1814 — Preußen führt die allgemeine Wehrpflicht ein

Mit Preußens Erhe­bung gegen Frankre­ich im Früh­jahr 1813 hob König Friedrich Wil­helm III. die bish­er gel­tenden Aus­nah­men von der Verpflich­tung, in der Armee zu dienen, auf (9. Feb­ru­ar 1813). Dies bedeutete fak­tisch die Ein­führung der all­ge­meinen Wehrpflicht, wom­it sich ein wesentlich­er Gedanke des preußis­chen Heeres­re­form­ers Ger­hard von Scharn­horst, dem beson­ders die franzö­sis­che „lev­èe en masse“ (dt.: Masse­naushe­bung) von 1793 vorschwebte, nun wirk­lich durchge­set­zt hat­te. Danach wur­den alle jun­gen Män­ner zwis­chen dem 17. und 24. Leben­s­jahr — soweit sie sich nicht zu den Frei­willi­gen­ver­bän­den melde­ten — der Aushe­bung unter­wor­fen. Hier­mit war für die Entwick­lung nicht nur der preußis­chen, son­dern auch der deutschen Wehrpoli­tik des 19. und sog­ar 20. Jahrhun­derts die Grund­lage geschaf­fen.

Nach der Nieder­w­er­fung Napoleons 1814 hat­te Friedrich Wil­helm III. seine Verord­nung vom 9. Feb­ru­ar 1813 jedoch schon wieder aufge­hoben, so daß eine Rück­kehr zu dem alten Kan­ton­sre­gle­ment zu befürcht­en stand. Für das Ver­mächt­nis des nach sein­er Ver­wun­dung in der Schlacht bei Großgörschen oder Lützen (2. Mai 1813) am 28. Juni 1813 gestor­be­nen Scharn­horst war es ein großes Glück, daß Gen­eral­ma­jor Her­mann von Boyen im August 1814 zum preußis­chen Kriegsmin­is­ter ernan­nt wurde. Er war ein­er der eifrig­sten Mit­stre­it­er Scharn­horsts im Kampf um die preußis­che Heeres­re­form und erließ als seine wichtig­ste Amt­shand­lung am 3. Sep­tem­ber 1814 das von ihm erar­beit­ete „Gesetz über die Verpflich­tung zum Kriegs­di­enst“.

Dieses führte mit der all­ge­meinen Wehrpflicht das zen­trale Ele­ment aus der Mil­itär­reform Scharn­horsts ein. Auf­grund der mit dem Volk­sheer im Befreiungskampf gemacht­en Erfahrun­gen, der zukün­fti­gen poli­tis­chen Lage Preußens und sein­er lim­i­tierten finanziellen Mit­tel wurde nun­mehr eine Mil­itäror­gan­i­sa­tion geschaf­fen, mit der nicht mehr Frankre­ich, son­dern das Kön­i­gre­ich Preußen als Vor­bild wirk­te. Alle für tauglich befun­de­nen Män­ner ab dem 20. Leben­s­jahr waren waf­fenpflichtig und mußten im ste­hen­den Heer drei Jahre Mil­itär­di­enst leis­ten, danach noch zwei Jahre in der Reserve dienen. Die Landwehr des Befreiungskriegs blieb erhal­ten, nun jedoch geteilt in erstes und zweites Aufge­bot mit acht- und sieben­jähriger Dien­stzeit zwecks Ver­stärkung der Lin­ien­trup­pen sowie für Besatzungszwecke.

Sie wurde von allen Wehrfähi­gen vom 17. bis zum 40. Leben­s­jahr, die noch keinem Trup­penkör­p­er ange­hörten, gebildet. Im Kriegs­fall sollte aus allen zwis­chen 15 und 60 Jahre alten, wehrfähi­gen Män­nern, die wed­er zum ste­hen­den Heer noch zur Landwehr gehörten, zum Zweck der Heimatvertei­di­gung der Land­sturm gebildet wer­den. Die Wer­bung von aus­ländis­chen Sol­dat­en fiel in der Folge ganz fort. Für Gebildete und Wohlhabende war es aber weit­er­hin möglich, als soge­nan­nte Ein­jährig-Frei­willige lediglich ein Jahr statt drei Jahre zu dienen.

Nach dem endgülti­gen Sieg über Napoleon 1815 urteilte der mit his­torisch-kri­tis­chem Ver­stand in hohem Maße aus­ges­tat­tete preußis­che Heeres­re­former und Mil­itärthe­o­retik­er Carl von Clause­witz im Rück­blick, daß alles, was erre­icht wurde, Scharn­horst zu ver­danken sei. Und sog­ar Friedrich August Lud­wig von der Mar­witz, der „Erzreak­tionär“ und „schlimm­ste aller Junker“, erkan­nte in Ken­nt­nis vom Wesen des mod­er­nen Krieges an: „Alles Dauer­hafte und Wesentliche, was zwis­chen 1807 und 1813 ein­gerichtet ist, rührt von Scharn­horst her.“

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Lit­er­atur: 

  • Siegfried Fiedler: Grun­driß der Mil­itär- und Kriegs­geschichte, Bd. 3: Napoleon gegen Preußen, München 1978
  • Klaus Hor­nung: Scharn­horst. Sol­dat — Reformer — Staats­mann, Esslin­gen 1997
  • Hans-Joachim Schoeps: Preußen. Geschichte eines Staates, Frank­furt a. M. 1966