1803 — Der Reichsdeputationshauptschluß wird verabschiedet

Das Doku­ment, das unter dem unge­wohn­ten Namen „Reichs­dep­u­ta­tion­shauptschluß“ fir­miert, ist zunächst nichts anderes als der let­zte und damit haupt­säch­liche Beschluß der außeror­dentlichen Reichs­dep­u­ta­tion, eines Auss­chuss­es, der vom 24. August 1802 an in Regens­burg tagte. Der Dep­u­ta­tion gehörten Bevollmächtigte der Kur­fürsten von Mainz, Sach­sen, Bran­den­burg, Böh­men und Bay­ern und die Vertreter des Her­zogs von Würt­tem­berg, des Land­grafen von Hes­sen und des Hoch- und Deutschmeis­ters an. Der Hauptschluß stellt das let­zte bedeu­tende Gesetz des Heili­gen Römis­chen Reich­es Deutsch­er Nation dar und verän­derte die Land­karte und die Geset­zes­lage Deutsch­lands nach­haltig. Daß es zu diesem Hauptschluß kam, lag an den fort­ge­set­zten Nieder­la­gen des Reich­es bzw. sein­er Teil­staat­en gegen das rev­o­lu­tionäre Frankre­ich und dessen Kriegsziel der Rhe­in­gren­ze.

Als deutsche Trup­pen im Som­mer 1792 in Frankre­ich ein­marschierten, um die rev­o­lu­tionäre Nation von ihren „Irrtümern“ zu heilen, fol­gte schnell die Ernüchterung: Die „Kanon­ade von Valmy“ machte am 20. Sep­tem­ber die Blitzkriegspläne zunichte, und Goethe sah ein neues Zeital­ter her­aufziehen, das zunächst ein­mal 20 Jahre Krieg bedeutete. Neben der Prokla­ma­tion der Men­schen- und Bürg­er­rechte waren zwei Ideen mächtig gewor­den, die bis heute Bestand haben: die Idee der Nation und die Idee der „natür­lichen Gren­ze“ (eine Formel, die in vie­len napoleonis­chen Verträ­gen auf­taucht und Flüsse, Küsten und Gebirge meint). Während erstere sich erst allmäh­lich zu einem Motor der deutschen Geschichte entwick­elte, hat­te die Idee der natür­lichen Gren­ze sehr schnell Auswirkun­gen auf die Gestalt des Reich­es.

Nach­dem die Jakobin­er nach Rückschlä­gen im Ersten Koali­tion­skrieg die Herrschaft in Frankre­ich über­nom­men hat­ten, wurde die Forderung laut, daß Frankre­ichs natür­liche Ost­gren­ze der Rhein sei, und diese dementsprechend als Kriegsziel aus­gegeben. Da sich Öster­re­ich und Preußen in ihrem Han­deln nicht einig waren, son­dern jew­eils auf Kosten des anderen einen Son­der­frieden mit Frankre­ich schlossen, wurde dieses Ziel schnell erre­icht. Bei­de hat­ten den Fran­zosen die linksrheinis­chen Gebi­ete ver­sprochen, die ihnen größ­ten­teils nicht gehörten. Während der Ras­tat­ter Kon­greß zur Neuord­nung Deutsch­lands, der seit Dezem­ber 1797 tagte, von den Ereignis­sen über­holt wurde, schufen die Fran­zosen Tat­sachen und macht­en im Mai 1798 den Rhein zur Zoll­gren­ze. Die Zweite Koali­tion mußte nach Anfangser­fol­gen das Auss­chei­den Ruß­lands verkraften, was schließlich zum Frieden von Lunèville am 9. Feb­ru­ar 1801 führte.

Dieser Friede bedeutete fak­tisch das Ende des Heili­gen Römis­chen Reich­es Deutsch­er Nation, weil er die völ­lige Neuord­nung des Reich­es nach sich zog. Deutsch­land bekam damit ein Gesicht, das im weit­eren Ver­lauf der Geschichte Bestand haben sollte und in Teilen bis heute ähn­lich geblieben ist. Das gesamte linksrheinis­che Gebi­et wurde an Frankre­ich abge­treten, und in Artikel 7 des Friedensver­trages war fest­gelegt wor­den, daß die weltlichen Lan­desh­er­ren, die auf dem linken Rhein­ufer Ver­luste hin­nehmen mußten, mit­tels recht­srheinis­ch­er Gebi­et­szuweisun­gen durch das Reich zu entschädi­gen seien.

Was im ersten Moment nach einem unüber­schaubaren Kon­flik­t­po­ten­tial klingt, stellte sich durch die prak­tis­che Vorge­hensweise als ziem­lich geräuschlos­es Geschäft her­aus. Die Entschädi­gung auf Kosten der geistlichen Fürsten­tümer, die im Zuge der soge­nan­nten Säku­lar­i­sa­tion aufgelöst und den durch linksrheinis­che Ver­luste Geschädigten zugeschla­gen wur­den, kon­nte sich bre­it­er Zus­tim­mung sich­er sein (obwohl davon mehr als drei Mil­lio­nen Men­schen betrof­fen waren). Allerd­ings ging der Hauptschluß weit darüber hin­aus. Laut Artikel 35 durften alle deutschen Fürsten, auch die keine Ver­luste erlit­ten hat­ten, die Besitzun­gen der Kirche auf ihren Ter­ri­to­rien aufheben und einziehen.

Aber auch gegen die Entschädi­gung mit­tels der Medi­atisierung, in deren Zuge bis­lang reich­sun­mit­tel­bare Städte und Län­der auf die großen Ter­ri­to­ri­al­staat­en verteilt wur­den, regte sich nur sel­ten Wider­spruch aus der Reich­srit­ter­schaft. Hinzu kam, daß die einge­set­zte Reichs­dep­u­ta­tion keine freie Hand hat­te, weil Frankre­ich und Ruß­land als Garantiemächte durch Geheim- und Vorverträge das Ziel vor­gaben, das in Regens­burg nur bestätigt wurde. Das bestand selb­stver­ständlich nicht in ein­er Reich­sre­form, son­dern in der langfristi­gen Schwächung Deutsch­lands, ins­beson­dere Öster­re­ichs, das immer noch als Haupt­geg­n­er eingeschätzt wurde.

Die Stärkung von Bay­ern, Würt­tem­berg und Preußen diente eben jen­em Ziel, indem man ein Gegengewicht zu Öster­re­ich schuf und den späteren Dual­is­mus zwis­chen Öster­re­ich und Preußen zumin­d­est anlegte. Die süd­west­deutschen Ter­ri­to­rien wur­den gestärkt, um Mit­tel­staat­en zu schaf­fen, die mehr oder weniger als Frankre­ichs Satel­liten funk­tion­ieren soll­ten und im Not­fall als Puffer und Vor­feld dienen kon­nten (was 1806 zur Grün­dung des Rhein­bun­des führte). Die Mark­graf­schaft Baden, die sich ent­lang des Rheins erstreck­te, ist nur als Puffer­zone konzip­iert wor­den und zeigt das franzö­sis­che Inter­esse am deut­lich­sten. Preußen hat­te sich, wie auch schon durch die Teilun­gen Polens 1793/95, ver­größert und war bis dahin ein Gewin­ner der rev­o­lu­tionären Prozesse in Europa.

Den­noch liegt in dieser Vere­in­heitlichung der Land­karte auch eine Ironie der Geschichte, weil sie die läh­mende Zer­split­terung zumin­d­est ver­ringerte: “Die Grund­lage des mod­er­nen deutschen Föder­al­is­mus, näm­lich das Nebeneinan­der ein­er Mehrzahl mit­tel­großer, mit der Kraft der poli­tis­chen Eigen­ständigkeit aus­ges­tat­teter Staat­en, hat wesentlich der Reichs­dep­u­ta­tion­shauptschluß geschaf­fen. (Ernst Rudolf Huber)

Im Zuge dessen wurde die Rechts­gle­ich­heit vor­angetrieben, und die Lebensver­hält­nisse verbesserten sich durch die wirtschaftliche Erschließung in bis­lang ver­nach­läs­sigten Ter­ri­to­rien. Der Reichs­dep­u­ta­tion­shauptschluß verän­derte aber nicht nur die Land­karte des Reich­es, son­dern vor allem auch die poli­tis­che und rechtliche Stel­lung der Kirche, was eben­falls Fol­gen bis in die Gegen­wart hat: Die finanziellen Zuschüsse der heuti­gen Bun­deslän­der an die Kirchen, zu denen z.B. die Gehäl­ter der Bis­chöfe gehören, haben ihren Ursprung in Artikel 35 des Hauptschlusses.

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Lit­er­atur:

  • Ernst Rudolf Huber: Deutsche Ver­fas­sungs­geschichte seit 1789, Bd. 1, Stuttgart 1957, S.42–60
  • Carl Misch: Deutsche Geschichte im Zeital­ter der Massen, Stuttgart 1952
  • Horst Möller: Fürsten­staat oder Bürg­er­na­tion. Deutsch­land 1763–1815, Berlin 1994, S.575–594