Stählin, Wilhelm — Theologe, 1883–1975

Wil­helm Stäh­lin, geboren am 24. Sep­tem­ber 1883 in Gun­zen­hausen als elftes Kind des Pfar­rers und Indi­en­mis­sion­ars Wil­helm Stäh­lin, studierte zwis­chen 1901 und 1905 The­olo­gie in Erlan­gen, Ros­tock und Berlin, wo ihn Har­nack beson­ders prägte. Er stand zunächst der lib­eralen The­olo­gie nahe und lernte in Nürn­berg die Predi­ger Chris­t­ian Gey­er und Friedrich Rit­telmey­er, den späteren Begrün­der der anthro­posophis­chen Chris­tenge­mein­schaft, ken­nen. Die Ordi­na­tion wurde durch die von Stäh­lin einge­s­tande­nen Schwierigkeit­en, das Apos­tolicum anzuerken­nen, verzögert. Ein vier­monatiger Eng­lan­daufen­thalt 1908 wirk­te vor allem im Blick auf die Laien­ar­beit und die gemeindliche Prax­is auf ihn. Er nahm Vikari­ats- und Pfarrstellen im Fränkischen wahr, 1917 wurde er zweit­er Pfar­rer der Nürn­berg­er Loren­zkirche und machte sich als her­aus­ra­gen­der Predi­ger einen Namen.

Pro­moviert wurde er 1913 in Würzburg bei Oswald Külpe mit ein­er reli­gion­spsy­chol­o­gis­chen Arbeit über Psy­cholo­gie und Sta­tis­tik der Meta­phern. Seit 1922 war er Leit­er des Bun­des Deutsch­er Jugend­vere­ine und zugle­ich ein­er der maßge­blichen geisti­gen Führer der Jugend­be­we­gung. Er wen­dete sich auch in dieser Rolle gegen die ver­bürg­er­lichte Selb­st­sicher­heit tradiert­er Kirch­lichkeit und trat Otto Dibelius’ Rede vom „Jahrhun­dert der Kirche“ ent­ge­gen. Diese Posi­tion ver­bandt ihn mit Karl Barth, auch wenn er darüber hin­aus zur Dialek­tis­chen The­olo­gie keine näheren Zug­gänge fand. Krise, Suche, aber auch Heil­shoff­nung und spir­ituelle Erneuerung der Jugend­be­we­gung hat Stäh­lin vor allem in den Schriften Fieber und Heil in der Jugend­be­we­gung (1921) und Schick­sal und Sinn der deutschen Jugend (1926) for­muliert. 1925 wurde Stäh­lin, auch auf­grund seines Engage­ments in der Jugend­be­we­gung, auf einen Lehrstuhl für Prak­tis­che The­olo­gie in Mün­ster berufen. Dort lehrte er bis 1945; zwis­chen 1945 und 1952 war er Bischof in Old­en­burg. Stäh­lin gehörte zunächst der Beken­nen­den Kirche an, ver­weigerte sich aber nicht der Mitwirkung im akademis­chen Prü­fungsver­fahren der Deutschen Chris­ten.

1923 began­nen die Berneuch­en­er Kon­feren­zen, aus denen 1931 die Grün­dung der Michaels­brud­er­schaft her­vorg­ing, eine umfassende Kirchen­re­form­be­we­gung, die allerd­ings bei der litur­gis­chen Erneuerung anset­zte. Das Berneuch­en­er Buch (zusam­men mit Lud­wig Heit­mann und Karl Bern­hard Rit­ter) entwick­elt jedoch ein umfassenderes kirchen­re­formerisches Pro­fil, das auch weit auf soziale und kyber­netis­che (gemeindliche) Verän­derun­gen zielt. Ger­ade die litur­gis­che Re-for­ma­tio und die For­mge­bung des Gottes­di­en­stes als Eucharistie und Liturgie stieß während der Bischof­szeit von Stäh­lin auf mas­sive Wider­stände. Sie ver­bandt sich mit einem stark öku­menis­chen Engage­ment, unter anderem im Zusam­men­hang der Abendländis­chen Akademie, aber auch schon auf den öku­menis­chen Kon­feren­zen von Stock­holm (1925), Cam­bridge (1931) und dann Lund (1952). 1946 war Stäh­lin Grün­dungsmit­glied des „Öku­menis­chen Arbeit­skreis­es evan­ge­lis­ch­er und katholis­ch­er The­olo­gen“.

Nach der Pen­sion­ierung übte Stäh­lin eine rege Vor­tragstätigkeit aus, er ver­fasste die viel­ge­le­sene Auto­bi­ogra­phie Via vitae (1968), die eine erstrangige Quelle der Kirchenkampfzeit ist und arbeit­ete fünf umfan­gre­iche Bände Predigthil­fen aus. Ein­er bre­it­en Öffentlichkeit wurde er als Sprech­er des Wortes zum Son­ntag bekan­nt.

Stäh­lin wirk­te primär durch das gesprochen Wort. Geistige und geistliche Erneuerung hat­te für ihn im Gottes­di­enst ihre Mitte. Gegen Ende sein­er Pro­fes­soren­tätigkeit zweifelte er aus­drück­lich an der akademis­chen The­olo­ge­naus­bil­dung und set­zte mögliche brud­er­schaftliche Konzep­tio­nen dage­gen. Leib­lichkeit und ihre Heili­gung wurde für Stäh­lin zum Sym­bol­on für den Zusam­men­hang von Men­sch und Gott, und Kirche als umfassen­dem ‚mys­teri­um salutis’. Der Leitgedanke der Jugend­be­we­gung, nicht zulet­zt von Niet­zsche inspiri­ert, prägte diese Über­legun­gen. Spir­ituelle Impulse und der Geist der bündis­chen Jugend­be­we­gung gehen bei Stäh­lin so eine bemerkenswerte Syn­these ein, die sich in den wech­sel­nden Zeitläuften unter­schiedlich bewährte.

Wil­helm Stäh­lin ver­starb am 16. Dezem­ber 1975 in Prien am Chiem­see.

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Zitat:

Eine Kirche, die der Sprech­saal unverbindlich­er Mei­n­un­gen oder der feier­liche Rah­men für die Mode­mei­n­ung des Tages ist, wird von nie­man­dem ernst genom­men. Aber wenn es ein Geheim­nis Gottes gibt, das Wun­der, daß Gott Fleisch gewor­den ist, und selb­st das Opfer darge­bracht hat zur Erlö­sung der Welt, und wenn die Kirche der Ort ist, wo dieses Geheim­nis als gegen­wär­tige Wirk­lichkeit erfahren wird, dann ist das Dasein dieser Kirche das Wichtig­ste und Aufre­gend­ste, Tröstlich­ste und Verpflich­t­end­ste, was es in der Welt geben kann.

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Schriften:

  • Zur Psy­cholo­gie und Sta­tis­tik der Meta­phern. Eine method­ol­o­gis­che Unter­suchunge, Leipzig/Berlin 1913
  • Jesus und die Jugend, Wülfin­gerode-Soll­st­edt 1921
  • Fieber und Heil in der Jugend­be­we­gung, Ham­burg 1921
  • Die völkische Bewe­gung und unsere Ver­ant­wor­tung, Wülfin­gerode-Soll­st­edt 1924
  • Schick­sal und Sinn der deutschen Jugend, Wüflingerode-Soll­st­edt 1926
  • Vom Sinn des Leibes, Stuttgart 1930
  • Vom göt­tlichen Geheim­nis, Kas­sel 1936
  • Predigthil­fen. 5 Bde, Kas­sel 1958–1971
  • Sym­bol­on. Gesam­melte Auf­sätze, 4 Bde, Stuttgart 1958–1980
  • Vita vitae. Lebenserin­nerun­gen, Kas­sel 1968
  • Let­zte Predigten, Stuttgart 1976

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Lit­er­atur:

  • Michael Mey­er-Blanck: Leben, Leib und Liturgie. Die Prak­tis­che The­olo­gie Wil­helm Stäh­lins, Berlin/ New York 1994
  • Erich Nestler: Der Beitrag Wil­helm Stäh­lins zur Jugend­be­we­gung, Lauf 1986
  • Kos­mos und Ekkle­sia. Festschrift für Wil­helm Stäh­lin zu seinem siebzig­sten Geburt­stag, hrsg. von Hans-Diet­rich Wend­land, Kas­sel 1953