Mehnert, Klaus, Journalist, 1906–1984

Klaus Mehn­ert war der Peter Scholl-Latour der frühen Bun­desre­pub­lik. Bei­der Leis­tun­gen und Bedeu­tung für die pub­lizis­tis­che Kul­tur und Poli­tik Deutsch­lands liegen in ihrer ver­mit­tel­nden Tätigkeit zwis­chen der Heimat und den jew­eili­gen Bren­npunk­ten des Welt­geschehens. Wie Scholl-Latour unter den Bedin­gun­gen der sat­uri­erten Bun­desre­pub­lik und dem nation­al wiedervere­inigten Deutsch­land dem inter­essierten Pub­likum die moslemis­che Welt näher­bringt, so informierte Mehn­ert über die kom­mu­nis­tis­che Welt. Unen­twegt erk­lärte er die Zusam­men­hänge und Wand­lun­gen des Ost­blocks, warb um dessen Ver­ständ­nis im West­en des geteil­ten Deutsch­lands nach der großen Nieder­lage im Welt­bürg­erkrieg der Ide­olo­gien. Sein Wirken zwis­chen den Frontstel­lun­gen des kalten Krieges war nicht ohne exis­ten­tielle Kom­po­nente.

Klaus Mehn­ert wurde am 10. Okto­ber 1906 in Moskau geboren und entstammte ein­er deutschstäm­mi­gen, bil­dungs­bürg­er­lichen und wirtschaftlich erfol­gre­ichen Fam­i­lie, wie sie sein­erzeit im zaris­tis­chen Ruß­land typ­isch war. Die Eltern waren reichs­deutsch, doch zugle­ich war die rus­sis­che Sprache ihm eine zweite Mut­ter­sprache. Bei Aus­bruch des 1. Weltkrieges durch die zaris­tis­che Regierung aus­gewiesen, siedelte die Fam­i­lie nach Stuttgart über; der Vater Her­mann fiel 1917 in Flan­dern. Klaus Mehn­erts bei­de jün­geren Brüder, der Bauer Lars Mehn­ert und der zum Kreis um Ste­fan George gehörende Bild­hauer Frank Mehn­ert, sind 1943 in Ruß­land gefall­en.

Mehn­ert studierte ab 1925 in Tübin­gen, München, Berlin und Berke­ley (USA) Geschichte; 1932 pro­movierte er in Berlin bei Otto Hoet­zsch, einem säch­sis­chen Ruß­land­ken­ner. Schon früh sind Mehn­erts Forschungsin­ter­essen mit ein­er aus­geprägten Reisetätigkeit ver­bun­den (Skan­di­navien, Japan, Chi­na, regelmäßige Som­mer­fe­rien in Sow­jetruß­land von 1929–1933). Damit ein­her ging sein Hang zur poli­tis­chen Prax­is, wie sich aus seinen Tätigkeit­en in wis­senschaft­spoli­tis­chen Posi­tio­nen erken­nen läßt (Sekretär des Deutschen Akademis­chen Aus­tausch­di­en­stes, Gen­er­alsekretär der Deutschen Gesellschaft zum Studi­um Osteu­ropas, Schriftleit­er der Zeitschrift Osteu­ropa). Daneben arbeit­ete er – geschildert im nation­al­rev­o­lu­tionären Tat­bericht „Stu­dent und Kumpel“ – län­gere Zeit als Bergar­beit­er auf der Zeche „Min­is­ter Stein“ in Dort­mund, woran sich ein aus­geprägt linksna­tionaler Habi­tus able­sen läßt.

Aus der Sicht des jun­gen, im Umkreis nation­al­bolschewis­tis­ch­er Kreise (Otto Strass­er, Ernst Niekisch) agieren­den Mehn­ert blieb die „nationale Rev­o­lu­tion“ des Jahres 1933 unvol­len­det, da der ver­bürg­er­lichte Nation­al­sozial­is­mus nicht in Bere­iche vorstieß, deren Umfor­mung junge Aktivis­ten erhofften. Das zeigt sich deut­lich an Mehn­erts – in seinen Erin­nerun­gen später nicht erwäh­n­ten – Mitar­beit am Insti­tut für poli­tis­che Päd­a­gogik, welch­es eigens für Alfred Baeum­ler an der Berlin­er Uni­ver­sität gegrün­det wor­den war und mit dem WS 1933/34 seinen Betrieb auf­nahm. Trotz manch ander­er Ver­suche 1933 in der poli­tis­chen Are­na Fuß zu fassen, blieb dieses Engage­ment offen­bar der einzige akzept­able Erfolg, zumal die Fragestel­lun­gen junger und begabter Nation­al­rev­o­lu­tionäre hier ernst genom­men wur­den. Eine Lehrverpflich­tung und die sich aus ihr ergeben­den Per­spek­tiv­en genügten jedoch wed­er Mehn­erts Ehrgeiz noch seinem Tal­ent. Ent­täuschte nation­al­rev­o­lu­tionäre Hoff­nun­gen waren zum Abwarten ver­dammt, oder sie wichen auf ferne Tätigkeits­felder aus, die von den zu erwartenden zähen und unwäg­baren Auseinan­der­set­zun­gen beim „gemeinsame[n] innere[n] Rin­gen um die Grund­la­gen des Nation­al­sozial­is­mus“ – mit diesen Worten faßte Mehn­ert in einem Auf­satz vom Dezem­ber 1933 die Lage zusam­men – unbe­hel­ligt bleiben wür­den.

Gün­stige Umstände und alte Kon­tak­te erle­ichterten es Mehn­ert schließlich, seinem weit­ges­pan­nten Haupt­in­ter­esse, der Beschäf­ti­gung mit dem rev­o­lu­tionären Sow­jetruß­land, zu fol­gen. Im Mai 1934 reiste er im Wagen nach Moskau, von wo aus er als Aus­land­sko­r­re­spon­dent für zahlre­iche deutsche Zeitun­gen wirk­lichkeit­snah über die Sow­je­tu­nion berichtete; auch über einen neuen Anti­semitismus.

Im Som­mer 1936 erhielt er eine Ein­ladung aus Kali­fornien, in deren Folge er ab 1937 auf Hawaii an der Uni­ver­sität von Hon­olu­lu eine Pro­fes­sur für Geschichte und Poli­tik­wis­senschaft erhielt. Von Juni 1941 bis Okto­ber 1945 wirk­te Mehn­ert dann in Shang­hai, wo er im Auf­trag des Auswär­ti­gen Amtes The XXth Cen­tu­ry her­aus­gab, das sein­erzeit „bedeu­tend­ste englis­chsprachige Mag­a­zin Ostasiens“ (M. Kohlstruck). 1945/46 internierte ihn die chi­ne­sis­che Regierung für neun Monate und über­stellte ihn dann nach Deutsch­land. Der rote Faden dieser drei Tätigkeits­bere­iche fern der Heimat war die anhal­tende ana­lytis­che Beschäf­ti­gung mit der Sow­je­tu­nion.

Da Mehn­ert als „Salon-Bolschewist“ im Drit­ten Reich nicht weni­gen Anwür­fen aus­ge­set­zt war (Ver­haf­tung und Haus­durch­suchung durch die Gestapo, Auss­chluß aus der Reich­s­pressekam­mer, zeitweiliges Pub­lika­tionsver­bot, seine Büch­er erschienen auf dem Index), kon­nte er – nach kurzzeit­iger Internierung durch die Amerikan­er – ab 1947 in zahlre­iche neue Funk­tio­nen ein­rück­en und umfan­gre­iche Aktiv­itäten ent­fal­ten. Zen­tral für seine Nachkriegskar­riere war das Beken­nt­nis, er wolle seinen Beitrag zum Auf­bau der ver­wüsteten Heimat vor allem als Pub­lizist leis­ten. Er tat dies als Chefredak­teur von Christ und Welt und von Osteu­ropa, als Kom­men­ta­tor beim Süd­deutschen Rund­funk, beim Deutsch­land­funk, im ZDF. Darüber­hin­aus wirk­te er als Hochschullehrer (Lehrstuhl für Poli­tis­che Wis­senschaft an der Tech­nis­chen Hochschule Aachen). Ins­ge­samt reiste er 15 Mal um die Welt und lebte ein Drit­tel sein­er Leben­szeit in frem­den Län­dern. Im Aus­gang von seinen inter­na­tionalen Erfahrun­gen bemühte sich Mehn­ert inten­siv um die Aufk­lärung der west­deutsche Nachkriegsju­gend, die der pseudomes­sian­is­chen Polit-Roman­tik der 1968er Kul­tur­rev­o­lu­tion ver­fiel – auch wenn seine poli­tol­o­gis­che Meth­ode bei der Auseinan­der­set­zung mit diesem Prob­lemkom­plex an ihre Gren­zen stieß. Seine Büch­er wur­den in zahlre­iche Sprachen über­set­zt und erre­icht­en Mil­lio­ne­nau­fla­gen. Als gefragter Experte für Ost- und Asien­poli­tik beri­et er west­deutsche Spitzen­poli­tik­er und begleit­ete Kon­rad Ade­nauer nach Moskau und Hel­mut Schmidt nach Chi­na. Seit 1985 existiert eine Klaus-Mehn­ert-Gedächt­nis-Stiftung zur Förderung der Beziehun­gen zwis­chen dem deutschen und dem rus­sis­chen Volk. Die Deutsche Gesellschaft für Osteu­ropakunde ver­lei­ht seit 1992 den „Klaus-Mehn­ert-Preis“ zur Förderung des wis­senschaftlichen Nach­wuch­ses und seit 2005 gibt es an der rus­sis­chen Staatlichen Tech­nis­chen Uni­ver­sität in Königs­berg das Europainsti­tut Klaus Mehn­ert. Inner­halb des deutschen Nachkriegskon­ser­vatismus verkör­pert Klaus Mehn­ert die unein­gelöste Mah­nung, den (über­aus elastis­chen) Marx­is­mus als wis­senschaftlichen Gegen­stand eben­so ernst zu nehmen wie als welt­poli­tis­chen Geg­n­er und ide­ol­o­gis­che Gegen­partei.

Klaus Mehn­ert ver­starb am 2. Jan­u­ar 1984 in Freuden­stadt.

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Zitat:

Der Marx­is­mus ist keine Reli­gion, son­dern eine The­o­rie und als solche Teil der europäis­chen Geis­tes­geschichte, nicht anders als die deutsche Philoso­phie, der franzö­sis­che Sozial­is­mus oder die britis­che Ökonomielehre. Jed­er Europäer, ob Marx­ist oder nicht, besitzt also die Legit­i­ma­tion, sich mit der Entwick­lung des Marx­is­mus zu befassen und die Fol­gen zu unter­suchen, die sich aus den in ihm vol­lziehen­den Wand­lun­gen ergeben.

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Schriften:

  • Ein deutsch­er Aus­tauschstu­dent in Kali­fornien, Stuttgart 1930
  • Die Jugend in Sow­jetrus­s­land, Berlin 1932
  • Wel­trev­o­lu­tion durch Welt­geschichte. Die Geschicht­slehre des Stal­in­is­mus, Stuttgart 1952
  • Asien, Moskau und wir. Bilanz nach vier Wel­treisen, Stuttgart 1956
  • Der Sow­jet­men­sch. Ver­such eines Porträts nach zwölf Reisen in die Sow­je­tu­nion, Stuttgart 1958
  • Der deutsche Stan­dort, Stuttgart 1967
  • Moskau und die Neue Linke, Stuttgart 1973
  • Jugend im Zeit­bruch. Woher – wohin?, Stuttgart 1976
  • Kampf um Maos Erbe, Stuttgart 1977
  • Ein Deutsch­er in der Welt. Erin­nerun­gen 1906–1981, Stuttgart 81985

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Lit­er­atur:

  • Win­fried Böttch­er u. a. (Hrsg.): Das große Dreieck. Wash­ing­ton – Moskau – Peking. Zum 65. Geburt­stag von Klaus Mehn­ert, Stuttgart 1971 (mit Bib­li­ogra­phie)
  • Michael Kohlstruck: Der Fall Mehn­ert, in: Hel­mut König (Hrsg.): Der Fall Schw­erte im Kon­text, Opladen 1998