Klaus Mehnert war der Peter Scholl-Latour der frühen Bundesrepublik. Beider Leistungen und Bedeutung für die publizistische Kultur und Politik Deutschlands liegen in ihrer vermittelnden Tätigkeit zwischen der Heimat und den jeweiligen Brennpunkten des Weltgeschehens. Wie Scholl-Latour unter den Bedingungen der saturierten Bundesrepublik und dem national wiedervereinigten Deutschland dem interessierten Publikum die moslemische Welt näherbringt, so informierte Mehnert über die kommunistische Welt. Unentwegt erklärte er die Zusammenhänge und Wandlungen des Ostblocks, warb um dessen Verständnis im Westen des geteilten Deutschlands nach der großen Niederlage im Weltbürgerkrieg der Ideologien. Sein Wirken zwischen den Frontstellungen des kalten Krieges war nicht ohne existentielle Komponente.
Klaus Mehnert wurde am 10. Oktober 1906 in Moskau geboren und entstammte einer deutschstämmigen, bildungsbürgerlichen und wirtschaftlich erfolgreichen Familie, wie sie seinerzeit im zaristischen Rußland typisch war. Die Eltern waren reichsdeutsch, doch zugleich war die russische Sprache ihm eine zweite Muttersprache. Bei Ausbruch des 1. Weltkrieges durch die zaristische Regierung ausgewiesen, siedelte die Familie nach Stuttgart über; der Vater Hermann fiel 1917 in Flandern. Klaus Mehnerts beide jüngeren Brüder, der Bauer Lars Mehnert und der zum Kreis um Stefan George gehörende Bildhauer Frank Mehnert, sind 1943 in Rußland gefallen.
Mehnert studierte ab 1925 in Tübingen, München, Berlin und Berkeley (USA) Geschichte; 1932 promovierte er in Berlin bei Otto Hoetzsch, einem sächsischen Rußlandkenner. Schon früh sind Mehnerts Forschungsinteressen mit einer ausgeprägten Reisetätigkeit verbunden (Skandinavien, Japan, China, regelmäßige Sommerferien in Sowjetrußland von 1929–1933). Damit einher ging sein Hang zur politischen Praxis, wie sich aus seinen Tätigkeiten in wissenschaftspolitischen Positionen erkennen läßt (Sekretär des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft zum Studium Osteuropas, Schriftleiter der Zeitschrift Osteuropa). Daneben arbeitete er – geschildert im nationalrevolutionären Tatbericht „Student und Kumpel“ – längere Zeit als Bergarbeiter auf der Zeche „Minister Stein“ in Dortmund, woran sich ein ausgeprägt linksnationaler Habitus ablesen läßt.
Aus der Sicht des jungen, im Umkreis nationalbolschewistischer Kreise (Otto Strasser, Ernst Niekisch) agierenden Mehnert blieb die „nationale Revolution“ des Jahres 1933 unvollendet, da der verbürgerlichte Nationalsozialismus nicht in Bereiche vorstieß, deren Umformung junge Aktivisten erhofften. Das zeigt sich deutlich an Mehnerts – in seinen Erinnerungen später nicht erwähnten – Mitarbeit am Institut für politische Pädagogik, welches eigens für Alfred Baeumler an der Berliner Universität gegründet worden war und mit dem WS 1933/34 seinen Betrieb aufnahm. Trotz manch anderer Versuche 1933 in der politischen Arena Fuß zu fassen, blieb dieses Engagement offenbar der einzige akzeptable Erfolg, zumal die Fragestellungen junger und begabter Nationalrevolutionäre hier ernst genommen wurden. Eine Lehrverpflichtung und die sich aus ihr ergebenden Perspektiven genügten jedoch weder Mehnerts Ehrgeiz noch seinem Talent. Enttäuschte nationalrevolutionäre Hoffnungen waren zum Abwarten verdammt, oder sie wichen auf ferne Tätigkeitsfelder aus, die von den zu erwartenden zähen und unwägbaren Auseinandersetzungen beim „gemeinsame[n] innere[n] Ringen um die Grundlagen des Nationalsozialismus“ – mit diesen Worten faßte Mehnert in einem Aufsatz vom Dezember 1933 die Lage zusammen – unbehelligt bleiben würden.
Günstige Umstände und alte Kontakte erleichterten es Mehnert schließlich, seinem weitgespannten Hauptinteresse, der Beschäftigung mit dem revolutionären Sowjetrußland, zu folgen. Im Mai 1934 reiste er im Wagen nach Moskau, von wo aus er als Auslandskorrespondent für zahlreiche deutsche Zeitungen wirklichkeitsnah über die Sowjetunion berichtete; auch über einen neuen Antisemitismus.
Im Sommer 1936 erhielt er eine Einladung aus Kalifornien, in deren Folge er ab 1937 auf Hawaii an der Universität von Honolulu eine Professur für Geschichte und Politikwissenschaft erhielt. Von Juni 1941 bis Oktober 1945 wirkte Mehnert dann in Shanghai, wo er im Auftrag des Auswärtigen Amtes The XXth Century herausgab, das seinerzeit „bedeutendste englischsprachige Magazin Ostasiens“ (M. Kohlstruck). 1945/46 internierte ihn die chinesische Regierung für neun Monate und überstellte ihn dann nach Deutschland. Der rote Faden dieser drei Tätigkeitsbereiche fern der Heimat war die anhaltende analytische Beschäftigung mit der Sowjetunion.
Da Mehnert als „Salon-Bolschewist“ im Dritten Reich nicht wenigen Anwürfen ausgesetzt war (Verhaftung und Hausdurchsuchung durch die Gestapo, Ausschluß aus der Reichspressekammer, zeitweiliges Publikationsverbot, seine Bücher erschienen auf dem Index), konnte er – nach kurzzeitiger Internierung durch die Amerikaner – ab 1947 in zahlreiche neue Funktionen einrücken und umfangreiche Aktivitäten entfalten. Zentral für seine Nachkriegskarriere war das Bekenntnis, er wolle seinen Beitrag zum Aufbau der verwüsteten Heimat vor allem als Publizist leisten. Er tat dies als Chefredakteur von Christ und Welt und von Osteuropa, als Kommentator beim Süddeutschen Rundfunk, beim Deutschlandfunk, im ZDF. Darüberhinaus wirkte er als Hochschullehrer (Lehrstuhl für Politische Wissenschaft an der Technischen Hochschule Aachen). Insgesamt reiste er 15 Mal um die Welt und lebte ein Drittel seiner Lebenszeit in fremden Ländern. Im Ausgang von seinen internationalen Erfahrungen bemühte sich Mehnert intensiv um die Aufklärung der westdeutsche Nachkriegsjugend, die der pseudomessianischen Polit-Romantik der 1968er Kulturrevolution verfiel – auch wenn seine politologische Methode bei der Auseinandersetzung mit diesem Problemkomplex an ihre Grenzen stieß. Seine Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und erreichten Millionenauflagen. Als gefragter Experte für Ost- und Asienpolitik beriet er westdeutsche Spitzenpolitiker und begleitete Konrad Adenauer nach Moskau und Helmut Schmidt nach China. Seit 1985 existiert eine Klaus-Mehnert-Gedächtnis-Stiftung zur Förderung der Beziehungen zwischen dem deutschen und dem russischen Volk. Die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde verleiht seit 1992 den „Klaus-Mehnert-Preis“ zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und seit 2005 gibt es an der russischen Staatlichen Technischen Universität in Königsberg das Europainstitut Klaus Mehnert. Innerhalb des deutschen Nachkriegskonservatismus verkörpert Klaus Mehnert die uneingelöste Mahnung, den (überaus elastischen) Marxismus als wissenschaftlichen Gegenstand ebenso ernst zu nehmen wie als weltpolitischen Gegner und ideologische Gegenpartei.
Klaus Mehnert verstarb am 2. Januar 1984 in Freudenstadt.
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Zitat:
Der Marxismus ist keine Religion, sondern eine Theorie und als solche Teil der europäischen Geistesgeschichte, nicht anders als die deutsche Philosophie, der französische Sozialismus oder die britische Ökonomielehre. Jeder Europäer, ob Marxist oder nicht, besitzt also die Legitimation, sich mit der Entwicklung des Marxismus zu befassen und die Folgen zu untersuchen, die sich aus den in ihm vollziehenden Wandlungen ergeben.
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Schriften:
- Ein deutscher Austauschstudent in Kalifornien, Stuttgart 1930
- Die Jugend in Sowjetrussland, Berlin 1932
- Weltrevolution durch Weltgeschichte. Die Geschichtslehre des Stalinismus, Stuttgart 1952
- Asien, Moskau und wir. Bilanz nach vier Weltreisen, Stuttgart 1956
- Der Sowjetmensch. Versuch eines Porträts nach zwölf Reisen in die Sowjetunion, Stuttgart 1958
- Der deutsche Standort, Stuttgart 1967
- Moskau und die Neue Linke, Stuttgart 1973
- Jugend im Zeitbruch. Woher – wohin?, Stuttgart 1976
- Kampf um Maos Erbe, Stuttgart 1977
- Ein Deutscher in der Welt. Erinnerungen 1906–1981, Stuttgart 81985
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Literatur:
- Winfried Böttcher u. a. (Hrsg.): Das große Dreieck. Washington – Moskau – Peking. Zum 65. Geburtstag von Klaus Mehnert, Stuttgart 1971 (mit Bibliographie)
- Michael Kohlstruck: Der Fall Mehnert, in: Helmut König (Hrsg.): Der Fall Schwerte im Kontext, Opladen 1998