Königgrätz: Tschechien, 100 km nördlich von Prag, heute: Hradec Králové

Obgle­ich die Stadt auf­grund ihrer reich­halti­gen his­torischen Bausub­stanz alleine einen Besuch wert ist, bleibt sie in der deutschen Geschichte vor allem durch die Schlacht präsent, die im Vor­feld der Fes­tung am 3. Juli 1866 geschla­gen wurde. Das his­torische Schlacht­feld erstreckt sich auf einem leicht­en Höhen­rück­en etwa zehn Kilo­me­ter nord­west­lich der Stadt und wird durch die Höhe von Chlum beherrscht. Hier befind­et sich seit eini­gen Jahren ein enormer Aus­sicht­sturm, der einen ide­alen Überblick über das gesamte Schlacht­feld bietet.

Ins­beson­dere die ältere preußis­chdeutsche Lit­er­atur zur Schlacht pflegte eine Meis­ter­erzäh­lung, in der das Zünd­nadel­gewehr, der Eisen­bah­nauf­marsch und die Nutzung der Telegra­phie mit den
Feld­her­rneigen­schaften des älteren Moltke und Bis­mar­cks meis­ter­liche Poli­tik das Arkanum des Sieges ver­mit­teln. Die öster­re­ichis­che Seite ste­ht dabei im ungün­sti­gen Licht ein­er mäßig geführten und schlech­taus­gerüsteten Vielvölk­er­armee. Doch hält diese Sicht dem zweit­en Blick nicht stand. Genauer: die jün­geren Veröf­fentlichun­gen zum The­ma rück­en das Bild zurecht. Doch paßt die Meis­ter­erzäh­lung  vorzüglich zum Dreik­lang der Haup­torte der Bis­mar­ckschen Eini­gungskriege und kön­nte laut­en: Düp­pel – König­grätz – Sedan, so wie es die Berlin­er Siegessäule mit ihren übere­inan­der ange­ord­neten Rei­hen dänis­ch­er, öster­re­ichis­ch­er und franzö­sis­ch­er Geschütze sug­geriert.

Indes, der Sieg, den die preußis­chen Trup­pen zwis­chen Bistritz und Elbe gegen die ver­bün­dete öster­re­ichisch-säch­sis­che Armee errangen, war alles andere als pro­gram­miert. Kein­er wußte dies bess­er als Moltke, und selb­st Wil­helm I.  zeigte um die Mit­tagszeit des 3. Juli Ner­ven und wäh­nte die Entschei­dung auf Messers Schnei­de. Zulet­zt vere­inigten sich die Trup­pen der 2. Armee des Kro­n­prinzen, die in Gewalt­märschen aus Nor­dosten her­an­rück­ten, zwar auf dem Schlacht­feld mit den bei­den anderen preußis­chen Armeen, doch galt und gilt Moltkes Dik­tum, daß jede Strate­gie nur bis zur ersten Feind­berührung reicht.

Manche wollen in König­grätz die erste Schlacht des 19. Jahrhun­derts sehen, die mit Tele­graph und Eisen­bahn bere­its ein neues Kriegs­bild dar­bot, doch viel eher waren es die Schlacht­en des Krimkriegs und des amerikanis­chen Bürg­erkriegs, die jenen Anspruch ein­lösten. Es waren die Trup­pen der 1. Preußis­chen Armee, die an jen­em regen­ver­hangenen Tag gegen sieben Uhr in der Frühe beim Dör­fchen Sad­owa die Bistritz über­schrit­ten und verge­blich die Öster­re­ich­er in der Höhen­stel­lung vor­wärts Lipa im Swiep- und im Holawald attack­ierten. Über­haupt erre­icht­en die preußis­chen Kräfte in der ersten Tageshälfte die gesteck­ten Ziele kaum, oder nur unter schw­eren Ver­lus­ten. Die Leis­tungs­fähigkeit des berühmten Zünd­nadel­gewehrs kam nur in der Defen­sive gegen die Bajonet­tan­griffe der Öster­re­ich­er im Swiep­wald zum Tra­gen.

Im Angriff kon­nte sich das Gewehr gegen Reich­weite und Präzi­sion des öster­re­ichis­chen Vorder­laders – Lorenz-Gewehr – nicht durch­set­zen, und auch die Krupp-Kanonen entsch­ieden die Schlacht nicht, denn Gen­er­alfeldzeug­meis­ter Benedek, der öster­re­ichis­che Oberkom­mandierende, hat­te im nördlichen Vor­feld der Fes­tung eine starke Defen­sivstel­lung gewählt, die von ein­er her­vor­ra­gen­den Gelän­de­beurteilung und ‑aus­nutzung zeugt. Auch zeigten die öster­re­ichis­chen Trup­pen keine Zeichen von Demor­al­isierung, son­dern focht­en tapfer und entschlossen, wie u. a. das hero­is­che Aushal­ten der öster­re­ichis­chen Artillerie zeigt, die bis zur let­zten Granate die Verzögerung der Haupt­macht deck­te. Das Gemälde »Die Bat­terie der Toten« im Heeres­geschichtlichen Muse­um in Wien zeugt noch heute davon.

Ger­ade mil­itärische Oper­a­tio­nen ver­leit­en den His­torik­er zu kon­trafak­tis­chen Erwä­gun­gen, so auch hier. Hät­ten die nach­ge­ord­neten öster­re­ichis­chen Führer, ins­beson­dere die Kom­man­deure des II. (Thun) und IV. Korps (Fes­tet­ics), die ihnen zugewiesene Stel­lung nicht aus eigen­em Entschluß nach vorne ver­legt und in die Gefechte im Swiep­wald einge­grif­f­en, die öster­re­ichis­che Armee hätte das Feld wom­öglich behaupten kön­nen. Die Höhen­stel­lung von Chlum hätte am 3. Juli 1866 der Eckpfeil­er der öster­re­ichis­chen Vertei­di­gung sein sollen. Indes, das Schlüs­sel­gelände war nicht in der befohle­nen Weise beset­zt und vertei­digt wor­den.

So gelang es dem preußis­chen Kro­n­prinzen Friedrich Wil­helm mit sein­er Armee, die öster­re­ichis­che Stel­lung von hier aus zu erschüt­tern und schließlich aufzurollen. Benedek beurteilte die kri­tis­che Lage zutr­e­f­fend und han­delte entschlossen und fol­gerichtig, indem er eine geord­nete Verzögerung nach Süden ein­leit­ete, ohne daß die ermat­teten Preußen zu ein­er scharf nach­drän­gen­den Ver­fol­gung noch imstande gewe­sen wären.

In diesem Sinne ist König­grätz zwar kein Ver­nich­tungssieg, aber eine Entschei­dungss­chlacht, denn der mil­itärische Sieg hat­te unmit­tel­bare – und akzep­tierte – poli­tis­che Kon­se­quen­zen. Alleine der franzö­sis­che Auf­schrei: »Rache für Sad­owa!«, wie die Schlacht außer­halb Preußen-Deutsch­lands genan­nt wurde, läßt auf deren Bedeu­tung und Wahrnehmung durch Zeitgenossen und Nach­welt schließen, obgle­ich König­grätz im Schat­ten des Sieges von Sedan (1870) ste­ht, der den mil­itärischen Schlußstein zu Bis­mar­cks Reichs­grün­dung set­zt.

Öster­re­ich halfen die glänzen­den Siege gegen die Ital­iener, die Tegeth­off zur See bei Lis­sa und Erzher­zog Albrecht zu Lande bei Cus­toz­za erfocht­en, nichts. Denn der Krieg ging in Böh­men ver­loren. Benedek mußte sich vor ein­er Unter­suchungskom­mis­sion für die Nieder­lage recht­fer­ti­gen, was ihm offen­sichtlich gelang, denn es fol­gte auf die Vorun­ter­suchun­gen kein Kriegs­gerichtsver­fahren, doch verpflichtete ihn die Kom­mis­sion zu »lebzeit­igem« Schweigen, das er bis zu seinem Tode 1881 nicht brach.

Von König­grätz und dem Frieden von Prag, der den deutschen Brud­erkrieg been­dete, ging jeden­falls der wesentliche Impuls zur »klein­deutschen Lösung« und der fol­gen­den Reichs­grün­dung aus, was das böh­mis­che König­grätz zu einem »deutschen« Ort qual­i­fiziert.

Eine Über­legung zu den han­del­nden mil­itärischen Führern ist hier ange­bracht. Zwar war Wil­helm I. auf dem Schlacht­feld zuge­gen, doch führten mit Moltke und Benedek zwei nieder­adlige Beruf­s­mil­itärs, was als Beleg für die fortschre­i­t­ende Auflö­sung der für die europäis­chen Mil­itär­monar­chien tra­di­tionell üblichen Bindung mil­itärisch­er Kom­man­do­posten an die hohe Geburt ihrer Inhab­er gel­ten kann. Franz Joseph I., nach der per­sön­lichen Erfahrung der Nieder­lage von Solferi­no (1859) vor­sichtig gewor­den, hielt sich vom Kriegss­chau­platz fern.

König­grätz ist aber nicht nur ein mil­itärisch­er Sieg, denn hier bewährte sich die neue preußis­che Armee des Heeres- und Ver­fas­sungskon­flik­ts der frühen 1860er Jahre. Mit dem Sieg der preußis­chen Waf­fen war Bis­mar­cks und des Königs harte Hal­tung – des Regierens ohne Bud­get und gegen den Land­tag – gerecht­fer­tigt, und sie erhiel­ten Indem­nität. Für Kriegsmin­is­ter Roon war es der sicht­bare Erfolg sein­er Heeres­re­form und für Moltke bewies König­grätz die Qual­ität der Gen­er­al­stab­saus­bil­dung neuer Prä­gung, die für die kom­menden Gen­er­a­tio­nen mil­itärisch­er
Führer in Deutsch­land habituell und intellek­tuell prä­gend wirk­te.

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Lit­er­atur:

  • Peter A. Aumüller: Feldzeug­meis­ter Benedek und die Schlacht bei König­grätz, in: Trup­pen­di­enst Nr. 276 (3/2004), hrsg. v. (österr.) Bun­desmin­is­teri­um für Lan­desvertei­di­gung, S. 216–225
  • Gor­don A. Craig: König­grätz, Wien 1966
  • Wolf­gang von Groote/Ursula von Gers­dorff (Hrsg.): Entschei­dung 1866. Der Krieg zwis­chen Öster­re­ich und Preußen, Stuttgart 1966
  • Hans-Peter Kriemann/Lars Zacharias: Mil­itärhis­torische Gelän­debe­sprechung: König­grätz 1866, in: Mil­itärgeschichte. Zeitschrift für his­torische Bil­dung, hrsg. v. MGFA, Heft 1/2012, S. 16–21