Der Schriftsteller Walter Kempowski wurde bekannt als Verfasser von Romanen, Tagebüchern und des collageartigen Geschichtswerks Echolot. Geboren am 29. April 1929 entstammte er einer wohlhabenden Reeder- und Kaufmannsfamilie aus der mecklenburgischen Hafenstadt Rostock. Er besuchte das Gymnasium und wurde während des Krieges als Luftwaffenhelfer eingesetzt. Sein Vater, ein Offizier der Reserve, fiel Ende April 1945 in Ostpreußen. Der sowjetische Einmarsch in Rostock bereitete der bürgerlichen Existenz der Familie das endgültige Aus. Kempowski arbeitete als Lehrling in einer Druckerei. Gemeinsam mit seinem Bruder dokumentierte er die sowjetischen Demontagen und leitete die Informationen an die Amerikaner weiter. 1948 verurteilte ihn ein sowjetisches Militärtribunal dafür zu 25 Jahren Zuchthaus, von denen er acht absaß. Unter physischen Qualen bezichtigte er seine Mutter fälschlich der Mitwisserschaft, worauf sie ebenfalls mehrere Jahre inhaftiert wurde. Für Kempowski bedeutete das ein lebenlanges Trauma.
Nach der Haftentlassung ging er in die Bundesrepublik und studierte Pädagogik in Göttingen. Seit 1965 war er Dorfschullehrer in Nartum (Kreis Rotenburg/ Wümme), wo er bis zum Schluß lebte. Sein Wohnhaus „Kreienhoop“ baute er zu einem großen Archiv für biographische Dokumente – Tagebücher, Briefe, Fotografien, Berichte usw. – aus, die ihm Menschen aus allen Bevölkerungsschichten überließen. Teile davon gingen in sein Echolot-Projekt ein. Sein literarisches Debüt erlebte er 1969 mit dem Haftbericht Der Block. Einem breiten Publikum wurde er mit dem mehrbändigen, zwischen 1971 und 1984 erschienenen Romanzyklus Deutsche Chronik bekannt, der aus seiner Familiengeschichte schöpft und teilweise verfilmt wurde. Er erzählt die Geschichte und Tragödie einer bürgerlichen Familie vom Kaiserreich bis in die frühe Bundesrepublik.
Die Literaturkritik hob Kempowskis Detailtreue und den hohen Wiedererkennungswert seiner Milieuschilderungen hervor. Zur Popularität seiner Bücher trug weiterhin bei, daß sie sich von politischer Belehrung freihalten, die den deutschen Nachkriegsroman typischerweise durchzieht. Das massenhafte Arrangement mit dem Nationalsozialismus erscheint nicht als Ausdruck diverser Pathologien, sondern als eine Variante der „Conditio humana“: als vorwiegend unpolitisch motivierter Versuch, mit den Umständen, in die man gestellt ist, zurechtzukommen und ihnen Positives abzugewinnen. Die moralische Fragwürdigkeit offenbart sich dabei im hintergründigen, jedoch nie verletzenden Humor des Autors. Auch in seiner Haltung zur „deutschen Frage“ und in seinem Unmut über ein dominierendes linksintellektuelles Milieu unterschied Kempowski sich von den Autoren der Gruppe 47. So blieb er, obwohl zu einem der meistgelesenen Schriftsteller und zum „Volksdichter“ (so Bundespräsident Horst Köhler in Kempowskis Todesjahr) avancierte, unter Kollegen und innerhalb des Kulturbetriebs bis in die 1990er Jahre weitgehend isoliert. Die für den Büchner-Preis zuständige Jury hat ihn zeitlebens ignoriert.
Die Anerkennung der großen Feuilletons fand er endlich durch die Echolot-Bände, in denen er Texte unterschiedlicher Art und Herkunft aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs zu einem großen Zeitgemälde montierte. Beachtung verdienen auch seine Tagebücher, die einen scharfen Seitenblick auf den Literatur- und Medienbetrieb erlauben. Der umfangreiche Biographien-Nachlaß ging an die Akademie der Künste in Berlin, die 2007 in ihren Räumen am Pariser Platz zu seinen Ehren eine große Ausstellung veranstaltet hatte. Wegen seiner tödlichen Erkrankung konnte er nicht mehr anreisen; dennoch bereitete sie ihm eine große Genugtuung. In seiner Geburtsstadt Rostock gibt es ein weiteres Kempowski-Archiv. Sein Wohnhaus in Nartum wurde von einer Stiftung übernommen, die es als Begegnungsstätte erhalten will.
Walter Kempowski starb am 5. Oktober 2007 in Rotenburg an der Wümme.
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Zitat:
Das stört mich übrigens auch an Klaus und Erika Mann, dies Protzen mit der GI-Uniform. Und: „Ihr Deutschen.“ Und Döblin! Nach dem Krieg hier in französischer Uniform aufzukreuzen! Da ist mir Oskar Maria Graf sympathischer, der nach Moskau zum Schriftstellerkongreß in Lederhosen fuhr. „Wir Deutschen.“
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Schriften:
- Im Block. Ein Haftbericht, Reinbek 1969
- Tadellöser & Wolff. Ein bürgerlicher Roman, 1971
- Haben Sie Hitler gesehen? Deutsche Antworten. Mit einem Nachwort von Sebastian Haffner, 1973
- Aus großer Zeit. Roman, 1978
- Hundstage. Roman, 1988
- Sirius. Eine Art Tagebuch, 1990
- Mark und Bein, Roman 1992
- Das Echolot. Ein kollektives Tagebuch. Januar und Februar 1943, 1993
- Das Echolot. Fuga Furiosa. Ein kollektives Tagebuch Winter 1945, 1999
- Das Echolot. Barbarossa ’41. Ein kollektives Tagebuch, 2002
- Letzte Grüße. Roman, 2003
- Das Echolot. Abgesang ’45. Ein kollektives Tagebuch, 2005
- Hamit. Tagebuch 1990, 2006
- Alles umsonst. Roman, 2006
- Somnia. Tagebuch 1991, 2008
- Langmut. Gedichte, 2009 (Erscheinungsort jeweils München)
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Literatur:
- Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Walter Kempowski, München 2006
- Volker Hage: Walter Kempowski. Bücher und Begegnungen, München 2009
- Dirk Hempel: Walter Kempowski. Eine bürgerliche Biographie, München 2004
- Gerhard Henschel: Da mal nachhaken: Näheres über Walter Kempowski, München 2010