Institution

Insti­tu­tion beze­ich­net jede men­schliche Ein­rich­tung, die dem Bedürf­nis des Men­schen nach sicher­er Umwel­to­ri­en­tierung auf Dauer entspricht. Die ehe­liche, famil­iäre, religiöse, mil­itärische und poli­tis­che Ord­nung beruht seit alters auf Insti­tu­tio­nen. Deren Auf­gabe ist — nach der grundle­gen­den The­o­rie Arnold Gehlens — zuerst “Ent­las­tung”, das heißt, der Men­sch wird in eine Ord­nung eingepaßt, die ihm Entschei­dun­gen abn­immt, indem sie klar fes­tlegt, was zu tun ist und was nicht, welche Prämien bei Wohlver­hal­ten und welche Strafen bei Ver­stößen zu erwarten sind.
 
Allerd­ings kann die Insti­tu­tion nicht ein­fach auf ein Ent­las­tungs­bedürf­nis als Ursprung zurück­ge­führt wer­den. Denn Insti­tu­tio­nen sind nicht “natür­lich” (Natur), erwach­sen nicht aus einem Instinkt zur Insti­tu­tio­nen­bil­dung, son­dern sind das Ergeb­nis “geistiger” Reak­tion auf die Instink­tschwäche des Men­schen, der anders als das Tier ohne biol­o­gis­che Sicherung leben muß.
 
Falsch wäre aber auch die Annahme, daß die Insti­tu­tio­nen aus ein­er Zweck­mäßigkeit­ser­wä­gung ent­standen. Soweit man ihren Ursprung zurück­ver­fol­gen kann, ist deut­lich, daß sie ihre Zwecke im all­ge­meinen nicht direkt, son­dern indi­rekt erre­icht­en. Das heißt, die von uns im nach­hinein als effek­tiv bew­ertete Funk­tion der Insti­tu­tion war möglicher­weise gar nicht intendiert. Ein Sachver­halt, den auch die neueren Forschun­gen zum ersten “rev­o­lu­tionären” Wan­del men­schlich­er Lebensweise — dem Über­gang zu Acker­bau und Viehzucht — nahele­gen.
 
Betont man die Ent­las­tungs­funk­tion der Insti­tu­tio­nen, so muß doch vor dem Mißver­ständ­nis gewarnt wer­den, als ob es nur darum gin­ge, die vie­len einzel­nen zu formieren und in einen Zus­tand der Ruhe zu ver­set­zen. Die großen, his­torisch wirk­samen Insti­tu­tio­nen erre­icht­en vielmehr eine “sta­bil­isierte Affek­tspan­nung”, um noch ein­mal eine Formel Gehlens zu gebrauchen, das heißt, sie hoben die Empfind­un­gen oder trieb­haften Dis­po­si­tio­nen — Dom­i­nanzstreben, Sex­u­al­ität, Schmerz -, die sie hegen und kon­trol­lieren soll­ten, nicht ein­fach auf, son­dern set­zten sie pro­duk­tiv um:
 
Das Wesentliche ein­er dauer­haften Insti­tu­tion ist ihre Überde­ter­miniertheit: sie muß nicht nur im näch­sten, prak­tis­chen Sinne zweck­mäßig und nüt­zlich sein, sie muß auch Anknüp­fungspunkt und “Ver­hal­tensun­ter­stützung” (behav­ior sup­port) höher­er Inter­essen sein, ja den anspruchsvoll­sten und edel­sten Moti­va­tio­nen noch Dasein­srecht und Dasein­schan­cen geben: dann erfüllt sie die tiefen vital­en, aber auch geisti­gen Bedürfnisse der Men­schen nach Dauer, Gemein­samkeit und Sicher­heit — sie kann sog­ar etwas wie Glück erre­ich­bar machen, wenn dieses darin beste­ht, im Über-Sich-Hin­auswach­sen nicht allein zu bleiben. (Arnold Gehlen)
Jede Insti­tu­tio­nen­lehre ste­ht gegen das rousseauis­tis­che Mißver­ständ­nis, das die Men­schen als von Natur aus gut und einzel­gän­gerisch betra­chtet, so daß sie qua Ver­nun­ft in einem Gesellschaftsver­trag übereinkom­men kön­nen, aber auch gegen jene The­o­rien, die alle Ord­nung als das Ergeb­nis von reinen Gewal­tak­ten betra­cht­en. Tat­säch­lich muß früh ein coac­tus volui, eine “Übere­in­stim­mung des Wil­lens” (Mau­rice Hau­ri­ou), zwis­chen Herrsch­er und Beherrscht­en (Herrschaft) ent­standen sein, der im Vorhan­den­sein ein­er gemein­samen Leitidee wurzelte und so über­haupt erst die Bil­dung ein­er ermöglichte.
 
Diese Leitidee war über den läng­sten Zeitraum der Geschichte religiös gestützt, was erk­lärt, warum mit der Aufk­lärung ein ras­an­ter Prozeß der Insti­tu­tio­nen­z­er­störung oder des Insti­tu­tio­nen­ab­baus begann. Der hat­te seine Ursache aber nicht nur in der Säku­lar­isierung, son­dern auch in der durch die Aufk­lärungsphiloso­phie beförderten Idee, daß die Insti­tu­tio­nen etwas dem Men­schen rein Äußer­lich­es seien. Die Lehre von den Insti­tu­tio­nen hat darauf mit drei Erwä­gun­gen reagiert: der Hoff­nung, daß die Fähigkeit des Men­schen, “spon­tane Ord­nun­gen” (Friedrich August von Hayek) zu bilden, kor­rigierend wirke, daß der Sachzwang in ein­er indus­triellen Gesellschaft den Verpflich­tungscharak­ter der Insti­tu­tio­nen hin­re­ichend erset­ze oder daß die entwick­elte Per­sön­lichkeit als “Insti­tu­tion in einem Fall” (Arnold Gehlen) trotz allem erhal­ten bleibe.
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Zitate:
Die kleinen Geis­ter sehen bei den besseren Insti­tu­tio­nen nichts als deren Mißbrauch und bei den schlecht­esten nichts als ihren Vorteil. Die erste dieser Dis­po­si­tio­nen erzeugt die Rev­o­lu­tio­nen, die zweite ver­längert sie.
Louis de Bonald
 
Moral­ität set­zt Insti­tu­tion und Recht voraus, in denen Frei­heit Wirk­lichkeit hat; sie sind ihre Wirk­lichkeit.
 
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Lit­er­atur:
  • Arnold Gehlen: Der Men­sch [1940], Gesam­taus­gabe, Bd 3.1 und 3.2, Frank­furt a.M. 1993
  • Arnold Gehlen: Urmen­sch und Spätkul­tur [1956], zulet­zt Frank­furt a.M. 2004
  • Mau­rice Hau­ri­ou: Die The­o­rie der Insti­tu­tion und zwei andere Auf­sätze, Berlin 1970
  • Hel­mut Schel­sky: Zur The­o­rie der Insti­tu­tion, Güter­sloh 1970
  • Karl­heinz Weiß­mann: Arnold Gehlen, Per­spek­tiv­en, Bd 2, Schnell­ro­da 2000