Martini, geboren am 4. Juni 1905 in Hannover, besuchte ein humanistisches Gymnasium und absolvierte parallel zum Schulbesuch eine kaufmännische Lehre. Nach dem Abitur nahm er vorübergehend eine Tätigkeit in der elterlichen Fabrik in Salzkotten bei Paderborn auf, verließ dann aber den Betrieb und studierte in der Folgezeit acht Semester Jura an den Universitäten Frankfurt am Main und Berlin. Seit 1933 arbeitete er als Journalist. Zwischen 1935 und 1937 war er Nahostkorrespondent der Deutschen Allgemeinen Zeitung in Jerusalem. In dieser Zeit versuchte Martini eine Dissertation über den „Arierparagraphen“ abzuschließen, was aber mißlang; während ihm ein lebenslanges Interesse für die Region (und ein prinzipielles Wohlwollen für die jüdische Sache) erhalten blieb. Anschließend arbeitete er bis 1940 in der Rüstungsindustrie und im Auswärtigen Amt. Von 1941 bis 1943 berichtete Martini für die „Vereinigten Auslands-Pressedienste“ (VERA) aus Stockholm. Seine hinter den Berichten deutlich werdende politische Einstellung führte im Juli 1943 zu einem Berufsverbot. Im September 1944 wurde Martini noch zur Wehrmacht eingezogen und geriet bei Kriegsende in amerikanische Kriegsgefangenschaft.
Er wurde allerdings schon 1945 entlassen, galt auf Grund seiner Schwierigkeiten in der NS-Zeit als „unbelastet“ und konnte sofort wieder als Journalist für verschiedene Zeitungen arbeiten, außerdem nahm er eine Tätigkeit als Radiokommentator auf. Martini gehörte zu den konservativen Erfolgsautoren der frühen Bundesrepublik. Seine Artikel erschienen in der gesamten bürgerlichen Presse (vor allem Christ und Welt sowie Die Welt), seine Bücher Das Ende aller Sicherheit (1954) und Die Lebenserwartung der Bundesrepublik (1960) erreichten hohe Auflagen und wurden breit diskutiert, obwohl er auch vor einer prononcierten Demokratiekritik nicht zurückscheute (er hielt das Salazar-Regime in Portugal für ein brauchbares politisches Alternativmodell), zählte er zu den geschätzten Beratern in Bonn und zu verschiedenen einflußreichen konservativen Zirkeln, war beim Bayerischen Rundfunk etabliert und mußte von der linken und liberalen Presse zumindest zur Kenntnis genommen werden.
Was Martini einen gewissen Schutz vor allzu heftigen Attacken bot, war nicht nur das Berufsverbot während der NS-Zeit, sondern auch seine ausgesprochene Aversion gegen alles Völkische. Die hatte ihn dazu gebracht, nach 1945 eine Art „Expertise“ gegen die Ludendorff-Bewegung zu verfassen. Daß das keine Unterwerfung unter die neuerdings geltenden Sprach- und Denkregeln bedeutete, war andererseits an seinem freundschaftlichen Verhältnis zu Carl Schmitt erkennbar, der Martini außerordentlich schätzte, da er als erster in der Nachkriegszeit wieder offen auf ihn und seine politische Theorie Bezug genommen hatte.
Martinis Konservatismus hatte eine weniger nationale, eher etatistische Prägung. Daher sprach er früh von der Notwendigkeit, den Gedanken aufzugeben, daß die Bundesrepublik nur ein „Provisorium“ sei, er hielt die Integration in das westliche Bündnissystem für unumgänglich, die sowjetische Bedrohung für existenzgefährdend und jedes Gedankenspiel im Hinblick auf eine Neutralisierung für verantwortungslos. Martini verlangte die Schaffung einer Notstandsgesetzgebung lange bevor konkrete Schritte in diese Richtung unternommen wurden. Seine – kritische – Loyalität gehörte der CSU, was auch erklärt, warum er nach ‘68 nicht zum Umfeld von Criticón gehörte, sondern zum bevorzugten Autorenkreis der Zeitbühne, dann der von ihm mit herausgegebenen Epoche.
Winfried Martini verstarb am 23. Dezember 1991 in Bad Endorf.
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Zitat:
In der Krise aber wird die Irrationalisierung des Politischen, welche die Demokratie gerade aus ihren, Reformen nicht zugänglichen, Strukturprinzipien heraus steigern muß, unvermeidlich. Ich vermag z. B. nicht an die Permanenz des „deutschen Wirtschaftswunders“ zu glauben. Mich verfolgt wie ein Alpdruck die Vorstellung, was hier geschehen wird, wenn dieses „Wunder“ sich verflüchtigt: sicher wird dabei nicht eine modellgerechte Wiederholung des Dritten Reiches herausspringen, aber ebenso sicher werden die Reflexbewegungen des verzweifelten Volkssouveräns – „Wahlen“ genannt – nicht minder irrational sein, und wieder werden sie zwangsläufig die Politik bestimmen.
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Schriften:
- Die Legende vom Hause Ludendorff, Rosenheim 1949
- Das Ende aller Sicherheit. Eine Kritik des Westens, Köln 1955
- Freiheit auf Abruf. Die Lebenserwartung der Bundesrepublik, Köln 1960
- Der Sieger schreibt die Geschichte. Anmerkungen zur Zeitgeschichte, München 1991