Palermo – Grab Friedrichs II.

Friedrich II. (žCas­tel del Monte) hat das merk­würdi­ge Schick­sal, trotz seines außergewöhn­lichen Rangs als Men­sch wie als Herrsch­er, leicht ver­wech­sel­bar zu sein. Schon unmit­tel­bar nach seinem Tod, als sich die Mythen von einem Fortleben im Inneren des Vulka­ns Ätna oder eines Berges ver­bre­it­eten, schob sich vor seine Fig­ur die des Groß­vaters: Friedrich Bar­barossa. Volk­stüm­lich sind deshalb bis heute die Erzäh­lun­gen vom Bar­barossa im Kyffhäuser oder im Unters­berg, wen­ngle­ich sich deren Vital­ität ein­deutig daraus erk­lärt, daß sie ursprünglich ent­standen, als Friedrich II. 1250 starb und die »schreck­liche, die kaiser­lose Zeit« begann. Und dann ist da noch die Ver­wech­slung zwis­chen ihm und jen­em anderen Friedrich II., genan­nt »der Große«, König von Preußen fünf Jahrhun­derte später. Ohne Zweifel haben bei­de gewisse auf­fäl­lige Gemein­samkeit­en: den Zug ins Ratio­nale, die Skep­sis, wenn nicht den Spott gegenüber der Reli­gion, den lit­er­arischen Ehrgeiz, die Rück­sicht­slosigkeit im Umgang mit Men­schen, den Willen zum Muster- und Zwangsstaat und vor allem die Entschlossen­heit zur Durch­set­zung der ins Auge gefaßten Ziele.

Aber son­st waren der römis­chdeutsche Kaiser aus dem Haus der Staufer und der preußis­che König aus dem Haus der Hohen­zollern (žHechin­gen) denkbar ver­schieden, was die Größe des  Wirkungskreis­es betraf und die Art der Geg­n­er­schaften und was die Möglichkeit­en anging, über­haupt als Indi­vidu­um zur Gel­tung zu kom­men, der eine im Mit­te­lal­ter, der andere im Zeital­ter der Aufk­lärung. Als Friedrich her­an­wuchs, der kleine Sohn des frühver­stor­be­nen, zu höch­sten Erwartun­gen Anlaß geben­den Hein­rich VI., kan­nte man ihn in Deutsch­land nicht, oder nur als »kint von pulle«. »Pulle« stand für Apulien, also die Haupt­land­schaft im südi­tal­ienis­chen Kön­i­gre­ich, das dem Staufer blieb, nach­dem die Kro­ne im Reich an die Welfen ver­loren war. Der Leg­ende nach hat­te der kleine Fed­eri­co eine wilde Jugend in Paler­mo, der Haupt­stadt des Kön­i­gre­ichs Sizilien, wo er anfangs ganz unbeachtet her­an­wuchs, bis sich der Papst sein­er entsann und ihn als Fig­ur im diplo­ma­tis­chen Schach zu nutzen dachte. Eine Rolle spielte dabei natür­lich auch Friedrichs Mut­ter Kon­stanze, die Tochter des let­zten Nor­man­nenkönigs, der das Insel­re­ich beherrschte.

Die Spuren der Nor­man­nen­herrschaft sind bis heute im Stadt­bild Paler­mos erkennbar, ob es nun um das prächtige Kloster Mon­reale am west­lichen Rand geht oder das zier­liche Lustschloß Zisa oder den Palast im Zen­trum. Allen diesen Hin­ter­lassen­schaften ist eigen, daß sie Syn­the­sen bilden aus bes­timmten architek­tonis­chen wie weltan­schaulichen Ele­menten, die die neuen Her­ren aus ihrer nordisch-franzö­sis­chen Heimat mit­ge­bracht hat­ten, dem antiken Erbe, dem mas­siv­en Ein­fluß des byzan­ti­nis­chen Ostens und der ara­bis­chen Welt. Der Wille, der hin­ter diesen  Syn­the­sen stand, muß erstaunlich stark und kon­tinuier­lich gewe­sen sein und nahm schon vieles vor­weg von dem, was dann die Herrschaft Friedrichs im Ästhetis­chen wie Poli­tis­chen kennze­ich­nen sollte. Jeden­falls erk­lärt aus der frühen Beheimatung sich­er auch, warum er sich in Sizilien und in Ital­ien über­haupt immer so sehr viel wohler fühlte als in Deutsch­land, das er mehr oder weniger sich selb­st – will sagen der fürstlichen Willkür – über­ließ. Und es erscheint insofern auch fol­gerichtig, daß Friedrich befahl, seinen Leich­nam in Paler­mo zu bestat­ten, in der prächti­gen Kathe­drale, die die Nor­man­nenkönige zu ihrer Grablege bes­timmt hat­ten.

Dort ste­ht sein Sarkophag bis heute, unter einem Bal­dachin. Er unter­schei­det sich kaum von denen sein­er Vorgänger, die ihn umgeben, darunter auch der sein­er Mut­ter Kon­stanze – der let­zten aus der »nor­man­nis­chen Lin­ie«, wie eine Inschrift besagt. Alle sind aus rotem Por­phyr gefer­tigt, nach dem Vor­bild byzan­ti­nis­ch­er Kaiser­sarkophage; der Friedrichs unter­schei­det sich nur durch die beson­ders sorgfältige Aus­führung. Das beherrschende Motiv ist der Löwe, das Wap­pen­tier der Staufer, vor allem aber das Macht­sym­bol der Nor­man­nen. Die Dop­pel­löwen, die den Sarkophag tra­gen und zwis­chen deren Klauen Men­schen kauern oder zu ent­fliehen suchen, entsprechen jeden­falls mit ihrem Sym­bol­ge­halt den impe­ri­alen Adlern, vor denen eine geschla­gene Beute liegt, die Friedrich gle­ich­falls von seinen Vorgängern über­nom­men hat­te und die wie nichts son­st seinen absoluten Herrschaft­sanspruch zum Aus­druck brin­gen.

Merk­würdig ist, daß sich trotz der Fremd­heit Friedrichs, trotz sein­er erk­lärten Zurück­set­zung des deutschen Reichs, soviel Inter­esse, aber auch soviel Verehrung von Deutschen an seine Per­son geheftet hat. Am deut­lich­sten war das ohne Zweifel im Fall des George-Kreis­es, zu dessen berühmtesten Werken das Buch Kaiser Friedrich der Zweite von Ernst Kan­torow­icz gehört. Hier war man sich beson­ders bewußt, daß in dem Staufer etwas zur Erschei­n­ung gekom­men war, was den Deutschen auf­grund ihres im Ger­man­is­chen wurzel­nden Eigensinns und ihres Man­gels an »In-Form-Sein« (Spen­gler dix­it) abging, denn unter den Staufern wurde »sowohl ger­man­is­ches Helden­tum als christlich­er Rit­ter­di­enst durch das Imperi­um in ein römisch Festes, Sicheres und Geformtes, in ein kör­per­haft Plas­tis­ches gezwun­gen, das Deutsch­land bis heute nicht wieder­fand«. Daher auch die wun­der­bare Geste, mit der einige Ange­hörige des Kreis­es im Mai 1924 vor dem Grab Friedrichs II. in Paler­mo einen Kranz nieder­legten, daran eine Schleife, darauf die Worte: »Seinen Kaisern und Helden – Das geheime Deutsch­land.«

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Lit­er­atur:

  • Eck­hart Grünewald: Ernst Kan­torow­icz und Ste­fan George. Beiträge zur Biogra­phie des His­torik­ers bis zum Jahre 1938 und zu seinem Jugendw­erk »Kaiser Friedrich der Zweite«, Wies­baden 1982
  • Ernst Kan­torow­icz: Kaiser Friedrich der Zweite, Berlin 1927
  • Karl­heinz Weiß­mann: Das »Geheime Deutsch­land«. Kan­torow­icz und sein Buch über den Staufer Friedrich II., in: ders.: Alles, was recht(s) ist. Ideen, Köpfe und Per­spek­tiv­en der poli­tis­chen Recht­en, Graz/Stuttgart 2000, S. 73–77