Kempowski, Walter, Schriftsteller, 1929–2007

Der Schrift­steller Wal­ter Kem­pows­ki wurde bekan­nt als Ver­fass­er von Roma­nen, Tage­büch­ern und des col­lagear­ti­gen Geschichtswerks Echolot. Geboren am 29. April 1929 entstammte er ein­er wohlhaben­den Reed­er- und Kauf­manns­fam­i­lie aus der meck­len­bur­gis­chen Hafen­stadt Ros­tock. Er besuchte das Gym­na­si­um und wurde während des Krieges als Luft­waf­fen­helfer einge­set­zt. Sein Vater, ein Offizier der Reserve, fiel Ende April 1945 in Ost­preußen. Der sow­jetis­che Ein­marsch in Ros­tock bere­it­ete der bürg­er­lichen Exis­tenz der Fam­i­lie das endgültige Aus. Kem­pows­ki arbeit­ete als Lehrling in ein­er Druck­erei. Gemein­sam mit seinem Brud­er doku­men­tierte er die sow­jetis­chen Demon­ta­gen und leit­ete die Infor­ma­tio­nen an die Amerikan­er weit­er. 1948 verurteilte ihn ein sow­jetis­ches Mil­itär­tri­bunal dafür zu 25 Jahren Zuchthaus, von denen er acht absaß. Unter physis­chen Qualen bezichtigte er seine Mut­ter fälschlich der Mitwisser­schaft, worauf sie eben­falls mehrere Jahre inhaftiert wurde. Für Kem­pows­ki bedeutete das ein leben­langes Trau­ma.

Nach der Haf­tent­las­sung ging er in die Bun­desre­pub­lik und studierte Päd­a­gogik in Göt­tin­gen. Seit 1965 war er Dorf­schullehrer in Nar­tum (Kreis Rotenburg/ Wümme), wo er bis zum Schluß lebte. Sein Wohn­haus „Kreien­hoop“ baute er zu einem großen Archiv für biographis­che Doku­mente – Tage­büch­er, Briefe, Fotografien, Berichte usw. – aus, die ihm Men­schen aus allen Bevölkerungss­chicht­en über­ließen. Teile davon gin­gen in sein Echolot-Pro­jekt ein. Sein lit­er­arisches Debüt erlebte er 1969 mit dem Haft­bericht Der Block. Einem bre­it­en Pub­likum wurde er mit dem mehrbändi­gen, zwis­chen 1971 und 1984 erschiene­nen Romanzyk­lus Deutsche Chronik bekan­nt, der aus sein­er Fam­i­liengeschichte schöpft und teil­weise ver­filmt wurde. Er erzählt die Geschichte und Tragödie ein­er bürg­er­lichen Fam­i­lie vom Kaiser­re­ich bis in die frühe Bun­desre­pub­lik.

Die Lit­er­aturkri­tik hob Kem­powskis Detail­treue und den hohen Wieder­erken­nungswert sein­er Milieuschilderun­gen her­vor. Zur Pop­u­lar­ität sein­er Büch­er trug weit­er­hin bei, daß sie sich von poli­tis­ch­er Belehrung frei­hal­ten, die den deutschen Nachkriegsro­man typ­is­cher­weise durchzieht. Das massen­hafte Arrange­ment mit dem Nation­al­sozial­is­mus erscheint nicht als Aus­druck divers­er Patholo­gien, son­dern als eine Vari­ante der „Con­di­tio humana“: als vor­wiegend unpoli­tisch motiviert­er Ver­such, mit den Umstän­den, in die man gestellt ist, zurechtzukom­men und ihnen Pos­i­tives abzugewin­nen. Die moralis­che Frag­würdigkeit offen­bart sich dabei im hin­ter­gründi­gen, jedoch nie ver­let­zen­den Humor des Autors. Auch in sein­er Hal­tung zur „deutschen Frage“ und in seinem Unmut über ein dominieren­des linksin­tellek­tuelles Milieu unter­schied Kem­pows­ki sich von den Autoren der Gruppe 47. So blieb er, obwohl zu einem der meist­ge­le­se­nen Schrift­steller und zum „Volks­dichter“ (so Bun­de­spräsi­dent Horst Köh­ler in Kem­powskis Todes­jahr) avancierte, unter Kol­le­gen und inner­halb des Kul­turbe­triebs bis in die 1990er Jahre weit­ge­hend isoliert. Die für den Büch­n­er-Preis zuständi­ge Jury hat ihn zeitlebens ignori­ert.

Die Anerken­nung der großen Feuil­letons fand er endlich durch die Echolot-Bände, in denen er Texte unter­schiedlich­er Art und Herkun­ft aus der Zeit des Zweit­en Weltkriegs zu einem großen Zeit­gemälde mon­tierte. Beach­tung ver­di­enen auch seine Tage­büch­er, die einen schar­fen Seit­en­blick auf den Lit­er­atur- und Medi­en­be­trieb erlauben. Der umfan­gre­iche Biogra­phien-Nach­laß ging an die Akademie der Kün­ste in Berlin, die 2007 in ihren Räu­men am Paris­er Platz zu seinen Ehren eine große Ausstel­lung ver­anstal­tet hat­te. Wegen sein­er tödlichen Erkrankung kon­nte er nicht mehr anreisen; den­noch bere­it­ete sie ihm eine große Genug­tu­ung. In sein­er Geburtsstadt Ros­tock gibt es ein weit­eres Kem­pows­ki-Archiv. Sein Wohn­haus in Nar­tum wurde von ein­er Stiftung über­nom­men, die es als Begeg­nungsstätte erhal­ten will.

Wal­ter Kem­pows­ki starb am  5. Okto­ber 2007 in Roten­burg an der Wümme.

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Zitat:

Das stört mich übri­gens auch an Klaus und Eri­ka Mann, dies Protzen mit der GI-Uni­form. Und: „Ihr Deutschen.“ Und Döblin! Nach dem Krieg hier in franzö­sis­ch­er Uni­form aufzukreuzen! Da ist mir Oskar Maria Graf sym­pa­this­ch­er, der nach Moskau zum Schrift­stellerkon­greß in Leder­ho­sen fuhr. „Wir Deutschen.“

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Schriften:

  • Im Block. Ein Haft­bericht, Rein­bek 1969
  • Tadel­lös­er & Wolff. Ein bürg­er­lich­er Roman, 1971
  • Haben Sie Hitler gese­hen? Deutsche Antworten. Mit einem Nach­wort von Sebas­t­ian Haffn­er, 1973
  • Aus großer Zeit. Roman, 1978
  • Hund­stage. Roman, 1988
  • Sir­ius. Eine Art Tage­buch, 1990
  • Mark und Bein, Roman 1992
  • Das Echolot. Ein kollek­tives Tage­buch. Jan­u­ar und Feb­ru­ar 1943, 1993
  • Das Echolot. Fuga Furiosa. Ein kollek­tives Tage­buch Win­ter 1945, 1999
  • Das Echolot. Bar­barossa ’41. Ein kollek­tives Tage­buch, 2002
  • Let­zte Grüße. Roman, 2003
  • Das Echolot. Abge­sang ’45. Ein kollek­tives Tage­buch, 2005
  • Hamit. Tage­buch 1990, 2006
  • Alles umson­st. Roman, 2006
  • Som­nia. Tage­buch 1991, 2008
  • Lang­mut. Gedichte, 2009 (Erschei­n­ung­sort jew­eils München)

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Lit­er­atur:

  • Heinz Lud­wig Arnold (Hrsg.): Wal­ter Kem­pows­ki, München 2006
  • Volk­er Hage: Wal­ter Kem­pows­ki. Büch­er und Begeg­nun­gen, München 2009
  • Dirk Hempel: Wal­ter Kem­pows­ki. Eine bürg­er­liche Biogra­phie, München 2004
  • Ger­hard Hen­schel: Da mal nach­hak­en: Näheres über Wal­ter Kem­pows­ki, München 2010