Das Jahr 1806 war für die Dominanz Frankreichs im seinerzeitigen Deutschland von maßgeblicher Bedeutung. Damals nämlich gelang es Napoleon I., das „Dritte Deutschland“ (gemeint sind damit die nicht unter französischer Herrschaft stehenden Territorien des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation ohne die beiden deutschen Großmächte Österreich und Preußen) in seinem am 12. Juli 1806 gegründeten Rheinbund zusammenzuschließen. Die in Paris erfolgte Unterzeichnung dieses Dokuments durch vier Kurfürsten und zwölf Fürsten des Reichs sicherte Napoleon nicht bloß die Verfügbarkeit des militärischen Potentials der Mitgliedsstaaten für seine kontinentalen militärischen Unternehmungen, sondern versetzte auch dem alten Reich den unmittelbaren Todesstoß.
Am 1. August 1806 gaben in Regensburg die sechzehn Mitgliedsstaaten des Rheinbundes in Erfüllung der in Artikel 3 der Rheinbundakte eingegangenen Verpflichtung vor dem Reichstag eine gemeinsame Erklärung über die Trennung vom Reich ab. Indem sie Napoleons Absichten als stets mit Deutschlands wahrem Interesse überstimmend erklärten, sprachen die Unterzeichner dieser Erklärung allen Tatsachen in wahrhaft dreister Weise hohn.
Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch die Existenz des Rumpfreichs erlosch. Dies war um so wahrscheinlicher, als Kaiser Franz II. — seit 1804 als Franz I. Kaiser von Österreich — sich am 5. Juli 1806 zum Verzicht auf die Reichskrone entschlossen hatte. Er hoffte jedoch, aus diesem Verzicht für die österreichische Monarchie Vorteile ziehen zu können. Damit bestätigte er lediglich noch ein weiteres Mal das, was die Rheinbundstaaten in ihrer Austrittserklärung ihm und dem preußischen König vorgeworfen hatten: nämlich die Vernachlässigung von Pflichten gegenüber dem Reich zugunsten machtstaatlicher Interessen des eigenen Hauses.
Jedoch verhinderte Napoleons Ultimatum vom 22. Juli 1806 auf Niederlegung der römisch-deutschen Kaiserkrone durch Franz II. bis zum 10. August 1806 ein solches Handeln, das einen Verrat am Reich sowie an dessen Tradition bedeutet hätte. Gerade erst im Krieg von 1805 eindeutig besiegt, wich Franz II. vor Napoleons erneuter Kriegsdrohung zurück. Noch vor dem Ablauf des Ultimatums, am 6. August 1806, gab er unter Gegenzeichnung durch Johann Philipp von Stadion (er war von 1805 bis 1809 Österreichs Außenminister) die Erklärung über die Niederlegung der Kaiserkrone ab. Sie begann mit den Worten: “Wir erklären, daß Wir das Band, welches Uns bis jetzt an den Staatskörper des Deutschen Reiches gebunden hat, als gelöst ansehen, daß Wir das reichsoberhauptliche Amt durch die Vereinigung der konföderierten Rheinischen Stände als erloschen und Uns dadurch von allen übernommenen Pflichten gegen das Deutsche Reich losgezählt betrachten und die von wegen desselben bis jetzt getragene Kaiserkrone und geführte kaiserliche Regierung, wie hiermit geschieht, niederlegen.”
Zwar konnte der Kaiser durch einen einseitigen Rechtsakt nur seine Abdankung aussprechen, die ein Interregnum bis zur Neuwahl eines Reichsoberhaupts hervorrief. Zudem war aus rechtlicher Sicht das Reich bloß suspendiert. Doch de facto war dieses nach rund 900 Jahren aufgelöst — daran konnte kein Zweifel bestehen. Durch eine von innen heraus erfolgte Selbstpreisgabe des Reiches in Gestalt der Gründung des Rheinbundes und des Austritts seiner Mitglieder aus dem Reichsverband war unter dem massiven Druck Napoleons genau das erreicht worden, was in der Vergangenheit weder Gustav II. Adolf von Schweden noch Ludwig XIV. von Frankreich gelungen war: nämlich die Zerschlagung des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation.
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Literatur:
- Willy Andreas: Das Zeitalter Napoleons und die Erhebung der Völker, Heidelberg 1955
- Karl Otmar Freiherr von Aretin: Heiliges Römisches Reich 1776–1806. Reichsverfassung und Staatssouveränität, Teil I: Darstellung, Wiesbaden 1967
- Heinrich Ritter von Srbik: Die Schicksalsstunde des alten Reiches. Österreichs Weg 1804–1806, Jena 1937