Martini, Winfried, Journalist, 1905–1991

Mar­ti­ni, geboren am 4. Juni 1905 in Han­nover, besuchte ein human­is­tis­ches Gym­na­si­um und absolvierte par­al­lel zum Schulbe­such eine kaufmän­nis­che Lehre. Nach dem Abitur nahm er vorüberge­hend eine Tätigkeit in der elter­lichen Fab­rik in Salzkot­ten bei Pader­born auf, ver­ließ dann aber den Betrieb und studierte in der Fol­gezeit acht Semes­ter Jura an den Uni­ver­sitäten Frank­furt am Main und Berlin. Seit 1933 arbeit­ete er als Jour­nal­ist. Zwis­chen 1935 und 1937 war er Nahostko­r­re­spon­dent der Deutschen All­ge­meinen Zeitung in Jerusalem. In dieser Zeit ver­suchte Mar­ti­ni eine Dis­ser­ta­tion über den „Ari­er­para­graphen“ abzuschließen, was aber mißlang; während ihm ein lebenslanges Inter­esse für die Region (und ein prinzip­ielles Wohlwollen für die jüdis­che Sache) erhal­ten blieb. Anschließend arbeit­ete er bis 1940 in der Rüs­tungsin­dus­trie und im Auswär­ti­gen Amt. Von 1941 bis 1943 berichtete Mar­ti­ni für die „Vere­inigten Aus­lands-Presse­di­en­ste“ (VERA) aus Stock­holm. Seine hin­ter den Bericht­en deut­lich wer­dende poli­tis­che Ein­stel­lung führte im Juli 1943 zu einem Berufsver­bot. Im Sep­tem­ber 1944 wurde Mar­ti­ni noch zur Wehrma­cht einge­zo­gen und geri­et bei Kriegsende in amerikanis­che Kriegs­ge­fan­gen­schaft.

Er wurde allerd­ings schon 1945 ent­lassen, galt auf Grund sein­er Schwierigkeit­en in der NS-Zeit als „unbe­lastet“ und kon­nte sofort wieder als Jour­nal­ist für ver­schiedene Zeitun­gen arbeit­en, außer­dem nahm er eine Tätigkeit als Radiokom­men­ta­tor auf. Mar­ti­ni gehörte zu den kon­ser­v­a­tiv­en Erfol­gsautoren der frühen Bun­desre­pub­lik. Seine Artikel erschienen in der gesamten bürg­er­lichen Presse (vor allem Christ und Welt sowie Die Welt), seine Büch­er Das Ende aller Sicher­heit (1954) und Die Lebenser­wartung der Bun­desre­pub­lik (1960) erre­icht­en hohe Aufla­gen und wur­den bre­it disku­tiert, obwohl er auch vor ein­er prononcierten Demokratiekri­tik nicht zurückscheute (er hielt das Salazar-Regime in Por­tu­gal für ein brauch­bares poli­tis­ches Alter­na­tiv­mod­ell), zählte er zu den geschätzten Beratern in Bonn und zu ver­schiede­nen ein­flußre­ichen kon­ser­v­a­tiv­en Zirkeln, war beim Bay­erischen Rund­funk etabliert und mußte von der linken und lib­eralen Presse zumin­d­est zur Ken­nt­nis genom­men wer­den.

Was Mar­ti­ni einen gewis­sen Schutz vor allzu hefti­gen Attack­en bot, war nicht nur das Berufsver­bot während der NS-Zeit, son­dern auch seine aus­ge­sproch­ene Aver­sion gegen alles Völkische. Die hat­te ihn dazu gebracht, nach 1945 eine Art „Exper­tise“ gegen die Luden­dorff-Bewe­gung zu ver­fassen. Daß das keine Unter­w­er­fung unter die neuerd­ings gel­tenden Sprach- und Denkregeln bedeutete, war ander­er­seits an seinem fre­und­schaftlichen Ver­hält­nis zu Carl Schmitt erkennbar, der Mar­ti­ni außeror­dentlich schätzte, da er als erster in der Nachkriegszeit wieder offen auf ihn und seine poli­tis­che The­o­rie Bezug genom­men hat­te.

Mar­ti­nis Kon­ser­vatismus hat­te eine weniger nationale, eher etatis­tis­che Prä­gung. Daher sprach er früh von der Notwendigkeit, den Gedanken aufzugeben, daß die Bun­desre­pub­lik nur ein „Pro­vi­so­ri­um“ sei, er hielt die Inte­gra­tion in das west­liche Bünd­nis­sys­tem für unumgänglich, die sow­jetis­che Bedro­hung für exis­ten­zge­fährdend und jedes Gedanken­spiel im Hin­blick auf eine Neu­tral­isierung für ver­ant­wor­tungs­los. Mar­ti­ni ver­langte die Schaf­fung ein­er Not­stands­ge­set­zge­bung lange bevor konkrete Schritte in diese Rich­tung unter­nom­men wur­den. Seine – kri­tis­che – Loy­al­ität gehörte der CSU, was auch erk­lärt, warum er nach ‘68 nicht zum Umfeld von Crit­icón gehörte, son­dern zum bevorzugten Autorenkreis der Zeit­bühne, dann der von ihm mit her­aus­gegebe­nen Epoche.

Win­fried Mar­ti­ni ver­starb am 23. Dezem­ber 1991 in Bad Endorf.

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Zitat:

In der Krise aber wird die Irra­tional­isierung des Poli­tis­chen, welche die Demokratie ger­ade aus ihren, Refor­men nicht zugänglichen, Struk­tur­prinzip­i­en her­aus steigern muß, unver­mei­dlich. Ich ver­mag z. B. nicht an die Per­ma­nenz des „deutschen Wirtschaftswun­ders“ zu glauben. Mich ver­fol­gt wie ein Alp­druck die Vorstel­lung, was hier geschehen wird, wenn dieses „Wun­der“ sich ver­flüchtigt: sich­er wird dabei nicht eine mod­ell­gerechte Wieder­hol­ung des Drit­ten Reich­es her­aussprin­gen, aber eben­so sich­er wer­den die Reflexbe­we­gun­gen des verzweifel­ten Volkssou­veräns – „Wahlen“ genan­nt – nicht min­der irra­tional sein, und wieder wer­den sie zwangsläu­fig die Poli­tik bes­tim­men.

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Schriften:

  • Die Leg­ende vom Hause Luden­dorff, Rosen­heim 1949
  • Das Ende aller Sicher­heit. Eine Kri­tik des West­ens, Köln 1955
  • Frei­heit auf Abruf. Die Lebenser­wartung der Bun­desre­pub­lik, Köln 1960
  • Der Sieger schreibt die Geschichte. Anmerkun­gen zur Zeit­geschichte, München 1991