1832 — Hambacher Fest

Hin­auf, hin­auf zum Schloß! Langsam schiebt sich die Men­schen­masse durch die Wein­berge am Rande des Pfälz­er Waldes. Die Men­schen sin­gen, trom­meln, schwenken schwarzrot­gold­ene Fah­nen. Zwanzig­tausend mögen es sein, vielle­icht dreißig­tausend. Stu­den­ten und Handw­erk­er, Winz­er und Bauern, Großbürg­er und Burschen­schafter. Ihr Ziel: das Ham­bach­er Schloß, eine Bur­gru­ine ober­halb des Örtchens Ham­bach, eines Stadt­teils von Neustadt an der Wein­straße. Aus ganz Deutsch­land sind die Demon­stran­ten gekom­men, aber auch aus Frankre­ich und Polen.

Es ist der 27. Mai 1832, ein ver­reg­neter Son­ntag. Ein Gewit­ter braut sich zusam­men, nicht nur am Him­mel. Auch in der Bevölkerung rumort es. Auf dem Ham­bach­er Fest entlädt sich einen Tag lang die Wut gegen die Obrigkeit und die Kle­in­staaterei. Und so wird der Hard­trand, die geo­graphis­che Kante des Pfälz­er Waldes zur Rheinebene, zum Schau­platz der ersten Großdemon­stra­tion für ein demokratisch-repub­likanis­ches Deutsch­land.

Nicht nur in der Pfalz herrscht große wirtschaftliche Not. Doch hier, im Süd­west­en, sind die Repres­salien der bay­erischen Staat­sregierung beson­ders schmerzhaft spür­bar. Wen­ngle­ich die Fran­zosen in dem von der Sonne ver­wöh­n­ten Land­strich nicht son­der­lich willkom­men gewe­sen waren, so hat­ten sie der Pfälz­er Bevölkerung zur Zeit ihrer Herrschaft von 1797 bis 1814 immer­hin Frei­heit­srechte gewährt, die im Zuge der Restau­ra­tion wieder kassiert wur­den. Die Zen­sur der Presse etwa ist an der Tage­sor­d­nung.

Eigentlich soll an jen­em 27. Mai etwas ganz anderes gefeiert wer­den: Geplant ist ursprünglich ein Fes­takt zum Jahrestag der bay­erischen Ver­fas­sung. Doch die Pub­lizis­ten Jakob Philipp Siebenpfeif­fer und Johann Georg August Wirth, die seit einiger Zeit gegen die Pressezen­sur kämpfen, funk­tion­ieren die Ver­anstal­tung kurz­er­hand um. Unter dem Mot­to „Hin­auf, hin­auf zum Schloß!“ wird ein poli­tis­ches Volks­fest daraus, bei dem Red­ner die nationale Ein­heit Deutsch­lands fordern, das zu diesem Zeit­punkt in 39 sou­veräne Staat­en zer­split­tert ist. Wenn die Staat­sober­häupter dazu nicht in der Lage seien, so heißt es, müsse das Volk eben selb­st für die Ein­heit sor­gen.

Weit­ere Forderun­gen gel­ten der Presse‑, Ver­samm­lungs- und Gewer­be­frei­heit, sozialer Gerechtigkeit bis hin zum „con­föderierten repub­likanis­chen Europa“ (Wirth). Auch die Höhe der Steuern, Zoll­ge­bühren und Mautschranken, in denen ger­ade die „kleinen Leute“ eine Ursache ihrer Ver­ar­mung sehen, wer­den unüber­hör­bar angeprangert. Eben­so gehört der Abbau fiskalis­ch­er Han­delshemm­nisse zum frei­heitlichen Forderungskat­a­log der Teil­nehmer.

Im Gegen­satz zum 15 Jahre vorher ver­anstal­teten Wart­burgfest, wo genau diese Forderun­gen fast auss­chließlich von Stu­den­ten und Pro­fes­soren verkün­det wur­den, find­en sich nun auch zahlre­iche Bürg­er, Handw­erk­er und Arbeit­er ein: Der Gedanke an ein geeintes Vater­land ist — angestoßen auch von den gle­ichzeit­i­gen Erhe­bun­gen in Griechen­land, Polen, Ital­ien, Paris und Brüs­sel — auf alle Schicht­en überge­sprun­gen. Plöt­zlich zeigt sich: Ganz so fest und unum­stößlich ste­hen die Throne der Fürsten in Europa nicht. Rebel­lion liegt in der Luft. Und: Wieder wer­den die Far­ben Schwarz, Rot und Gold, die Far­ben des Lüt­zowschen Freiko­rps, als Trikolore gezeigt, die zuvor bei den Befreiungskriegen 1813 und in der burschen­schaftlichen Bewe­gung eine Rolle gespielt haben.

Auf dem Ham­bach­er Fest ist die Auf­bruchsstim­mung greif­bar, doch es gibt auch Dif­feren­zen — etwa in der Frage, ob die Ein­heit und die Frei­heit der Deutschen not­falls mit Gewalt herzustellen seien. Aus Nord­fries­land kommt der Rev­o­lu­tionär Har­ro Har­ring zum Fest, bewaffnet bis an die Zähne. Manch ein­er glaubt, jet­zt würde die deutsche Rev­o­lu­tion aus­gerufen, aber es bleibt ein friedlich­es Volks­fest auf dem Schloßberg.

Doch was treibt die Teil­nehmer an? Wenige Jahre nach dem Wiener Kon­greß ver­schrieb sich der Deutsche Bund unter Ini­tia­tive des Fürsten und öster­re­ichis­chen Staatsmin­is­ters Met­ter­nich mit den Karls­bad­er Beschlüssen (1819) der Restau­ra­tion und damit der Unter­drück­ung jeglich­er „rev­o­lu­tionär­er Umtriebe“. Die deutschen Fürsten hat­ten 1815 den Deutschen Bund als Zusam­men­schluß ihrer Ter­ri­to­rien nicht dazu bes­timmt, das Alte Reich wieder­herzustellen oder ein neues Reich auf den alten Fun­da­menten aufzuricht­en. Vielmehr sollte er vor allem dazu dienen, die äußere Sicher­heit des Bun­des­ge­bi­etes, vor allem aber die Herrschaft über die Unter­ta­nen abzu­sich­ern. Mithin wich die Ein­heit­sidee, wie sie in der Bun­de­sak­te zum Aus­druck kommt, hin­ter die bun­de­sein­heitliche Unter­drück­ung lib­eraler und demokratis­ch­er Bestre­bun­gen zurück.

Bürokratis­che Kon­trolle und Polizeimacht, legit­imiert mit dem Argu­ment der „Dem­a­gogen­ver­fol­gung“, waren die Folge. Die Burschen­schaften wur­den ver­boten, zur Imma­triku­la­tion der Stu­den­ten bedurfte es polizeilich­er Führungszeug­nisse. Behör­den ver­hängten Pressege­set­ze mit Vorzen­sur für Zeitun­gen und Zeitschriften sowie Nachzen­sur für Büch­er und Tätigkeitsver­boten für Redak­teure. Lib­erale Entwick­lun­gen in einzel­nen Mit­gliedsstaat­en wur­den ange­hal­ten und zeitweilig auch ein Stück zurück­ge­holt.

Weil es jedoch vor­erst keine Eini­gung über das weit­ere Vorge­hen gibt, bewirkt Ham­bach zunächst keine konkrete, entschei­dende Wende. Zunächst ist gar das Gegen­teil der Fall: Der Deutsche Bund reagiert mit sein­er ganzen Härte und zieht die Dau­men­schrauben weit­er an, indem er die Presse- und Ver­samm­lungs­frei­heit noch stärk­er ein­schränkt und Gefäng­nis­strafen gegen all jene Anführer der Bewe­gung ver­hängt, die sich nicht rechtzeit­ig in die Schweiz abset­zen kön­nen. Beispiele sind der Sturm auf die Frank­furter Hauptwache, direkt vor dem als Sitz des Deutschen Bun­destages genutzten Palais Thurn und Taxis, die Ver­fol­gung der „Göt­tinger Sieben“ im Kön­i­gre­ich Han­nover sowie die Empörung im Rhein­land über die preußis­che Regierung im Köl­ner Kirchen­stre­it.

Und den­noch bleibt „Ham­bach“ weit mehr als eine Episode in der Geschichte der deutschen Frei­heits­be­we­gung. Der Name des Winz­erörtchens bren­nt sich als Sym­bol fest in die Bestre­bun­gen nach Frei­heit und Ein­heit in einem deutschen Nation­al­staat ein und dient in den Fol­ge­jahren als iden­titätss­tif­ten­des Ereig­nis auf dem Weg zu bürg­er­lich­er Frei­heit und nationaler Ein­heit.

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Lit­er­atur:

  • Hans Fenske: Vor­märz und Rev­o­lu­tion 1840–1848, Darm­stadt 1976
  • Joachim Ker­mann (Hrsg.): Frei­heit, Ein­heit und Europa. Das Ham­bach­er Fest von 1832, Lud­wigshafen am Rhein 2006
  • Hein­rich von Tre­itschke: Deutsche Geschichte, Bd. 3, Leipzig 1885