Eibl-Eibesfeldt, Irenäus, Verhaltensforscher, 1928–2018

Irenäus Eibl-Eibesfeldt ist der Begrün­der der Humanetholo­gie, der Natur­wis­senschaft vom men­schlichen Ver­hal­ten. Als solch­er hat er über­zo­gene Vorstel­lun­gen von der auss­chließlichen Kul­turbe­d­ingth­eit des men­schlichen Ver­hal­tens bekämpft und zahlre­iche Beweise für die stammes­geschichtliche Bed­ingth­eit des men­schlichen Ver­hal­tens erbracht. Gle­ichzeit­ig ist er als kon­ser­v­a­tiv­er Zeitkri­tik­er aufge­treten. Eibl-Eibesfeldt, am 15. Juni 1928 in Wien geboren, wuchs in der ländlichen Umge­bung der Haupt­stadt auf und zeigte früh Inter­esse an Tieren. Er studierte Biolo­gie in Wien, wo er 1949 pro­movierte.

Von 1951 bis 1969 war Eibl-Eibesfeldt wis­senschaftlich­er Assis­tent von Kon­rad Lorenz, zuerst an der Forschungsstelle für Ver­gle­ichende Ver­hal­tens­forschung in Bul­dern (West­falen) und ab 1957 am Max-Planck-Insti­tut für Ver­hal­tensphys­i­olo­gie in Seewiesen (Ober­bay­ern). Dort beschäftigte er sich zunächst noch mit Tieretholo­gie und nahm an Expe­di­tio­nen, u. a. zu den Gala­pagosin­seln, teil. Mitte der sechziger Jahre begann Eibl-Eibesfeldt mit dem Auf­bau eines kul­turver­gle­ichen­den humanethol­o­gis­chen Forschung­spro­grammes.

Seit­dem führte er zahlre­iche Forschungsreisen zu von der mod­er­nen Zivil­i­sa­tion noch weit­ge­hend unbee­in­flußten Völk­ern in Afri­ka, Südameri­ka, Neuguinea, Indone­sien und Poly­ne­sien durch. Mit Hil­fe des von Hans Hass entwick­el­ten seitlichen Spiegelob­jek­tivs war es ihm möglich, deren ungestelltes All­t­agsleben filmisch zu doku­men­tieren. Eibl-Eibesfeldt wurde 1970 zum Pro­fes­sor ernan­nt und über­nahm 1975 die Leitung der Forschungsstelle für Humanetholo­gie der Max-Planck-Gesellschaft (seit 1988 in Andechs, Ober­bay­ern), die er bis zu sein­er Emer­i­tierung im Jahr 1996 innehat­te.

Durch den Nach­weis von Uni­ver­salien, d. h. von in allen Kul­turen gle­ich  ablaufend­en Ver­hal­tens­mustern, gelang es ihm, die Exis­tenz  stammes­geschichtlich ent­standen­er Ver­hal­tenspro­gramme auch beim Men­schen nachzuweisen. Das bet­rifft vor allem Ver­hal­tensweisen der non­ver­balen Kom­mu­nika­tion, Mimik und Kör­per­sprache, Lächeln und Lachen. Taub und blind geborene Kinder, die keine Möglichkeit haben, die Mimik ander­er Men­schen nachzuah­men, zeigen das­selbe mimis­che Aus­drucksver­hal­ten wie andere Kinder. Schon Kleinkinder ver­fü­gen über eine aus­ge­sproch­ene soziale Kom­pe­tenz, die über ihre jew­eilige kog­ni­tive Kom­pe­tenz weit hin­aus­ge­ht. Sie bieten von sich aus Geschenke an und ver­fü­gen über nichter­lernte soziale Strate­gien des Gebens und Nehmens.

Darüber hin­aus weist das men­schliche Ver­hal­ten soziale Uni­ver­salien auf. Zu diesen gehören: die (Klein-)Fam­i­lie, die enge Mut­ter-Kind-Beziehung, trotz ver­bre­it­eter Polyg­a­mie die Ten­denz zur Monogamie, die geschlechtliche Scham – freie sex­uelle Polyg­a­mie gibt es in kein­er Kul­tur –, die Arbeit­steilung der Geschlechter – Jagd, Krieg und poli­tis­che Führung der Män­ner, Kinder­für­sorge und inner­er Grup­pen­zusam­men­halt der Frauen –, das Leben in beständi­gen Grup­pen (keine »offe­nen« Gesellschaften), die Beanspruchung und Vertei­di­gung eines bes­timmten Ter­ri­to­ri­ums, das Streben nach Anse­hen und die Angst, das Gesicht zu ver­lieren, die Nei­gung zum Ein­satz von Gewalt eben­so wie die Tötung­shem­mung. Auch dieses kom­plexere soziale Ver­hal­ten fol­gt uni­ver­salen Auf­bauprinzip­i­en, denen biol­o­gis­che Regel­sys­teme zugrunde liegen. Die Exis­tenz von stammes­geschichtlichen Ver­hal­tenspro­gram­mierun­gen bedeutet nicht, daß das men­schliche Ver­hal­ten nicht durch Ler­nen bee­in­flußt wer­den kön­nte. Der Men­sch ist dur­chaus in der Lage, sich von seinen biol­o­gis­chen Antrieben zu dis­tanzieren. In allen Kul­turen gibt es Nor­men und Bräuche, die der Bändi­gung aggres­siv­er und sex­ueller Antriebe dienen.

In seinem Buch Der Men­sch – das riskierte Wesen (1988) wies Eibl-Eibesfeldt auf die Gefahren hin, die sich aus der fehlen­den Anpas­sung des Men­schen an die Lebens­be­din­gun­gen in der mod­er­nen Mas­sen­ge­sellschaft ergeben. Evo­lu­tionär sin­nvolle Ver­hal­tenspro­gramme wie die Grup­pen­bindung, das Dom­i­nanz- und Wach­s­tumsstreben, die Bere­itschaft zur Indok­tri­na­tion und die infan­til­isierende Wirkung von Äng­sten bergen gesellschaftliche Gefahren. Deren kul­turelle Kom­pen­sa­tion set­ze jedoch das Wis­sen um die biol­o­gis­chen Voran­pas­sun­gen des Men­schen voraus. Nicht die Tabuisierung und Leug­nung, son­dern die von Wun­schbildern freie Erken­nt­nis der men­schlichen Natur sei die Voraus­set­zung ein­er vernün­fti­gen Gesellschaft­s­pla­nung. So gelte es z. B., die natür­liche Anlage zur Grup­pen­bindung und Frem­den­furcht nicht durch willkür­lich geförderte Ein­wan­derung zu über­fordern.

Viele Fehlanpas­sun­gen des Men­schen in der mod­er­nen Zivil­i­sa­tion wer­den durch poli­tis­che Ide­olo­gien zusät­zlich ver­schärft, die einem behav­ior­is­tis­chen Men­schen­bild anhän­gen, das an eine fast unbe­gren­zte Plan­barkeit des Men­schen glaubt. Irenäus Eibl-Eibesfeldt hat Entschei­den­des dazu beige­tra­gen, die Grun­dan­nah­men dieser Ide­olo­gie zu wider­legen. Das ist ein wis­senschaftlich­er Fortschritt, hin­ter den auch linke Intellek­tuelle nicht mehr zurück kön­nen, wenn sie ernst genom­men wer­den wollen.

Eibl-Eibesfeldt starb am 2. Juni 2018 in Starn­berg.

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Zitat:

Grund­sät­zlich gilt, daß die ver­schiede­nen Eth­nien nicht nur das Recht, son­dern auch die Verpflich­tung haben, ihre eigene Exis­tenz abzu­sich­ern.

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Schriften:

  • Grun­driß der ver­gle­ichen­den Ver­hal­tens­forschung – Etholo­gie, München 1967
  • Liebe und Haß, München 1970
  • Der vor­pro­gram­mierte Men­sch, Wien 1973
  • Krieg und Frieden aus der Sicht der Ver­hal­tens­forschung, München 1975
  • Men­schen­forschung auf neuen Wegen, Wien 1976
  • Die Biolo­gie des men­schlichen Ver­hal­tens, München 1984
  • Der Men­sch – das riskierte Wesen, München 1988
  • Das verbindende Erbe, Köln 1991
  • Und grün des Lebens gold­en­er Baum. Erfahrun­gen eines Ver­hal­tens­forsch­ers, Köln 1992
  • Zukun­ft mul­ti­kul­turelle Gesellschaft?, in: Ein­wan­derungs­land Europa?, Graz 1993
  • Wider die Miß­trauensge­sellschaft, München 1994
  • In der Falle des Kurzzeit­denkens, München 1998

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Lit­er­atur:

  • Christa Sütterlin/Frank K. Salter (Hrsg.): Irenäus Eibl-Eibesfeldt. Zu Per­son und Werk, Frank­furt a. M. 2001