Kaiser Friedrich der Zweite — Ernst Kantorowicz, 1927

1927 erschien aus der Fed­er des noch jun­gen jüdis­chen Nation­alökonomen und His­torik­ers, Weltkrieg­steil­nehmers und Freiko­rp­skämpfers Ernst Kan­torow­icz die in Ton und Inten­tion außergewöhn­liche Lebens­darstel­lung Kaiser Friedrich II. Der Dichter Ste­fan George fungierte nicht nur als Her­aus­ge­ber des Buchs, er war auch der­jenige, der Kan­torow­icz zu dieser Arbeit ermutigt und als Schlußlek­tor auf die endgültige Gestalt des Buchs eingewirkt hat­te. Das Friedrich-Buch rei­ht sich damit ein in das vom George-Kreis mit großem Erfolg betriebene Konzept ein­er Hal­tungs- und For­mverdich­tung am Beispiel großer Per­sön­lichkeit­en und ein­er damit ver­bun­de­nen Tra­di­tions­bil­dung eines »Geheimen Deutsch­lands«. Friedrich Gun­dolfs Büch­er über Goethe, Cae­sar und George selb­st gehören eben­so in diese Rei­he wie Ernst Bertrams Niet­zsche oder Berthold Val­lentins Napoleon.

Kan­torow­iczs Friedrich erscheint als Grün­der »der ersten absoluten Monar­chie des Abend­lan­des«, der schon als Kind zur Weltherrschaft bes­timmt gewe­sen sei. Jed­er sein­er Schritte aus den ver­wor­re­nen Ver­hält­nis­sen in Sizilien bis zur Wieder­her­stel­lung der »Got­tun­mit­tel­barkeit des Kaiser­tums« gilt Kan­torow­icz als fol­gerichtig, er sieht den zukün­fti­gen Kaiser auf einem traumwan­d­lerisch sicheren Weg und betont die Fügung, das Genie, die Exzen­trik, die Moder­nität, let­ztlich die unter Auf­bi­etung aller geisti­gen und seel­is­chen Kräfte gelin­gende Ver­wirk­lichung ein­er Idee: Der Staufer Friedrich II. sei der »End- und Erfül­lungskaiser der deutschen Träume«, die Verkör­pe­rung eines Genius der Deutschen, der Ver­wirk­lich­er der Ost und West, Erde und Him­mel umspan­nen­den Friedens- und Ord­nungsvi­sion.

Kan­torow­icz ver­wies mit dieser Deu­tung des Kaisers zugle­ich auf den Anspruch des George-Kreis­es: Hier wie dort sah er einen inten­siv­en Formwillen wirk­sam, ein die Natur ein­beziehen­des, jedoch visionär ord­nen­des und übertr­e­f­fend­es Gestal­tungsver­mö­gen, das den zer­fahre­nen und amor­phen Kräften der Deutschen Not tue – im Falle Friedrichs etwa ver­wirk­licht in den Kastell­baut­en, deren Krö­nung – das Cas­tel del Monte – sich jed­er prak­tis­chen Bau­a­nalyse entzieht, jed­er emphatis­chen jedoch öffnet. Diese Hal­tung in den Deutschen sein­er Gegen­wart zu fördern, war eine der Hoff­nun­gen Kan­torow­iczs, zu der ihn der Erfolg seines Buch­es berechtigte.

Daß Fachkreise Kan­torow­iczs Darstel­lung kri­tisch sahen, spielt über­haupt keine Rolle: In großen Teilen des kon­ser­v­a­tiv­en Bürg­er­tums prägte das Buch das Bild der stau­fis­chen Epoche. Selb­st in völkischen und nation­al­is­tis­chen Kreisen wurde es gele­sen und begrüßt, obwohl hier doch das Aus­greifen nach Ital­ien als Vergeudung deutschen Blutes, die welfis­che Ostkoloni­sa­tion hinge­gen als wahre Sendung der Deutschen gegen die Staufer vorge­bracht wurde. Bis heute kann das Buch die beab­sichtigte Wirkung auf seine Leser ent­fal­ten, zumal sicher­lich vor allem diejeni­gen zu Kan­torow­iczs Darstel­lung greifen, die sich von ein­er Lebens­beschrei­bung mehr ver­sprechen als von ein­er bloßen Biogra­phie. Ver­gle­ich­bares aus jün­ger­er Zeit wäre vielle­icht Hell­mut Diwalds Darstel­lung Hein­rich der Erste, und auch er mußte sich von Fachkol­le­gen den Vor­wurf gefall­en lassen, daß er mit zu viel Sym­pa­thie und zu großem schrift­stel­lerischem Tal­ent ans Werk gegan­gen sei.

Irri­tiert hat Kan­torow­icz mit der »Vorbe­merkung«, die in den Aus­gaben nach 1945 nicht mehr enthal­ten ist: Er beschreibt darin eine Kranznieder­legung am Sarkophag Kaiser Friedrichs in Paler­mo, die im Geiste eines »Geheimen Deutsch­lands« erfol­gt sei. Nur Eingewei­hte kon­nten wis­sen, daß hin­ter dieser Huldigung aus dem Jahre 1925 Ange­hörige des George-Kreis­es standen. Das Wort vom »Geheimen Deutsch­land« ist bis heute und trotz aller wis­senschaftlichen Zer­legungsver­suche als Möglichkeit eines Inneren Reich­es vir­u­lent, dies nicht zulet­zt, weil der Hitler-Atten­täter Stauf­fen­berg kurz vor seinem Tode vielle­icht doch diese Formel gerufen hat – auch er Ange­höriger eines der Kreise um George.

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Zitat:

Für einen Augen­blick sah man in Friedrich II. noch die ganze Her­rlichkeit des alten deutschen Römer­imperi­ums erstrahlen, sah kurz vor dem Ende noch ein­mal in den Pfalzen am Neckar und Rhein den hellen Glanz der Kaiser­pracht in einem südlichen Lichte aufglühen und dann rasch für immer ver­löschen. Nur den Deutschen blieb von dem allen ein Sehnen zurück.

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Aus­gabe:

  • Neuaus­gabe, Stuttgart: Klett-Cot­ta 1998

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Lit­er­atur: