Lettow-Vorbeck-Denkmal — Sambia, Nordprovinz

Mit­ten in Afri­ka, unge­fähr auf halbem Weg zwis­chen Kasama und Mpi­ka im nördlichen Sam­bia, ste­ht eine deutsche Kanone. Daneben ein angedeuteter Obelisk, dessen englis­che Inschrift über den Grund dieses Relik­tes Auskun­ft gibt. Sie lautet: »An dieser Stelle, um 7.30 Uhr am Don­ner­stag, dem 14. Novem­ber 1918, hörte Gen­er­al von Let­tow-Vor­beck, Kom­man­deur der deutschen Trup­pen in Ostafri­ka, von Her­rn Hec­tor Croad, Dis­trik­tvorste­her von Kasama, von der Unterze­ich­nung des Waf­fen­still­standes durch die deutsche Regierung, welch­er die bedin­gungslose Evakuierung aller deutschen Trup­pen aus Ost-Afri­ka vor­sah.«

Im Anschluß mußte Let­tow-Vor­beck mit sein­er Truppe nach Aber­corn (Mbala) marschieren, um dort am 25. Novem­ber zu kapit­ulieren und seine Waf­fen abzugeben. Damit endete nicht nur der Erste Weltkrieg in Afri­ka, son­dern auch das Kapi­tel des deutschen Kolo­nial­re­ich­es über­haupt. Dieses begann, von eini­gen kleineren Unternehmungen und Han­del­snieder­las­sun­gen abge­se­hen, erst mit der Reich­seini­gung von 1871. Der Impuls kam in den 1880er Jahren nicht von staatlich­er Seite (Bis­mar­ck war zunächst kein Fre­und von Kolonien), son­dern aus Teilen des Volkes, die Deutsch­lands Stel­lung als Groß­macht nur durch den Besitz von Kolonien gewährleis­tet sahen.

Die konkreten Schritte unter­nah­men einzelne Aben­teur­er wie Carl Peters (Deutsch-Ostafri­ka) und Adolf Lüderitz (Deutsch-Süd­west­afri­ka), die auf eigene Faust in Afri­ka Verträge mit den örtlichen Herrsch­ern abschlossen und sich so großen Landbe­sitz sicherten. Schutzbriefe des Deutschen Reich­es und Abkom­men mit den konkur­ri­eren­den Kolo­nialmächt­en legit­imierten die Bestre­bun­gen nach und nach, so daß zwis­chen 1884 und 1899 ein aus­gedehntes deutsches Kolo­nial­re­ich in Afri­ka (neben den bei­den bere­its genan­nten noch Kamerun und Togo im West­en) und Asien (Deutsch-Neuguinea, Deutsch-Samoa und Kiautschou) ent­stand. Eine eigens aufgestellte Schutztruppe stellte die Sicher­heit nach innen sich­er. Wie alle Kolo­nialmächte hat­te Deutsch­land vor Ort mit Auf­stän­den, mit Kor­rup­tion und Mißwirtschaft zu kämpfen, weshalb die Kolonien in Deutsch­land umstrit­ten blieben.

Im Ersten Weltkrieg erwiesen sie sich für die Alli­ierten als leichte Beute. Bis Ende 1914 waren alle Kolonien, außer Deutsch-Süd­west (Juli 1915), Kamerun (Feb­ru­ar 1916) und Deutsch-Ostafri­ka (DOA) ver­loren. Nur in let­zterem wurde bis zum Schluß gekämpft, was vor allem dem  Kom­man­deur der dor­ti­gen Schutztruppe, Paul von Let­tow-Vor­beck, zu ver­danken war. Am Ende waren es noch 155 Europäer, 1 168 Askari und rund 3 000 Träger, die nach dem 11. Novem­ber 1918 fernab von Europa weit­er Krieg gegen die Über­ma­cht der Alli­ierten führten und schließlich kapit­ulierten.

Der Erste Weltkrieg begann in DOA mit der Beschießung der Haupt­stadt Dares­salam und der Errich­tung ein­er Block­ade durch die Englän­der am 5. August 1914. Nach­dem die Neu­tral­itätsver­hand­lun­gen gemäß der Kon­goak­te von 1885 gescheit­ert waren, trat auch Bel­gien in den Krieg ein. Damit war DOA fast völ­lig von Fein­den eingekreist, was den Kom­man­deur der Schutztruppe von DOA von der Vertei­di­gung nicht abschreck­te. Let­tow-Vor­beck ver­fügte über Kolo­nialkriegser­fahrung und war durch sein Pflicht­ge­fühl ein uner­bit­tlich­er Trup­pen­führer: »Wir haben Befehl, Krieg zu führen; wir hören nicht auf, bis Gegen­be­fehl erfol­gt.«

DOA selb­st bot keine opti­malen Voraus­set­zun­gen für die Kriegführung: die Kolonie war in hohem Maße von Importen abhängig und wenig erschlossen. Die Schutztruppe war für einen Krieg gegen äußere Feinde nicht gerüstet und umfaßte nach der Zusam­men­le­gung mit der Polizei ca. 300 Deutsche und 4 500 Askari. Die max­i­male Kopf­stärke betrug Anfang 1916 ins­ge­samt ca. 15 000, davon 3 500 Weiße. Durch den Aus­bau der Schutztruppe und die Umstel­lung auf Selb­stver­sorgung kon­nte DOA bis zum Feb­ru­ar 1916 im wesentlichen gehal­ten wer­den. In zwei großen Gefecht­en, Tan­ga und Jassi­ni, wur­den britis­che Expe­di­tion­sko­rps abgewehrt. Nach der Kapit­u­la­tion der deutschen Trup­pen in Deutsch-Süd­west­afri­ka began­nen die Alli­ierten im März/April 1916 mit ein­er Großof­fen­sive gegen DOA. Es gelang nicht, die Schutztruppe, die z. B. das Gefecht von Mahi­wa am 14./18. Okto­ber 1917 für sich entschei­den kon­nte, zu besiegen, wenn auch DOA seit Ende 1917 voll­ständig vom Feind beset­zt war.

Let­tow-Vor­beck über­schritt aus diesem Grund mit seinen Trup­pen die Süd­gren­ze nach Por­tugiesisch-Mosam­bik, durchkreuzte zehn Monate lang dessen Nor­den, kehrte am 28.  Sep­tem­ber 1918 nach DOA zurück und marschierte einen Monat später nach Britisch-Nor­drhode­sien, wo er in »strate­gisch gün­stiger Lage« auf dem Durch­marsch nach Ango­la von der Kapit­u­la­tion der Mit­telmächte über­rascht wurde. Daß die Schutztruppe bis zum Kriegsende nicht kapit­ulierte und auch weit­erkämpfte, als die Kolonie schon längst ver­loren war, ist bemerkenswert und nur durch die Ziel­stel­lung und Kriegführung Let­tow-Vor­becks zu erk­lären. Sein Ziel bestand länger­fristig darin, den europäis­chen Kriegss­chau­platz durch die Bindung feindlich­er Trup­pen in Afri­ka zu ent­las­ten. Da der Geg­n­er zahlen­mäßig hoff­nungs­los über­legen war (min­destens 100 000 Sol­dat­en mit mod­ern­ster Aus­rüs­tung), mußte die Kriegführung dementsprechend angepaßt wer­den.

Let­tow-Vor­beck set­zte deshalb auf die Beweglichkeit und punk­tuelle Schlagkraft sein­er Trup­pen, das heißt, er führte einen vor­bildlichen Kleinkrieg. So wurde der Geg­n­er durch ständi­ge Patrouillen an seinen empfind­lich lan­gen Nach­schub­we­gen gestört. Durch die zahlen­mäßige Unter­legen­heit kon­nte die Schutztruppe schnell weite Streck­en zurück­le­gen, was dann entschei­dend war, wenn die Deutschen sich knapp ein­er Einkreisung ent­zo­gen und den Geg­n­er so zwan­gen, seine Trup­pen mit großem Organ­i­sa­tion­saufwand zu ver­legen. Entschei­dungs­ge­fechte wur­den möglichst ver­mieden, kleinere Tre­f­fen hinge­gen gesucht, um die Ver­sorgung mit Waf­fen und Muni­tion sicherzustellen. Bei den übergebe­nen Waf­fen vom 25. Novem­ber 1918 han­delte es sich fast auss­chließlich um Beutestücke.

Let­tow-Vor­beck und die Reste der Schutztruppe kehrten nach Deutsch­land zurück und wur­den bei ihrem Einzug in Berlin am 2. März 1919 als »moralis­che Sieger« und »wahrlich im Feld  unbe­siegt« gefeiert. Deutsch­land ver­lor durch den Ver­sailler Ver­trag alle seine Kolonien und überseeis­chen Recht­sansprüche an die Siegermächte, die diesen Raub »im Namen der Moral«  vol­l­zo­gen und die Beute unter sich aufteil­ten. Auch wenn das von den Deutschen als ungerecht emp­fun­den wurde und es immer Bestre­bun­gen gab, den Kolo­nialgedanken im deutschen Volk wachzuhal­ten, blieb das kurze Kapi­tel deutsch­er Kolo­nialpoli­tik Episode. Von ihm zeu­gen lediglich einige repräsen­ta­tive Baut­en in den ehe­ma­li­gen Kolonien, in Deutsch­land einige Straßen­na­men (die zunehmend getil­gt wer­den), die Erin­nerun­gen der Einge­bore­nen, die angesichts dessen, was fol­gte, dazu neigen, die Zeit unter den Deutschen zu glo­ri­fizieren, und das Let­tow-Vor­beck-Denkmal, das am 14. Novem­ber 1953 im dama­li­gen Nor­drhode­sien aufgestellt wurde.

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Lit­er­atur:

  • Lud­wig Boell: Der Waf­fen­still­stand 1918 und die ostafrikanis­che Schutztruppe, in: Wehrwis­senschaftliche Rund­schau 14 (1969), S. 324–336
  • Byron Far­well: The Great War in Africa 1914–1918, New York/London 1986
  • Paul von Let­tow-Vor­beck: Meine Erin­nerun­gen aus Ostafri­ka, Leipzig 1920
  • Michael Pesek: Das Ende eines Kolo­nial­re­ich­es. Ostafri­ka im Ersten Weltkrieg, Frank­furt a.M./New York 2010