Wien – Stephansdom

Wenn es so etwas wie ein sakrales Herz von Öster­re­ich und ein Sym­bol sein­er Kon­ti­nu­ität gibt, dann ist das wohl der Stephans­dom zu Wien (amtlich kor­rekt: Domkirche St. Stephan zu Wien), der von den Wienern liebevoll »Stef­fl« genan­nt wird. Seine typ­is­che Sil­hou­ette ist augen­blick­lich und jed­er­mann erkennbar, und sei es nur deswe­gen, weil sie als Emblem für die seit vie­len Gen­er­a­tio­nen beliebten »Man­ner-Schnit­ten« dient. Auf alten Stichen, Holzschnit­ten und Gemälden von Wien ist der Stephans­dom, der beinah genau in der Stadt­mitte liegt, ein über die Jahrhun­derte hin­weg beständi­ges und her­ausstechen­des Erken­nungsmerk­mal. U. a. ist er bere­its deut­lich in sein­er heuti­gen Form im um 1470 ent­stande­nen Gemälde »Die Flucht nach Ägypten« des Meis­ters des Wiener Schot­tenal­tars zu erken­nen. Er gilt als das bedeu­tend­ste und schön­ste gotis­che Bauw­erk Öster­re­ichs.

Die erste Kirche am Ort des heuti­gen Stephans­domes wurde 1147 fer­tiggestellt. Zwis­chen 1230 und 1245 ent­stand das heute noch erhal­tene roman­is­che West­werk mit den bei­den »Hei­den­tür­men« und dem rund­bogi­gen, reich mit Bild­schmuck verzierten »Riesen­tor«. Nach einem Brand im Jahre 1258 fol­gten nach und nach die gotis­chen Zubaut­en. Die ver­schiede­nen Teile wer­den durch das enorme, mit bun­ten Ziegeln im Zick­za­ck­muster belegte Dach zusam­menge­faßt, das auf der Süd­seite den Dop­peladler, auf der Nord­seite die Wap­pen Wiens und der Repub­lik zeigt. Der 136 Meter hohe, dem Kirchen­schiff als sep­a­rater Teil beigestellte Süd­turm wurde 1433 vol­len­det, der Bau am Nord­turm (auch »Adler­turm«) dage­gen bere­its 1511 eingestellt.

Das Innere des Doms verbindet ein eher nüchtern gehaltenes Lang­haus mit der majestätis­chen Kathe­dral­go­tik des Chors: eine Syn­these aus dem Stil der Könige und dem Stil der Bet­tleror­den. Der Hochal­tar (1640–47) mit seinen vier Heili­gen­stat­uen aus Mar­mor stammt aus dem Früh­barock, das Altar­bild zeigt die Steini­gung des hl. Stephan, des ersten Mär­tyr­ers der Kirche. Das berühmteste Bild­w­erk ist die sech­seck­ige, spät­go­tis­che, fig­uren­re­iche Domkanzel (1510–15) des aus Brünn stam­menden Meis­ters Anton Pil­gram, der sich ver­mut­lich am unteren Teil der Treppe in einem Selb­st­porträt verewigt hat (sein Bild­nis taucht ein weit­eres Mal am Orgel­fuß auf; ob Pil­gram allerd­ings tat­säch­lich auch die Kanzel ver­ant­wortet hat, wird heute vielfach bezweifelt). Der »Fen­ster­guck­er«, eigentlich nur eine Art abschließende Sig­natur des Kün­stlers, ist die bekan­nteste und beliebteste Gestalt der Kanzel, repro­duziert auf unzäh­li­gen Nach­bil­dun­gen und Sou­venirs. Den Kanzelko­rb umgeben die vier detail­re­ich und aus­drucksstark gear­beit­eten Fig­uren, die die Kirchen­väter Augusti­nus, Hierony­mus, Papst Gre­gor den Großen und Ambro­sius von Mai­land darstellen. Rein­hold Schnei­der sah im Antlitz dieser Fig­uren die Zeichen eines geisti­gen Rin­gens: Sie seien nicht nur Büßer, son­dern auch Zwei­fler. Kröten und Eidech­sen zieren in ver­spiel­ter Weise das Gelän­der der Kanzel – die Sünde und die Ver­suchung sind auch im Haus des Her­rn ständig auf der Lauer.

Andere bedeu­tende Bild­w­erke sind ein »Zah­n­we­hher­rgott« genan­nter gotis­ch­er Schmerzens­mann (ein­mal im Orig­i­nal in der Nord­turmhalle, ein­mal als Kopie an der Außen­seite des Mit­tel­chors zu sehen), die von volk­stüm­lichen Sagen umwobene »Dien­st­boten­mut­ter­gottes« und der Mon­u­men­tal­sarkophag Kaiser Friedrichs III. Auch Rudolf der Stifter, ein­er der wichtig­sten frühen Herrsch­er Öster­re­ichs aus dem Hause Hab­s­burg, hat hier seine let­zte Ruh­estätte gefun­den. In der Savoyenkapelle find­et sich das Grab­mal des »Ret­ters von Wien«, Prinz Eugens von Savoyen. Ein Wider­standsmythos jün­geren Datums rankt sich um das denkmalgeschützte Zeichen »O5« neben dem Riesen­tor. Ursprünglich mit weißer Farbe aufge­malt, später aus Erhal­tungs­grün­den ein­ger­itzt, war dies die Erken­nungschiffre der öster­re­ichis­chen Wider­stands­be­we­gung während der NS-Herrschaft. »5« ste­ht für »E«, den fün­ften Buch­staben im Alpha­bet, »O5« = »Oe« = »Öster­re­ich« (im Gegen­satz zur poli­tis­chen Beze­ich­nung »Ost­mark«).

Im Zweit­en Weltkrieg ist der Stephans­dom trotz Bombe­nan­grif­f­en und Artilleriebeschuß weit­ge­hend intakt geblieben. In der Nacht zum 11. April 1945 bran­nten Teile des Süd­turms aus, was den Sturz sein­er größten Glocke, der »Pum­merin«, zufolge hat­te. Diese war 1711 aus den Kanonen der zweit­en Türken­be­lagerung gegossen wor­den. Nach Kriegsende war die Wieder­her­stel­lung des Stephans­doms und ins­beson­dere des Glock­en­turms und der »Pum­merin« eine der dringlich­sten Angele­gen­heit­en. »An seinem Wieder­auf­bau beteiligten sich nicht nur alle Schicht­en der öster­re­ichis­chen Bevölkerung, son­dern auch viele einzelne Gemein­den, alle Bun­deslän­der, ja selb­st der Staat«, schrieb der öster­re­ichis­che Schrift­steller Willy Lorenz. »Der Dom ist im wahren Sinn des Wortes ein gesamtöster­re­ichis­ches Gesamtkunst­werk, eine Kirche, die ganz Öster­re­ich gehört.« Am 27. April 1952 wurde die neue Glocke, die drittgrößte West- und Mit­teleu­ropas, zum ersten­mal geläutet. Sei­ther erklingt ihr dun­kler, schick­salss­chw­er­er Ton pünk­tlich zur Mit­ter­nacht des Jahreswech­sels im öster­re­ichis­chen Radio, gefol­gt vom Donauwalz­er des Johann Strauss.

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Lit­er­atur:

  • 850 Jahre St. Stephan. Sym­bol und Mitte in Wien 1147–1997, Wien 1997
  • Karin Domany/Johann Hisch (Hrsg.): Der Stephans­dom. Ori­en­tierung und Sym­bo­l­ik, Wien 2010
  • Kurt Klaudy: Das Wer­den Wiens und seines Stephans­doms. Neues Licht zur his­torischen Wis­senschaft, Frank­furt a. M. 2004