative Bildung und Forschung“ (FKBF) ältere Pläne wieder aufnehmen, die weg von den Zwängen des Tagesgeschäfts und des Journalismus, hin zu einer stärkeren Konzentration auf die Grundlagenarbeit führten.
Schrenck-Notzing starb am 25. Januar 2009 in München.
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Zitat:
Was heute konservativ ist, kann weder aus dem Wort noch aus der Geschichte abgeleitet werden, sondern entscheidet sich im Getümmel des Tages.
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Schriften:
- Hundert Jahre Indien, Stuttgart 1961
- Charakterwäsche, Stuttgart-Degerloch 1965
- Zukunftsmacher, Stuttgart-Degerloch 1968
- Demokratisierung, Stuttgart-Degerloch 1972
- Honoratiorendämmerung, Stuttgart-Degerloch 1973
- (als Hrsg.) Konservative Köpfe, München 1978
- (als Hrsg. mit Armin Mohler) Deutsche Identität, Krefeld 1982
- Abschied vom Parteienstaat, Asendorf 1988
- (als Hrsg.) Lexikons des Konservatismus Graz und Stuttgart 1996