Geschlecht

Geschlecht beze­ich­nete über den läng­sten Zeitraum ganz selb­stver­ständlich die sex­uelle Zuord­nung von Pflanzen, Tieren und Men­schen. Im Fall des Men­schen war allerd­ings deut­lich, daß die biol­o­gis­che Basis nicht aus­re­ichte, um ein­deutig zu definieren, welche gesellschaftliche Stel­lung und welche gesellschaftlichen Auf­gaben aus dem jew­eili­gen Geschlecht resul­tierten. Die Menge der Vari­anten in ver­schiede­nen Kul­turen war groß, ihnen allen gemein­sam aber die Schaf­fung ein­er mehr oder weniger rigi­den Ord­nung, um die Macht des Sex­uellen zu hegen.
 
Dabei gab es zwar Spiel­räume — strik­tes oder weniger strik­tes Eherecht, Monogamie oder Polyg­a­mie etc. — aber grund­sät­zlich wurde die Notwendigkeit der Ord­nung selb­st nie in Frage gestellt; was auch eine regelmäßige Tren­nung von “Nor­mal­ität” und “Per­ver­sion” im Geschlechtlichen erk­lärt. In der abendländis­chen Geschichte spiel­ten dabei vor allem antike und bib­lis­che Moralvorstel­lun­gen eine entschei­dende Rolle.
 
In den führen­den Kul­turschicht­en legte man außer­dem beson­deren Wert auf eine möglichst deut­liche Aus­d­if­feren­zierung des Männlichen (“Herr”) und des Weib­lichen (“Dame”), die die Polar­ität der bei­den her­vorhob und nicht verdeck­te; das diente der Masse der Bevölkerung aber nur als Ori­en­tierung, deren Lebenswirk­lichkeit erlaubte oft keine so klare Schei­dung der Bere­iche.
Die Aufk­lärung und die poli­tis­chen Rev­o­lu­tio­nen des 18. beziehungsweise 19. Jahrhun­derts leit­eten eine Entwick­lung ein, die auch dazu führte, daß die Zuweisung der Weib­lichkeits- und Männlichkeitsvorstel­lun­gen immer weniger als selb­stver­ständlich begrif­f­en wurde. Die anfangs schwache, aber bis zum Aus­bruch des Ersten Weltkriegs deut­lich erstark­te Frauen­rechts­be­we­gung ließ eine Forderung nach “Emanzi­pa­tion” nur öffentlichkeitswirk­sam wer­den, die schon länger vor­bere­it­et wor­den war: zuerst in Aris­tokratie und gehoben­em Bürg­er­tum sowie deren Aus­läufern in der Bohème.
 
Während die poli­tis­che Linke diese Ten­den­zen selb­stver­ständlich unter­stützte, ent­stand auf der Recht­en ein “Antifem­i­nis­mus” (Hans Blüher), der sich nicht lange mit der Zurück­weisung poli­tis­ch­er und sozialer Forderun­gen nach “Gle­ich­berech­ti­gung” aufhielt, son­dern grund­sät­zliche Ein­wen­dun­gen erhob. Dabei wur­den zum Teil philosophis­che Ansätze (Schopen­hauer, Niet­zsche) aufge­grif­f­en, aber auch solche, die die Ver­schieden­heit der Geschlechter nicht nur als biol­o­gis­ches, son­dern auch als geistiges Fak­tum behaupteten und in jedem Fall die These von der kon­tinuier­lichen Unter­drück­ung der Frau in Zweifel zogen. Zu den wichtig­sten Vertretern dieser Lin­ie wird man Otto Weininger, Julius Evola und Alfred Baeum­ler rech­nen müssen.
 
Trotz oder ger­ade wegen sein­er Vehe­menz war diesem Wider­stand kein Erfolg beschieden. Die Geschichte des 20. Jahrhun­derts hat jeden­falls dazu geführt, daß der Fem­i­nis­mus seine wesentlichen Ziele erre­ichen kon­nte. Er sah sich dabei allerd­ings gezwun­gen, Bünd­nisse mit bes­timmten wirtschaftlichen Inter­essen (unbe­d­ingter Ein­satz von Frauen als Arbeit­skräfte) und medi­zinis­chen Tech­nolo­gien (Kon­trazep­ti­va) einzuge­hen, um die Angle­ichung der weib­lichen Leben­skonzepte an männliche zu erre­ichen.
 
Ide­ol­o­gisch über­wölbt wurde dieses Vorge­hen zuerst mit der Annahme, daß die Ausle­gung des Geschlechts lediglich auf ein­er gesellschaftlich definierten “Rolle” beruhe, die auch beliebig anders ausse­hen könne. Neuerd­ings wird darüber hin­aus­ge­hend behauptet, daß das Geschlecht let­ztlich eine Kon­struk­tion sei und der Wahl­frei­heit des einzel­nen unter­liege. Der­ar­tige Vorstel­lun­gen, auf die auch die Hochschätzung von Homo- und Trans­sex­u­al­ität zurück­zuführen sind, haben heute einen erhe­blichen Ein­fluß auf Geset­zge­bung und Päd­a­gogik gewon­nen, wirken sich aber auch in ein­er auf Androg­y­nität gerichteten Mode und entsprechen­den Wer­be­bildern aus.
 
Dem liegt in let­zter Kon­se­quenz der Wun­sch nach ein­er “anthro­pol­o­gis­chen Rev­o­lu­tion” (Her­bert Mar­cuse) zugrunde, die den Men­schen voll­ständig von seinen biol­o­gis­chen Bedin­gun­gen (Natur) ablösen soll. Obwohl die prak­tis­chen Möglichkeit­en, dieses Ziel zu erre­ichen, weit gediehen sind, wird man doch auch die Stärke der Gegen­be­we­gun­gen sehen müssen, die wieder auf eine “natür­liche” Zuord­nung des Geschlechts aus­ge­hen. Deren Wirkungschan­cen wach­sen in dem Maße, in dem sich die fatal­en indi­vidu­ellen wie gesamt­ge­sellschaftlichen Fol­gen des neuen Geschlechterkampfes — Ver­wahrlosung der Sex­u­al­ität, steigende Scheidungs‑, sink­ende Geburten­rate — abze­ich­nen. Eine noch ungenutzte Potenz ist die Rückbesin­nung auf die Natür­lichkeit des Geschlecht­sun­ter­schieds und die Unnatür­lichkeit von gen­der main­stream­ing.
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Zitate:
Mit der Schwächung des männlichen steigt stets die Kraft des weib­lichen Geschlechts, der geistige und der leib­liche Vorzug zugle­ich liegt auf der Seite der Frau.
Johann Jakob Bachofen
 
Wed­er ist entschei­dend, daß die Ehe — aus christlich­er Sicht — ein Sakra­ment ist, noch daß die Part­ner sich lieben. Bei­des — Sakra­ment und Liebe — tra­gen zwar zur Sta­bil­ität der Ehe und zum sub­jek­tiv­en Glück der Ehep­art­ner bei, aber wed­er das eine noch das andere definiert die Ehe. In seinem Text The Evo­lu­tion of Human Sex­u­al­i­ty hat Don­ald Symons im Jahr 1979 die Funk­tion der Ehe aus evo­lu­tion­s­the­o­retis­ch­er Sicht so beschrieben: Die Frau erhält Ver­läßlichkeit, das Kind erhält Schutz, und der Mann wird gebändigt. Daraus fol­gen wichtige kul­turelle Werte: Erotik und Bil­dung, Loy­al­ität und Liebe, Sprache und Tran­szen­denz. Die Ehe ist die fun­da­men­tale men­schliche Insti­tu­tion.
Alexan­der Schuller
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Lit­er­atur:
  • Hans Blüher: Der bürg­er­liche und der geistige Antifem­i­nis­mus [1916], zulet­zt Prien am Chiem­see o.J.
  • Mar­tin van Crev­eld: Das bevorzugte Geschlecht, München 2003
  • Julius Evola: Die große Lust. Meta­physik des Sexus [1958/1962], zulet­zt Bern 1998
  • Arnold Gehlen: Urmen­sch und Spätkul­tur [1956], zulet­zt Frank­furt a.M. 2004
  • Ellen Kositza: Gen­der ohne Ende, Kaplak­en, Bd 7, Schnell­ro­da 2008
  • Alexan­der Schuller: Reak­tionäres Mod­ell, in: Frank­furter All­ge­meine Zeitung vom 14. Feb­ru­ar 2004
  • Otto Weininger: Geschlecht und Charak­ter [1903], zulet­zt München 1997
  • Karl­heinz Weiß­mann: Män­ner­bund, Schnell­ro­da 2004
  • Volk­er Zas­trow: Gen­der. Poli­tis­che Geschlecht­sumwand­lung, Wal­trop 2006
  • Dieter E. Zim­mer: Unsere erste Natur [1979], zulet­zt Frank­furt a.M. 1982