Evola, Julius, Philosoph, 1898 — 1974

Julius Evola ist der berühmteste Vertreter des soge­nan­nten »inte­gralen Tra­di­tion­al­is­mus« (der nicht mit dem christlichen Tra­di­tion­al­is­mus oder dem klas­sis­chen kon­ter­rev­o­lu­tionären Tra­di­tion­al­is­mus zu ver­wech­seln ist). Er stammte aus ein­er sizil­ian­is­chen kleinadeli­gen Fam­i­lie. Am 19. Mai 1898 in Rom geboren, durch­lebte er eine schwierige Kind­heit und Jugend, die von der Lek­türe Car­lo Michel­städters, Gio­van­ni Pap­i­nis und Friedrich Niet­zsches geprägt war. Er begann ein Inge­nieursstudi­um, das 1917 durch seinen Krieg­sein­satz als Unter­leut­nant der Artillerie unter­brochen wurde. Zu diesem Zeit­punkt set­zte eine exis­ten­tielle Krise ein. Er inter­essierte sich für die Kun­st der Avant­garde, nahm Kon­takt zu Tris­tan Tzara auf und wurde ein­er der ersten Dadais­ten Ital­iens. Gle­ichzeit­ig inter­essierte er sich für östliche Spir­i­tu­al­ität und entwick­elte ein vom Tantris­mus inspiri­ertes Konzept des »Ichs«, das er zu einem extremen Indi­vid­u­al­is­mus ausweit­ete.

In den zwanziger Jahren verkehrte Evola in ver­schiede­nen »eso­ter­ischen« Zirkeln Roms und grün­dete schließlich 1927 die kur­zlebige »Gruppe von Ur«. Im fol­gen­den Jahr pub­lizierte er das Buch Hei­d­nis­ch­er Impe­ri­al­is­mus (Impe­ri­al­is­mo pagano), in dem er das Chris­ten­tum scharf angriff und ihm die Größe des antiken Roms ent­ge­genset­zte. Er las inten­siv das Werk René Guénons und grün­dete zusam­men mit Gui­do de Gior­gio die Zeitschrift La Torre (der Turm), die vom faschis­tis­chen Regime ein halbes Jahr lang ver­boten wurde. Er pub­lizierte ver­schiedene Arbeit­en u. a. über die »her­metis­che Tra­di­tion«, das »Mys­teri­um des Grals«, das »tantrische Yoga« und den »magis­chen Ide­al­is­mus«. Im April 1930 schrieb er in La Torre: »Wir sind wed­er Faschis­ten noch Antifaschis­ten. Der Antifaschis­mus ist den unbeugsamen Fein­den jeglich­er ple­be­jis­chen Poli­tik und nation­al­is­tis­chen Ide­olo­gie gleichgültig.…Was den Faschis­mus ange­ht, so ist er zu wenig. …Wir wollen einen viel radikaleren, uner­schrock­eneren Faschis­mus, einen wahrhaft absoluten Faschis­mus aus rein­er Kraft, jedem Kom­pro­miß  unzugänglich.« Nichts­destotrotz arbeit­ete er unter Mus­soli­n­is Herrschaft für mehrere, nicht unwichtige Zeitun­gen und Zeitschriften.

1934 erschien Revolte gegen die mod­erne Welt (Riv­ol­ta con­tro il mon­do mod­er­no), das als Evolas Hauptwerk gilt. Dieses umfan­gre­iche Buch entwick­elt eine Dok­trin, die wie das seit­en­verkehrte Neg­a­tiv zur Ide­olo­gie des Fortschritts wirkt. Danach ist die gesamte Men­schheits­geschichte eine Geschichte des langsamen Nieder­gangs und Ver­falls, in der die »männlichen« und »solaren« Prinzip­i­en der »hyper­boräis­chen Urtra­di­tion« zunehmend in Vergessen­heit ger­at­en seien. Diese Geschichtsmeta­physik basiert auf ein­er zyk­lis­chen Vision des geschichtlichen Wer­dens und auf der tra­di­tionellen Lehre von den »vier Zeital­tern«. Die mod­erne Welt entspricht dem Kali-Yuga, der »Wolf­szeit«, die das Ende eines Zyk­lus beschließt. Die evo­lian­is­che Vision der Welt ist zutief­st eli­taris­tisch und stellt ein organ­is­ches Mod­ell der Hier­ar­chie in den Mit­telpunkt, das von ein­er Polar­ität zwis­chen oben und unten, hochste­hend und min­der­w­er­tig geprägt wird.

Evola stellt die Welt der Tra­di­tion, wie sie in der Antike geherrscht hat, in schar­fer Oppo­si­tion der mod­er­nen Welt gegenüber, die er als eine lange Invo­lu­tion beschreibt, charak­ter­isiert durch den Auf­stieg dämonis­ch­er und »unter-men­schlich­er« Kräfte, deren Tief­punk­te in seinen Augen die Demokratie und vor allem der Kom­mu­nis­mus sind. In seinem Sys­tem sind die »männlichen«, hero­is­chen und kriegerischen Werte gle­ichbe­deu­tend mit den »solaren«,uranischen Werten, die den »weib­lichen« Werten der chthonis­chen und unterirdis­chen Welt ent­ge­gen­ste­hen. Dieses The­ma nahm er 1958 in Meta­physik des Sexus (Metafisi­ca del ses­so) wieder auf, das der her­abgekomme­nen mod­er­nen eine sakrale Sex­u­al­ität gegenüber­stellt.

Fasziniert von Deutsch­land und der deutschen Sprache mächtig, war Evola ein bere­itwilliger Ver­fechter ein­er geisti­gen Union der deutschen und ital­ienis­chen Kul­tur. Er ver­suchte sog­ar, mit ver­schiede­nen Strö­mungen der Weimar­er kon­ser­v­a­tiv­en Rev­o­lu­tion in Verbindung zu treten, ins­beson­dere mit eini­gen völkischen Kreisen. 1934 wurde er im Her­ren­klub in Berlin emp­fan­gen. Sein über­spitzter Eli­taris­mus, seine nach­haltig bekräftigte Ver­ach­tung für den Begriff des »Volkes« wie für alles »pop­uläre« und »fem­i­nine«, ent­fremdete ihn vom Großteil der Kon­ser­v­a­tiv­en Rev­o­lu­tionäre, die ihm kaum Inter­esse ent­ge­gen­bracht­en, trotz der glühen­den Bewun­derung einzel­ner (z. B. Got­tfried Benn) von ihnen.

Evola brachte dem Nation­al­sozial­is­mus gewisse Sym­pa­thien ent­ge­gen, kri­tisierte jedoch seinen »sozial­is­tis­chen« und »ple­be­jis­chen« Charak­ter. Beson­ders hat­te er es auf Alfred Rosen­berg abge­se­hen, dessen »biol­o­gis­chen Ras­sis­mus« er als eine Form des Mate­ri­al­is­mus anprangerte. Dem stellte er den Begriff der »inneren Rasse«  gegenüber, der zum Teil den Arbeit­en von Lud­wig Fer­di­nand Clauß nah­e­s­tand. 1938 kam ein von Hein­rich Himm­ler in Auf­trag gegebenes Gutacht­en zu dem Schluß, daß Evola jeglich­es öffentliche Wirken in Deutsch­land unter­sagt wer­den müsse.
Im sel­ben Jahr besuchte er Rumänien, wo er Bekan­ntschaft mit dem Führer der Eis­er­nen Garde, Cor­neliu Zelea Codreanu, machte, den er als »eine der würde­voll­sten und geistig am besten ori­en­tierten Gestal­ten« sein­er Zeit beschrieb.

Nach der Beset­zung Roms durch die Alli­ierten floh er nach Wien, wo er im April 1945 einem Bom­barde­ment zum Opfer fiel, das eine lebenslange Läh­mung der unteren Glied­maßen zur Folge hat­te. Er kehrte 1948 nach Ital­ien zurück, wo er den verbliebe­nen jun­gen Mil­i­tan­ten Ori­en­tierung bot.

In Men­schen inmit­ten von Ruinen (Gli uomi­ni e le rovine, 1953) skizzierte er die großen Lin­ien ein­er »kon­ser­v­a­tiv-rev­o­lu­tionären« Staat­slehre: rev­o­lu­tionär war seine radikale Ablehnung aller mod­er­nen Ideen, kon­ser­v­a­tiv die Bekräf­ti­gung der Notwendigkeit ein­er »Ord­nung«, basierend auf ein­er aris­tokratis­chen Hier­ar­chie im »apollinis­chen« und »über-indi­vidu­ellen« Geist. Entschei­den­der als die poli­tis­chen Ideen des Buch­es war sein ethis­ch­er Gehalt. Evola erkan­nte rasch die Verge­blichkeit sein­er Bemühun­gen. In seinem Buch Den Tiger reit­en (Cav­al­care la tigre, 1961) stellt er fest, daß es »kein Ziel mehr gäbe, das den Ein­satz seines wahren Seins« lohne. Er über­nahm infolgedessen den antiken Begriff der apo­liteia, um eine innere und unwider­ru­fliche Dis­tanz gegenüber ein­er zum Unter­gang verurteil­ten Welt zu schaf­fen, und emp­fahl mehr als je zuvor eine »aktive Unper­sön­lichkeit«. Il fas­cis­mo vis­to da destra (Der Faschis­mus von rechts gese­hen, 1964) schließlich bietet eine inter­es­sante Kri­tik des Faschis­mus aus tra­di­tion­al­is­tis­ch­er Sicht.

Nach seinem Tod am 11. Juni 1974 in Rom wurde die Asche Julius Evolas in ein­er Gletsch­erspalte des Monte Rosa ver­streut, wie er es gewün­scht hat­te. Erst nach dem Zweit­en Weltkrieg ent­fal­tete Evola in bes­timmten Kreisen der Recht­en eine Wirkung, die schnell die Gren­zen über­schritt. Seit den frühen achtziger Jahren liegen seine Werke in mehreren Sprachen vor. In Ital­ien erschienen zahllose Neuaus­gaben. Bis heute existiert in Rom eine Julius-Evola-Stiftung.

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Zitat:

Heute zählt einzig und allein das Werk dessen, der sich auf den Gipfellinien zu hal­ten ver­mag: Fest in den Prinzip­i­en, unzugänglich für jedes Zugeständ­nis, gle­ichgültig gegenüber den Fiebern und Krämpfen, gle­ichgültig gegenüber dem Aber­glauben und dem »Sich-Selb­st-Verkaufen«, nach deren Rhyth­mus die let­zten Gen­er­a­tio­nen tanzten. Nur das schweigsame Stand­hal­ten der Weni­gen zählt, deren uner­schüt­ter­liche Gegen­wart als »Stein­erne Geladene« dazu dient, neue Beziehun­gen, neue Dis­tanzen und neue Werte zu schaf­fen, einen Pol zu bilden, der, wenn er sicher­lich auch nicht diese Welt von Verir­rten und Ruh­elosen daran hin­dern wird, zu sein, was sie eben ist, so doch dem einen oder anderen das Erleb­nis der Wahrheit geben wird, ein Erleb­nis, das vielle­icht auch den Beginn ein­er befreien­den Kri­sis darstellt.

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Schriften

  • L’uomo come poten­za (1926)
  • Teo­ria dell’individuo asso­lu­to (1927)
  • Hei­d­nis­ch­er Impe­ri­al­is­mus (Impe­ri­al­is­mo pagano, 1928, dt.: 1933)
  • La tradizione ermet­i­ca (1931)
  • Revolte gegen die mod­erne Welt (Riv­ol­ta con­tro il mon­do mod­er­no, 1934, dt.: 1935 und 1982)
  • Das Mys­teri­um des Grals (Il mis­tero del Graal e la tradizione ghi­bel­li­na dell €™Impero, 1937 dt.: 1955)
  • Men­schen inmit­ten von Ruinen (Gli uomi­ni e le rovine, 1953, dt.: 1991)
  • Meta­physik des Sexus (Metafisi­ca del ses­so, 1958, dt.: 1962)
  • Cav­al­care la tigre – Den Tiger reit­en (Cav­al­care la tigre, 1961, dt.: 2006)

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Lit­er­atur:

  • Christophe Boutin: Poli­tique et tra­di­tion. Julius Evola dans le siè­cle 1898–1974, Paris 1992
  • Arnaud Guy­ot-Jean­nin (Hrsg.): Julius Evola, Lau­sanne 1997
  • H. T. Hansen: Julius Evola et la »Révo­lu­tion Con­ser­va­trice« alle­mande, Mon­treuil 2002
  • Mar­co Iacona (Hrsg.): Il Mae­stro del­la Tradizione. Dialoghi su Julius Evola, Napoli 2008
  • Jean-Paul Lip­pi: Julius Evola, méta­physi­cien et penseur poli­tique, Lau­sanne 1998