Seelower Höhen: Brandenburg, 70 km östlich vom Berliner Stadtzentrum

Der Wehrma­cht­bericht vom 18. April 1945 meldete: »Auf 100 Kilo­me­ter Bre­ite schlu­gen unsere tapfer­en Divi­sio­nen … die an Men­schen und Mate­r­i­al weit über­lege­nen Bolschewis­ten ab. Feindliche Ein­brüche südlich Frank­furt, bei­der­seits Seelow und südlich Wriezen wur­den in Gege­nan­grif­f­en abgeriegelt.« Einen Tag später hieß es: »Die bei­der­seits Seelow bis östlich Müncheberg vorge­drun­genen Bolschewis­ten wur­den durch sofor­tige Gegen­stöße abgeriegelt. Südlich Wriezen bracht­en unsere Panz­er den angreifend­en Geg­n­er nach harten Kämpfen zum Ste­hen.«

Tat­säch­lich hat­te am 16. April 1945 um 5 Uhr früh die größte Schlacht auf deutschem Boden begonnen, genan­nt »Berlin­er Oper­a­tion«. Die sow­jetis­che 1. Belorus­sis­che Front unter Marschall Geor­gi Schukow war an der Oder ange­treten, um den Sturm auf die feindliche Haupt­stadt vorzu­bere­it­en. Zen­traler Kriegss­chau­platz waren dabei die Seelow­er Höhen. Dieser auf der Ost­bran­den­bur­gis­chen Plat­te sich bis zu 90 Meter über dem Oder­tal erhebende Höhen­zug bildete den II. Vertei­di­gungsstreifen der deutschen Wehrma­cht, die »Wotan-Stel­lung«, vor Berlin. Diese Lin­ie zog sich über Anger­münde, Bad Freien­walde und Wriezen bis zum märkischen Städtchen Seelow hin. Sie lag 15 bis 20 Kilo­me­ter hin­ter der ersten Lin­ie und bestand aus  Panz­er­ab­wehrgräben, Pak-Stel­lun­gen sowie einem aus­gedehn­ten Netz von Gräben und Bunkern. Die strate­gis­che Bedeu­tung des Raumes um Seelow lag vor allem darin, daß in ihm alle Zugänge
zur deutschen Haupt­stadt lagen.

Die Vertei­di­ger der Höhen, vor­rangig die 9. Armee unter Gen­er­al Theodor Busse, das LVI. Panz­erko­rps unter Gen­er­al Hel­muth Wei­dling sowie das XI. SS-Panz­erko­rps unter Ober­grup­pen­führer Matthias Klein­heis­terkamp, waren den Angreifern zahlen­mäßig weit unter­legen. Die Sow­jets kon­nten eine Mil­lion Sol­dat­en gegen 100 000 auf­bi­eten; 3 155 Panz­er standen gegen 512 und 16 935 Geschütze gegen 844. Trotz­dem erre­ichte Schukow nicht die erwarteten Fortschritte. Mit einem der­art zähen Wider­stand der Deutschen hat­te nie­mand gerech­net. Der Marschall griff zu sein­er üblichen Holzham­mer­meth­ode und set­zte schon am 17. April alle bei­den Panz­er­armeen ein, die in dem ungün­sti­gen Gelände mit Stei­gun­gen bis zu 35 Grad hor­rende Ver­luste erlit­ten. Ursprünglich soll­ten die Panz­erver­bände erst nach dem Durch­bruch der deutschen Vertei­di­gung eine schnelle zan­gen­för­mige Umfas­sung Berlins vornehmen.

Schukows Front ver­lor inner­halb von zwei Tagen 727 Panz­er, das entsprach 23 Prozent der ein­satzfähi­gen Fahrzeuge. Am 19. April gelang der sow­jetis­chen 8. Gardearmee ein Vorstoß durch die Wotan-Lin­ie bei Müncheberg. Während der viertägi­gen Schlacht um die Seelow­er Höhen waren 33 000 Rotarmis­ten ums Leben gekom­men. Die Deutschen hat­ten etwa 12 000 Gefal­l­ene zu bekla­gen.

Unmit­tel­bar nach der Eroberung Berlins erteilte Marschall Schukow den Befehl, zur Erin­nerung »an den ruh­mvollen Weg unser­er Trup­pen« mehrere Denkmale auf deutschem Boden zu erricht­en. In Seelow wurde ein solch­es Denkmal am 27. Novem­ber 1945 eingewei­ht; ver­bun­den war es mit einem sow­jetis­chen Sol­daten­fried­hof für 66 Gefal­l­ene. Ein Jahr später wurde
eine bronzene, vier Meter hohe Plas­tik des Bild­hauers Lew Ker­bel aufgestellt. Die notwendi­gen Erdar­beit­en führten von den sow­jetis­chen Besatzern aufgestellte Arbeit­skom­man­dos durch, in denen bis zu 80 deutsche Frauen und Män­ner ohne Bezahlung arbeit­en mußten.

Am 27. Dezem­ber 1972 fand unter großem pro­pa­gan­dis­tis­chen Aufwand die Ein­wei­hung der »Gedenkstätte der Befreiung auf den Seelow­er Höhen« statt. Laut offiziellem Pro­gramm sollte sie kün­den »von den helden­haften Opfern, welche die Erstür­mung der Seelow­er Höhen im Früh­jahr 1945 kostete«. Opfer wohlge­merkt der Sow­jets. Das deutsche Volk wurde in der Ausstel­lung entwed­er als anonymer »Faschist«, als kom­mu­nis­tis­ch­er Wider­stand­skämpfer oder als irrgeleit­eter Söld­ner hingestellt. Für die Ange­höri­gen der Wehrma­cht fand man kein Wort des Gedenkens. Das Muse­um ist noch heute innen wie außen jen­em Bunker im Oder-Städtchen Reitwein nachemp­fun­den, vom dem aus Marschall Schukow 1945 seine Armeen führte. Auf ein­er 80 Quadrat­meter großen Fläche illus­tri­erten Infor­ma­tion­stafeln, Mod­elle, Waf­fen, Uni­for­men und Doku­mente die Schlacht und deren Fol­gen.

Das Geschehen wurde nur aus sow­jetis­ch­er Per­spek­tive betra­chtet. Ein Groß­dio­ra­ma mit auss­chließlich deutschen zer­störten Waf­fen sollte den Kampfver­lauf darstellen. Als im April 1985 eine neugestal­tete und baulich erweit­erte Gedenkstätte der Öffentlichkeit präsen­tiert wurde, blieb der poli­tis­che Auf­trag unverän­dert. Die Expo­si­tion stellte den Helden der Sow­je­tu­nion weit­er­hin die Deutschen als Gefol­gsleute ein­er ver­brecherischen Führung gegenüber. Ein­er­seits wurde die Rote Armee glo­ri­fiziert, ander­er­seits die Bewohn­er der DDR von jed­er Schuld am Nation­al­sozial­is­mus freige­sprochen.

Die Neueröff­nung der Ausstel­lung im Muse­um 1995 zeigt ein Bemühen um mehr Objek­tiv­ität. Eine Gedenk­tafel informiert über die Lage der Trup­pen am 16. April 1945, und ein kleines Schild nen­nt die Zahl der getöteten Sol­dat­en der Roten Armee und der deutschen Wehrma­cht. Das Gräber­feld beste­ht nach wie vor nur aus den 1945 beige­set­zten 66 Rotarmis­ten sowie einem durch Umbet­tung ent­stande­nen Teil. Auf dem Plateau befind­en sich die Über­reste von ins­ge­samt 198 Sow­jet­sol­dat­en.

Jährlich besuchen Ange­hörige der ehe­ma­li­gen 20. Panz­er­grenadier­di­vi­sion, die Seelow und das Vor­feld vertei­digten, den deutschen Sol­daten­fried­hof in Liet­zen. Sie leg­en nicht nur dort einen Kranz nieder, son­dern auch einen am Ehren­mal im benach­barten Seelow. Auf der linken Kranzschleife ste­ht tra­di­tionell: »Unserem ehe­ma­li­gen tapfer­en mil­itärischen Geg­n­er.«

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Lit­er­atur:

  • Gedenkstätte Seelow­er Höhen. Vom Schlacht­feld zum Erin­nerung­sort. Offizieller Führer, Seelow 2013
  • Gerd-Ulrich Her­rmann: Das Kriegsende 1945. Berichte, Ereignisse und Aufze­ich­nun­gen von den Kämpfen um die Seelow­er Höhen, Berlin 2010