Weltanschauung

Weltan­schau­ung ist ein sehr deutsches Wort und wird in anderen Sprachen häu­fig ohne Über­set­zung ver­wen­det. Ursprünglich bedeutete es soviel wie die Fähigkeit des Men­schen, die Welt auf Begriffe zu brin­gen, später die Inte­gra­tion von Erfahrung, Beobach­tung und Erken­nt­nis in ein geistiges Ganzes, das uns Beurteilung und Wer­tung erlaubt. Regelmäßig wird betont, daß die Weltan­schau­ung aus »unser­er psy­chis­chen Total­ität« (Wil­helm Dilthey) her­vorge­ht, weshalb sie nie ganz ratio­nal begründ­bar ist, und ihr etwas Unabgeschlossenes, Prozes­suales anhaftet, was sie von Denksys­te­men – religiös­er beziehungsweise philosophis­ch­er Natur – oder ein­er ela­bori­erten wis­senschaftlichen The­o­rie unter­schei­det. Ein Dif­feren­zpunkt, der sie auch von den Ide­olo­gien als Ersatzre­li­gio­nen tren­nt, die sich seit der Aufk­lärung in man­nig­fach­er Form aus­bilde­ten.

Die Schei­delin­ie zwis­chen Weltan­schau­ung und Ide­olo­gie ist allerd­ings nie ganz klar gezo­gen, und beze­ich­nen­der­weise wurde in der NS-Zeit »Weltan­schau­ung« zum Ersatzbe­griff für das, was eigentlich Ide­olo­gie war. Hier zeigte sich auch, daß es Phasen der Geschichte gibt, in denen das Ver­lan­gen nach Weltan­schau­ung massen­haft auftritt und all­ge­mein ver­bre­it­et ist, während in ruhigeren Zeit­en dieses Bedürf­nis erlahmt oder die pri­vate Weltan­schau­ung kein Bedürf­nis nach öffentlich­er Anerken­nung beziehungsweise Abgle­ich mit den vorherrschen­den Überzeu­gun­gen ken­nt.

Dieser Hin­ter­grund erk­lärt hin­re­ichend den Vor­be­halt der kon­ser­v­a­tiv­en Seite gegenüber Begriff und Sache der Weltan­schau­ung. Die Präferenz für das Prag­ma­tis­che, das Konkrete und den Real­is­mus führen hier zu der Annahme, daß man ein­er Weltan­schau­ung entrat­en könne, daß man im Gegen­satz vor allem zur Linken keine – ide­ol­o­gis­chen – Krück­en brauche, um die Wirk­lichkeit zu erken­nen. Diese Auf­fas­sung zeugt entwed­er von ein­er Ori­en­tierung am Pos­i­tivis­mus, der dem Kon­ser­v­a­tiv­en von Hause fremd ist, oder von ein­er gewis­sen Naiv­ität, die ihrer­seits als Aus­druck »natür­lich­er Weltan­schau­ung« (Max Schel­er) betra­chtet wer­den kann, weil sie die eige­nen Auf­fas­sun­gen für selb­stver­ständlich und unhin­ter­frag­bar hält.

Dage­gen muß jede reflek­tierte Hal­tung zu der Erken­nt­nis kom­men, daß es im Men­schen ein unab­weis­bares Bedürf­nis gibt, ein möglichst voll­ständi­ges Bild von sich selb­st und dem Zusam­men­hang des Seins zu entwer­fen und daß dieses Bedürf­nis in Span­nung zur »Aspek­t­struk­tur« (Karl Mannheim) men­schlich­er Erken­nt­nis ste­ht, das heißt, daß ein voll­ständi­ges – objek­tives – Begreifen nicht möglich ist, son­dern daß das Begreifen stan­dort­be­zo­gen bleibt, ohne daß das Bedürf­nis nach Weltan­schau­ung deshalb ver­schwände.

Von hier aus erk­lärt sich auch der enge Zusam­men­hang der Weltan­schau­ung mit jedem »Legit­im­itäts­glauben« (Max Weber) und der Annahme ein­er prinzip­iell sin­nvollen Ord­nung der Welt. Die Verbindung des einen mit dem anderen bleibt sog­ar dann erhal­ten, wenn ein Sinn prinzip­iell bestrit­ten wird und eine skep­tis­che oder zynis­che Intel­li­genz sich nur mehr an der »Sin­nge­bung des Sinnlosen« (Theodor Less­ing) ver­sucht.

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Zitate:

Ehe der Denker über­haupt an die Auf­gabe der the­o­retis­chen For­mulierung her­antritt, ver­fügt er schon über einen ganzen Schatz von »Vorurteilen«, Ten­den­zen und Wert­gesicht­spunk­ten, mit­tels deren er das chao­tis­che Durcheinan­der der Außen­welt zu sicht­en tra­chtet. Das fer­tige Sys­tem ist zumeist die nachträgliche begrif­fliche Recht­fer­ti­gung des a pri­ori Gefühlten. Poli­tis­che The­o­rien sind emo­tionale Gebilde, getra­gen und gespeist vom Willen zur Wirkung.
Peter Richard Rohden

Nun ist aber der »Anti­ide­ol­o­gis­mus« schon deswe­gen falsch, weil jed­er Men­sch sein­er Natur nach ide­olo­giebedürftig ist.
Erik von Kuehnelt-Led­di­hn

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Lit­er­atur:

  • Her­mann Heller: Die poli­tis­chen Ideenkreise der Gegen­wart [1926], zulet­zt: Gesam­melte Schriften, Bd 1, Lei­den 1971
  • Karl Jaspers: Psy­cholo­gie der Weltan­schau­un­gen [1919], zulet­zt München 1994
  • Armin Mohler und Anton Peisl (Hrsg.): Kurs­buch der Weltan­schau­un­gen, Schriften der Carl Friedrich von Siemens Stiftung, Bd 4, Berlin, Frank­furt a. M. und Wien 1981
  • Peter Richard Rohden: Die weltan­schaulichen Grund­la­gen der poli­tis­chen The­o­rien, in: Paul Wentzcke (Hrsg.): Deutsch­er Staat und deutsche Parteien. Festschrift für Friedrich Mei­necke zum 60. Geburt­stag, München und Berlin 1922, S. 1–35
  • Peter Richard Rohden: Die Haupt­prob­leme des poli­tis­chen Denkens von der Renais­sance bis zur Roman­tik, Berlin 1925
  • Ernst Top­itsch und Kurt Sala­mun: Ide­olo­gie. Herrschaft des Vor-Urteils, München 1972