Leistung

Leis­tung ist nur im Bere­ich der Natur­wis­senschaft, vor allem der Physik – Arbeit beziehungsweise Energie pro Zeit­ein­heit – ganz ein­deutig zu definieren. Anson­sten beste­ht das Prob­lem, wie man eine Leis­tung bew­ertet, und das hängt wiederum von Maßstäben ab, die selb­st nicht mit der Leis­tung als solch­er zu tun haben.

In der Poli­tik begann die Kar­riere des Leis­tungs­be­griffs irri­tieren­der­weise als »all­ge­mein­er Niv­el­lierungs­be­griff« (Wal­ter Leis­ner). Das Bürg­er­tum set­zte sein Recht auf Mit­sprache durch unter Hin­weis auf seine Leis­tung, das heißt seine Steuer­leis­tung, für den Staat. Klerus und Aris­tokratie – so Emmanuel Sieyès in seinem berühmten Pam­phlet Was ist der Dritte Stand? – seien nicht würdig, als Teile der Nation zu gel­ten, da sie für deren Bestand nichts leis­teten, son­dern Vor­rechte in Anspruch näh­men wie etwa die Steuer­frei­heit. Woll­ten sie zukün­ftig als Glieder des größeren Ganzen betra­chtet wer­den, müßten sie ihre Priv­i­legien aufgeben und sich dem all­ge­meinen, also dem Leis­tung­sprinzip unter­w­er­fen. Was sel­ten erwäh­nt wird, ist eine zweite Stoßrich­tung der Argu­men­ta­tion von Sieyès, die sich gegen die canaille richtete, also die Menge der Armen, die wegen ihres gerin­gen Besitzes und Einkom­mens nicht steuerpflichtig waren.

Der Bezug auf die Leis­tung ist also nicht egal­itär im eigentlichen Sinn, geht aber von ein­er all­ge­meinen Gle­ich­heit der Chan­cen aus und erweist sich so als typ­is­ches Pro­dukt des aufk­lärerischen und bürg­er­lichen Denkens. Dabei kann gar nicht überse­hen wer­den, daß Leis­tung auch in früheren Zeit­en immer ein wichtiger Grund für die Anerken­nung von Über- und Unterord­nung war. Das gilt von Anfang an für beson­dere religiöse oder mil­itärische Kom­pe­tenz, wobei in allen krisen­haften Phasen der Geschichte entsprechende Leis­tung beson­ders hoch gew­ertet wur­den, während bei zunehmender Insti­tu­tion­al­isierung das Moment der indi­vidu­ellen Leis­tung zurück­trat gegenüber Auswahl und Förderung auf­grund von Kon­for­mität.

Ver­suche, auch unter solchen Umstän­den das Leis­tung­sprinzip in Gel­tung zu hal­ten, hat es ger­ade in der europäis­chen Geschichte immer wieder gegeben. Das gilt in gewis­sem Sinn schon für das vork­las­sis­che und das klas­sis­che Griechen­land mit dem Ide­al des agon, aber in noch ganz anderem Maß für das bürg­er­liche Zeital­ter, das heißt vornehm­lich das 19. Jahrhun­dert. Die prob­lema­tis­chen Aspek­te des Grund­satzes der Leis­tung wur­den dabei häu­fig überse­hen, vor allem wenn es um den Hin­weis ging, daß sich die Leis­tung im all­ge­meinen nur dann hin­re­ichend deut­lich bes­tim­men ließ, wenn sie im ökonomis­chen Bere­ich erbracht wurde, wom­it eine mate­ri­al­is­tis­che Ten­denz freige­set­zt war, die der bürg­er­lichen Lebenswelt ins­ge­samt feindlich gegenüber­stand.

Infolgedessen sind aus dem Bürg­er­tum immer wieder antibürg­er­liche Bewe­gun­gen ent­standen, die entwed­er die Leis­tungsver­weigerung der Auf­steiger – der »Klasse der Müßig­gänger« (Thorstein Veblen) – oder die Ori­en­tierung an der Leis­tung über­haupt in Frage stell­ten und dage­gen aris­tokratis­che oder sub­kul­turelle Konzepte set­zten, die Groß­gesin­ntheit oder Muße als eigentliche Bezugspunk­te zur Bew­er­tung men­schlichen Han­delns ins Feld führten. So legit­im die Kri­tik ein­er Vere­in­sei­t­i­gung des Leis­tung­sprinzips sein mag, so muß doch fest­ge­hal­ten wer­den, daß die radikale Kri­tik am »sinnlosen Leis­tungszwang« (Alexan­der Mitscher­lich) im Grunde nie eine echte Alter­na­tive aufgewiesen hat, weil sie erstens die Leis­tungs­bere­itschaft der anderen, die die Leis­tungsver­weiger­er mitver­sor­gen, voraus­set­zt, und zweit­ens keine in ver­gle­ich­barem Maß gerechte Beurteilung von Qual­i­fika­tio­nen vorzuschla­gen hat, wenn die Bes­tim­mung von Leis­tung oder Nichtleis­tung durch die Insti­tu­tio­nen sachgerecht gewährleis­tet wird.

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Zitate:

Der Men­sch … sucht … in jedem Tun die Ver­wirk­lichung eines konkreten, objek­tiv­en, unper­sön­lichen Zieles. Deshalb ist er von der Freude an »greif­baren« Ergeb­nis­sen besessen und haßt die nut­zlose Anstren­gung. Er schätzt Brauch­barkeit und Leis­tung, ver­achtet hinge­gen verge­blich­es Tun, Unfähigkeit und Vergeudung. Diese Fähigkeit oder Nei­gung wollen wir als Werkin­stinkt beze­ich­nen.
Thorstein Veblen

… lassen Sie also, lieb­ster Fre­und, Ihren schwärmerischen Gedanken von der Glück­seligkeit eines Staates fahren, worin alles nach Ver­di­en­sten gehen sollte. Wo Men­schen herrschen und Men­schen dienen, ist Geburt und Alter oder das Dien­stal­ter immer noch die sich­er­ste und am wenig­sten belei­di­gende Regel zu Beförderun­gen. Dem schöpferischen Genie oder der eigentlichen Virtú wird diese Regel nicht schaden; aber eine Aus­nahme von dieser Art ist sehr sel­ten und wird auch nur schlechte Herzen kränken.
Jus­tus Mös­er

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Lit­er­atur

  • Carl Friedrich von Siemens Stiftung (Hrsg.): Sinn und Unsinn des Leis­tung­sprinzips. Ein Sym­po­sion, München 1974
  • Wal­ter Leis­ner: Der Gle­ich­heitsstaat. Macht durch Niv­el­lierung, Berlin 1980
  • Hel­mut Schoeck: Ist Leis­tung unanständig?, Osnabrück 1971
  • Thorstein Veblen: The­o­rie der feinen Leute [1899/1958], zulet­zt Frank­furt a.M. 2004