Lüneburger Heide: Niedersachsen, zwischen Hamburg und Wolfsburg

Lila Eri­ka, ble­iche Sandwege, düstere Wacholder­haine, hin und wieder ein Hügel­grab und in der Ferne ein Schäfer mit sein­er Hei­d­schnuck­en­herde. So stellt man sich die Hei­de vor, und so haben weite Teile Nord­deutsch­lands tat­säch­lich ein­mal aus­ge­se­hen. Heute muß man sich sein Stück Ide­al­hei­de schon suchen; denn von der einst riesi­gen, mit Hei­dekraut bewach­se­nen Fläche ist nur wenig übrigge­blieben.

Doch in der Nord­hei­de, am Wilseder Berg, gibt es von diesem ländlich-zeit­en­trück­ten Bild noch einiges zu bewun­dern. 1921 wur­den hier 20 000 Hek­tar zum ersten deutschen Naturschutzge­bi­et erk­lärt und bilden seit­dem das Herzstück der Lüneb­urg­er Hei­de. Die Lüneb­urg­er Hei­de ist eine über­wiegend flach­wellige Heide‑, Geest- und Wald­land­schaft im Nor­dosten Nieder­sach­sens. Benan­nt ist sie nach der Stadt Lüneb­urg. Auf dem sandi­gen und unfrucht­baren Boden ent­standen bere­its in der Jung­steinzeit, seit 3000 v. Chr., durch inten­sive Bewei­dung der dama­li­gen Traubene­ichen­wälder größere offene Flächen, die sich mit ein­er auch Eri­ka genan­nten Besen­hei­de (Cal­lu­na vul­garis) bestock­ten. Während der Völk­er­wan­derung nahm der Wal­dan­teil des Gebi­etes allerd­ings wieder erhe­blich zu, und erst ab dem Jahr 1000 n. Chr. kam es erneut zu ein­er großflächi­gen Aus­bre­itung der im August und Sep­tem­ber lila auf­blühen­den Cal­lu­na-Hei­den. Zurück­ge­führt wird dies vor allem auf die Umstel­lung von ein­er ort­sunge­bun­de­nen zu ein­er orts­ge­bun­de­nen Land­wirtschaft und die damit ein­herge­hende Errich­tung fes­ter men­schlich­er Sied­lun­gen. Damit ent­stand auch die weit bis in das 19. Jahrhun­dert hinein betriebene typ­is­che Hei­de­bauern­wirtschaft: Auf­grund der unfrucht­baren Böden mußten die weni­gen vorhan­de­nen Nährstoffe eines großen Gebi­etes auf ver­hält­nis­mäßig kleinen Äck­ern konzen­tri­ert wer­den, damit dort über­haupt etwas ange­baut wer­den kon­nte.

Das geschah durch die Abtra­gung des Hei­de­bo­dens, der in Ver­men­gung mit Stallmist als Dünger auf die zu bewirtschaf­ten­den Felder aufge­bracht wurde. Der größte Teil des Bodens gehörte allerd­ings der Hei­d­schnucke, die den Bauern Fleisch, Wolle, Led­er und Dünger brachte. Die Hei­d­schnuck­en, eine uralte Schafrasse, sind völ­lig auf das Hei­dekraut als Haupt­nahrung eingestellt. Die Schnuck­en­schafe knab­bern das Hei­dekraut ab, das dann um so kräftiger nach­wächst, reich­lich blüht und durch diesen »Rasen­mäher-Effekt« ständig ver­jüngt wird. Wenn die Hei­de sich selb­st über­lassen bleibt, genügt ein Viertel­jahrhun­dert, bis sie ver­holzt ist, lück­en­haft wird und schließlich von selb­st abstirbt.

Die Hei­de ist also, mag sie dem Betra­chter auf den ersten Blick noch so urtüm­lich und aus der Zeit her­aus­ge­fall­en erscheinen, keine Natur­land­schaft, son­dern eine erst durch Men­sch­ene­in­griff ent­standene Kul­tur­land­schaft. Diese Land­schaft, weit, sandig, unfrucht­bar und auf­grund ihrer Unfrucht­barkeit auch nur dünn besiedelt, erschien den Reisenden früher­er Jahrhun­derte keineswegs als Ferien­paradies, son­dern als beson­ders öde Wüstenei. Die Beurteilung der Hei­de erin­nert an die der Alpen, die bis zum Ende des 18. Jahrhun­derts als bizarr, häßlich und nicht ganz geheuer gal­ten – allerd­ings dauerte es bei der Lüneb­urg­er Hei­de länger, bis sie »ent­deckt« wurde.

Erst als das Über­leben der Hei­de bedro­ht war, erst als der Kun­st­dünger auch den unfrucht­baren Hei­de­bo­den frucht­bar machte, erst als die Hei­de­land­schaft mit Nadel­wäldern aufge­forstet wurde und die einst gewalti­gen Hei­d­schnuck­enbestände beängsti­gend zusam­men­schrumpften, erst da wurde die Schön­heit der Hei­de »ent­deckt«. Für diesen Wan­del ste­ht vor allem ein Name: Her­mann Löns. Zwar war der »Hei­dedichter« nicht der einzige, der für das Über­leben der Hei­de kämpfte – so erwarb sich etwa auch der »Hei­de­pas­tor « Wil­helm Bode für deren Erhalt große Ver­di­en­ste –, aber es war doch der mit seinen Gedicht­en, Erzäh­lun­gen und Roma­nen sehr erfol­gre­iche Löns, der die Lüneb­urg­er Hei­de erst zum Sehn­sucht­sort viel­er Deutsch­er machte.

Löns, der lange Zeit als Redak­teur in Han­nover lebte, schrieb über seine Liebe zur Natur, zur Jagd und zur Hei­de: »Schließlich war die Jagd meine Ret­tung. Suche und Treib­jagd lang­weil­ten mich; die heim­liche Pirsch in Hei­de, Moor und Wald brachte mich wenig­stens einige Stun­den zum Nach­denken. Ich sah, während ich an Bock und Fuchs dachte, die Natur in ihren großen Umris­sen; ich lernte, daß mir das Land­volk mehr bot als das der großen Stadt. Ganz urplöt­zlich ent­stand mit­ten zwis­chen den jour­nal­is­tis­chen Arbeit­en ein Gedicht, das sich sehen lassen kon­nte,
eine Skizze, die Form besaß; ein paar tüchtige Män­ner, hier ein Volkss­chullehrer, da ein Maler, die mir Fre­unde wur­den, boten mir mehr als die flachen Salon­bekan­ntschaften, aber die beste Lehrerin war mir doch die Hei­de. Ich durch­streifte sie, die Büchse über das Kreuz geschla­gen, nach allen Rich­tun­gen, wohnte Wochen in der Jagdbude, lebte Monate unter Bauern, und wenn ich wieder im Stadt­trubel war, formte sich, was mir der Wind, der über der Hei­de ging, erzählte, zu fes­ter Gestalt.« – So wurde Löns der Dichter der Hei­de.

Es ging ihm dabei in seinen Hei­deerzäh­lun­gen weniger um große Aben­teuer oder um span­nungsre­iche Jagdgeschicht­en als vielmehr darum, den Zauber der Land­schaft festzuhal­ten. Das erfol­gte durch eine präzise Schilderung der Hei­de­natur mit allem Leben darin und dem Wech­sel von Wet­ter, Tages- und Jahreszeit. Eine ganz ungewöhn­liche Ver­trautheit mit der Natur der Hei­de und aller Krea­tur offen­bart sich darin. Nicht ohne Grund nan­nte Ernst Jünger Her­mann Löns seinen »Augenöffn­er«. Löns war auch ein­er der ersten, der das Jagen von dem Nachgeschmack ein­er reinen Schießerei befre­ite, indem er den Gedanken ein­brachte, daß der Jäger zuerst ein Heger und Pfleger von Natur und Krea­tur zu sein habe. – Die Gebeine Her­mann Löns’€™, der 1914 in Frankre­ich als Kriegs­frei­williger den Sol­da­ten­tod starb, wur­den am 2. August 1935, dem Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkrieges, unter einem mächti­gen Fin­d­ling in der Hei­de bei Wal­srode beige­set­zt.

Die Hei­de ist beliebt bei den Deutschen. Über vier Mil­lio­nen Men­schen besuchen jährlich die einst so men­schen­leere und abgeschiedene Hei­de. Die Hei­de erfreut sich überdies ein­er beson­deren Beliebtheit bei den Recht­en. Was mögen die Gründe dafür sein? Da ist zunächst ein­mal Her­mann Löns, der von der poli­tis­chen Linken gern als triv­ialer Heimat­dichter dif­famiert wird. Mit seinem Beken­nt­nis zur Natur, zur Eige­nart, zum ursprünglichen Leben, kann man ihn sich­er nicht zu Unrecht als einen Vertreter rechter Naturver­ankerung beze­ich­nen, der ganz neben­bei deut­lich
macht, daß Naturschutz ein gen­uin recht­es The­ma ist und nicht, wie heute oft fälschlich  propagiert, ein linkes. Zudem ist der Name Löns auch mit dem Wehrwolf (1910) ver­bun­den, so der Titel seines in der Hei­de ange­siedel­ten Romans stand­hafter Heimatvertei­di­gung, nach dem sich von 1923 bis 1933 ein Wehrver­band und 1945 ver­sprengt kämpfende Hitler­jun­gen (Wer­wolf) benan­nt haben.

Und es ist nicht zulet­zt die Hei­de selb­st, zu der der Rechte eine Affinität zu haben scheint: zu ihrer Weite, ihren Gräbern aus grauer Vorzeit oder den alten Bauern­häusern, die noch an das ger­man­is­che Lang­haus erin­nern. Möglicher­weise sind es das Hei­d­nis­che an der Hei­de und ihr mythisch zeit­en­thoben­er Charak­ter, die ihn in den Bann schla­gen. Selb­st das Mil­lio­nen­heer der Immen (Bienen), von denen die Hei­de­bauern seit alters her Honig gewin­nen, läßt die hei­d­nis­che Vor­welt noch anklin­gen; denn aus ihm wird noch heute das Rauschgetränk der Ger­ma­nen hergestellt: der Met.

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Lit­er­atur:

  • Her­mann Cordes/Thomas Kaiser: Naturschutzge­bi­et Lüneb­urg­er Hei­de. Geschichte, Ökolo­gie, Naturschutz, Bre­men 1997
  • Her­mann Knot­tnerus-Mey­er: Der unbekan­nte Löns, Jena 1928
  • Richard Linde: Die Lüneb­urg­er Hei­de, Bielefeld/Leipzig 1904
  • Rolf Lüer: Geschichte des Naturschutzes in der Lüneb­urg­er Hei­de, Nieder­haver­beck 1994
  • Kon­rad Maier: Die Lüneb­urg­er Hei­de. Kun­st und Kul­tur im ehe­ma­li­gen Fürsten­tum Lüneb­urg, München/Berlin 1978