Potsdam – Sanssouci

Wer um die Abendzeit eines Som­mertages, wenn sich die Touris­ten­ströme aus Pots­dam ver­zo­gen haben, Stille in den königlichen Gärten eingekehrt ist und der Him­mel noch blau und wolken­los über der Stadt ste­ht, auf die obere Ter­rasse vor Sanssouci tritt, der erken­nt, daß im preußis­chen Staat noch etwas anderes angelegt ist als Pflicht und Dienst, als alles durch­drin­gende Bürokratie oder Sol­da­ten­tum. Hier tritt das Ide­al dieses Staates in über­schwenglich­er Schön­heit, Heit­erkeit und Friede auf uns zu: Der Wille, nicht nur standzuhal­ten im Mächt­e­spiel der europäis­chen Staat­en, son­dern auch kul­turell in Europa nicht allein mitzuhal­ten, son­dern Stile und Ideen umzuprä­gen, etwas Eigenes zu schaf­fen, das die Welt um ein unver­gle­ich­lich­es Ele­ment, einen neuen Geist erweit­ert.

Dieses beschei­dene Schlößchen, 1745 bis 1747 nach Skizzen Friedrichs des Großen  durch seinen Baumeis­ter von Kno­bels­dorff errichtet, zeigt uns in sein­er ver­spiel­ten, wein­trunk­e­nen Fas­sade, in sein­er Fülle der Rocaillen, den lieblichen Bildern eines Wat­teau, leg­endären Flötenkonz­erten, philosophis­chen Gesprächen und sein­er run­den, in Zed­ern­holz und Gold aus­gek­lei­de­ten Bib­lio­thek, wonach Preußen strebte. Dies hier hat es sich hart erkämpft. Keine hun­dert Jahre zuvor war diese Gegend, war Bran­den­burg im Dreißigjähri­gen Krieg (Schwei­d­nitz) ver­wüstet wor­den, hat­te der östliche Part Bran­den­burg-Preußens seinen Trib­ut an den mächti­gen Nach­barn Polen-Litauen zu entricht­en, lag danieder, mußte Wege der Sicherung, der Hal­tung, der Erhal­tung find­en.

Das Umgeben­sein von Mächtigeren – auch im Nor­den: Schwe­den – forderte zur Härte, also zum Auf­bau des Heeres, zur Ord­nung der Ver­wal­tung, zur Bändi­gung der auseinan­der­streben­den
Stände, bis hin zur Köp­fung jenes Ost­preußen von Kalck­stein (1672), der des eige­nen Vorteils wegen durch seinen Gang zum pol­nis­chen König Hochver­rat beg­ing und damit Erin­nerun­gen an
die ständis­che Erhe­bung gegen den Lan­desh­er­rn über 200 Jahre zuvor wachrufen mußte. Diszi­plin und Strenge waren notwendig, zu Schutz und For­mung, auch beim eige­nen Sohn.

Doch hier – vor Sanssouci – ste­ht etwas auf, das ander­er Begriffe bedarf, andere Sichtweisen, andere Geschichtsin­ter­pre­ta­tio­nen eröffnet: Hier ist von der Heit­erkeit Preußens zu sprechen, von der Sehn­sucht sein­er Herrsch­er, das unwirtliche Land »südlich-son­niger« umzu­for­men, also ital­ienis­che und franzö­sis­che Ide­ale in Eigenes umzuwan­deln, geistige Räume zu erweit­ern, und damit von dem eigentlichen Ziel des Königs, des Staates: durch Kun­st und Bil­dung nicht nur sich, son­dern jeden Bürg­er trotz äußer­er und inner­er Zwänge zu befreien.

Dies alles nicht erst­bei Friedrich dem Großen, son­dern schon zuvor: etwa unter dem Urur­groß­vater Georg Wil­helm, der mit Blick auf den berühmten Hei­del­berg­er Hor­tus Palat­i­nus in Königs­berg einen prächti­gen Lust­garten gestal­ten ließ, dem Urgroß­vater Friedrich Wil­helm, der mit dem Aus­bau der Res­i­denz Pots­dam begann, dem Groß­vater Friedrich I., der das Berlin­er Schloß mit höch­stem Anspruch umbaute, die Baukun­st in Preußen auf römis­ches Niveau hob. Und dann beim Vater, dem gern sein­er ver­meintlichen Kul­tur­losigkeit wegen Gescholte­nen. Zu Unrecht. Dieser wahre König Preußens schuf, wo es ihm die Rekul­tivierung des durch die Pest ver­wüsteten (Ost-)Preußens, der Auf­bau des Schul­we­sens, die Schaf­fung eines gerechteren Steuer­sys­tems, der Umbau des Heeres zur Sicherung der unsicheren Gren­zen erlaubte, mit zahlre­ichen Kirchen, darunter der ele­gan­ten Gar­nisonkirche zu Pots­dam, sowie den Stadter­weiterun­gen Pots­dams und Berlins eine schlicht-for­mvol­len­dete Kun­st, die dem Wesen seines Staates gemäß war.

Der Sohn, Friedrich II., jen­er König, von dem gesagt wurde, daß »alle seine Einzel­hand­lun­gen… ideen­re­ich, geistvoll und sin­ner­füllt waren« (Egon Friedell), kon­nte sich dann in  außergewöhn­lichem Maße der Kun­st zuwen­den, nicht nur in seinem Som­mer­schlößchen. Denn Sanssouci ste­ht nicht für sich allein. Wer von sein­er Höhe hinüber­sieht zur Neuen Kam­mer und Bilder­ga­lerie, wer die Ter­rasse­nan­lage hin­ab­steigt und durch die weite Achse dem Neuen Palais ent­ge­gen­blickt, dem wird das Wesen dieses Königs bewußt, der die Welt um sich wohlgestal­tet sehen wollte, auch die Oper in Berlin, das Palais seines Brud­ers Hein­rich (heute Hum­boldt-Uni­ver­sität zu Berlin), die große Bib­lio­thek, die Bürg­er­häuser bei­der Res­i­den­zstädte. Und wiederum verbinden sich diese Werke mit den Schöp­fun­gen all der Nach­fol­ger Friedrichs des Großen: mit Friedrich Wil­helms II. neuem Garten mit Mar­mor­palais und Blick über die weite Havel­land­schaft zur Pfauenin­sel oder dem Bran­den­burg­er Tor, mit Friedrich Wil­helm IV., der Preußen mit Ital­ien ver­band, das gedanken­re­iche Schlößchen Char­lot­ten­hof schuf, die weitaus­greifende Orangerie, und dessen Vor­bild zahlre­iche Bürg­er mit ihren Villen fol­gten, die bis heute auf einzi­gar­tige Weise zumin­d­est noch Pots­dam prä­gen. Schließlich fügte sich noch kurz vor dem Ersten Weltkrieg das kro­n­prin­zliche Schloß Cecilien­hof – in wohlge­merkt englis­chem Stil – dem For­men­re­ich­tum Preußens ein: jenes Schloß, in dem die Alli­ierten 1945 glaubten, Aufteilung und Ende Preußens besiegeln zu kön­nen.

Es gibt viele Rokokoschlößchen, zahllose prächtigere Schloßan­la­gen, hier aber verbindet sich ein beson­der­er Geist, eine Hal­tung mit den Bauw­erken. Geschaf­fen von einem Staat, der ständig gegen innere Unbilden oder äußere Bedro­hun­gen ankämpfte, der acht­sam bleiben mußte, um nicht unterzuge­hen – wie etwa der östliche Nach­bar schließlich unterg­ing –, der seine sozialen Auf­gaben nicht über Prunk­sucht ver­gaß, dem keine Rohstoffe zur Ver­fü­gung standen, kein Welthandel, und der wed­er seine Unter­ta­nen noch Kolonien aus­beutete, und dem es den­noch gelang, aus der Sand­büchse des Reich­es eine der reich­sten Kul­tur­land­schaften Europas zu for­men. In jed­er Notzeit erneut. Noch in den schw­er­sten Lagen blieb unge­brochen der Wille zum Wieder­auf­bau, zu Schön­heit und nicht zulet­zt zu heute nut­z­los erachteter geistiger Bil­dung, so als in den Schle­sis­chen Kriegen mit den Pla­nun­gen für die Anlage Sanssoucis begonnen wurde, unter der napoleonis­chen Besatzung die Grün­dung der Berlin­er Uni­ver­sität erfol­gte (1810) oder im Ersten Weltkrieg der Wieder­auf­bau Ost­preußens eine ganze Land­schaft neu formte.

Sanssouci ist Preußens geistige Kro­ne, es ist das heit­ere, som­mer­liche Ide­al Preußens, hier vere­ini­gen sich Staats- und Ver­wal­tungskun­st, Bild­hauerei, Malerei, Philoso­phie, Musik in ein­er einzi­gen Per­son, in einem einzi­gen Bauw­erk, hier zeigt sich, zu welch­er Schön­heit und Höhe sich ein geord­neter Staat auf­schwin­gen kann.

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Lit­er­atur:

  • Johannes Bro­nisch: Der Kampf um Kro­n­prinz Friedrich, Berlin 2011
  • Hans-Joachim Giers­berg: Schloß Sanssouci. Die Som­mer­res­i­denz Friedrichs des Großen, Berlin 2005
  • Hans-Joachim Kadatz: Kno­bels­dorff. Baumeis­ter Friedrichs des Großen, Leipzig 1998
  • Friedrich Mielke: Pots­damer Baukun­st – Das klas­sis­che Pots­dam, Frank­furt a. M./Berlin 1991