1870 — Der französische Kaiser kapituliert in Sedan

Der im Juli 1870 aus­ge­broch­ene Deutsch-Franzö­sis­che Krieg war die Folge ein­er neg­a­tiv­en Entwick­lung der preußisch-franzö­sis­chen Beziehun­gen, die sich spätestens seit 1866 abzuze­ich­nen begann. Nach der Lösung des preußisch-öster­re­ichis­chen Dual­is­mus zugun­sten Berlins im Deutschen Krieg von 1866 fühlte sich Kaiser Napoleon III. durch den preußis­chen Min­is­ter­präsi­den­ten Otto von Bis­mar­ck hin­ter­gan­gen.

Napoleon ver­langte für die Hin­nahme der preußis­chen Machter­weiterung in Deutsch­land ter­ri­to­ri­ale Kom­pen­sa­tio­nen. Auf­grund der vagen Andeu­tung Bis­mar­cks — Frankre­ich könne mit einem Gebi­et­szuwachs bis zum Rhein rech­nen, sollte es im Krieg wohlwol­lende Neu­tral­ität hal­ten — forderte Paris nach dem preußis­chen Sieg bei König­grätz nun die Ein­lö­sung des „Ver­sprechens“, was Bis­mar­ck ablehnte. Dieses Streben nach der Rhe­in­gren­ze als „natür­lich­er“ Gren­ze Frankre­ichs war Ziel franzö­sis­ch­er Poli­tik seit Napoleon I. Auch mußte Napoleon III. den Ver­such, das Großher­zog­tum Lux­em­burg zu kaufen, auf­grund der öffentlichen Proteste in Deutsch­land aufgeben.

Die nation­al­is­tis­che franzö­sis­che Presse sowie die Kriegspartei bei Hofe und in der Regierung forderten immer ein­dringlich­er „Rache für Sad­owa“. Seit Beginn des Jahres 1870 drängte Napoleon III. zunehmend auf ein mil­itärisches Vorge­hen gegen Preußen und ver­suchte, Ital­ien und Öster­re­ich als Bünd­nis­part­ner zu gewin­nen, was mißlang. Die Kan­di­datur eines Hohen­zollern­prinzen für den spanis­chen Thron führte zu ein­er Zus­pitzung der inter­na­tionalen Lage und zum Auf­schäu­men der nation­al­is­tis­chen Gefüh­le in Frankre­ich. Man fühlte sich dort an die Zeit Kaisers Karl V. im 16. Jahrhun­dert erin­nert, als die Hab­s­burg­er die franzö­sis­che Monar­chie „umk­lam­mert“ hat­ten. Am 6. Juli 1870 beschloß die kaiser­liche Regierung eine „Kon­flik­t­strate­gie“, die sich auf die ver­meintliche Kriegs­bere­itschaft der franzö­sis­chen Armee grün­dete. Zudem rech­nete Paris fest mit der Neu­tral­ität der süd­deutschen Staat­en. Sollte Preußen nicht für immer und ewig Abstand nehmen von ein­er Thronkan­di­datur, war man zum Krieg bere­it.

Am 9. Juli 1870 erfol­gte die Teil­mo­bil­machung der franzö­sis­chen Armee. Das Insistieren des franzö­sis­chen Botschafters Benedet­ti am 13. Juli bei Wil­helm I., der zur Kur in Bad Ems weilte, trotz bere­its erfol­gter Rück­nahme der Kan­di­datur nun für alle Zeit­en eine verbindliche Verzicht­serk­lärung abzugeben, brachte das Faß zum Über­laufen. Der König lehnte ab. Bis­mar­ck nahm den amtlichen Bericht über dieses Tre­f­fen, die Emser Depesche, redigierte sie dahinge­hend, als sei Benedet­ti vom König barsch abge­fer­tigt wor­den, und ließ sie veröf­fentlichen.

Dies wurde in Frankre­ich als Affront aufge­faßt. Am 14. Juli machte die franzö­sis­che Armee mobil. Am 19. Juli 1870 erk­lärte Frankre­ich Preußen den Krieg. Offiziell ließ man ver­laut­baren, Frankre­ich bekämpfe zum einen die Macht­poli­tik Preußens seit 1864, die Her­aus­drän­gung Öster­re­ichs aus Deutsch­land und „die Gefährdung der Frei­heit Deutsch­lands durch den preußis­chen Mil­i­taris­mus“. Die Grün­dung eines klein­deutschen Kaiser­re­ich­es sollte mit allen Mit­teln ver­hin­dert, Preußens Ter­ri­to­ri­um reduziert und Mit­teleu­ropa nach franzö­sis­chen Vorstel­lun­gen neu gestal­tet wer­den. Die süd­deutschen Staat­en trat­en nach der franzö­sis­chen Kriegserk­lärung an die Seite Preußens. Gegen ihre Inten­tion wurde die franzö­sis­che Poli­tik zum Geburtshelfer des deutschen Nation­al­staates, weil sich Süd­deutsch­land mit dem Nord­deutschen Bund sol­i­darisierte.

Der franzö­sis­che Feldzugs­plan basierte auf der raschen Kräftekonzen­tra­tion zur Blit­zof­fen­sive über den Rhein zwis­chen den Fes­tun­gen Ger­m­er­sheim und Ras­tatt an den Main ab dem 16. Mobil­machungstag. Die schwächeren Süd­deutschen soll­ten bei­seite gedrängt und zur Neu­tral­ität gezwun­gen, das nord­deutsche Bun­desheer geschla­gen wer­den, noch ehe es mit ganz­er Macht auf­marschiert wäre. Nach einem Marsch von einem Monat soll­ten sich franzö­sis­che und öster­re­ichis­che Trup­pen, mit deren Ein­satz noch fest gerech­net wurde, in Böh­men tre­f­fen. Nach sechs Wochen sollte Nürn­berg erre­icht wer­den. Auf dieser Grund­lage wurde der Auf­marsch des franzö­sis­chen Heeres organ­isiert. Die Eisen­bah­n­verbindun­gen führten zur Auf­s­pal­tung in zwei Heer­essäulen: Die eine befand sich im Elsaß, die andere in Lothrin­gen. Eine dritte Armee als Reserve befand sich im Lager von Chalons.

Der preußis­che Gen­er­al­stab­schef Moltke hat­te bere­its am 6. Mai 1870 fest­gelegt: „Die Oper­a­tion gegen Frankre­ich wird ein­fach darin beste­hen, daß wir möglichst geschlossen einige Märsche auf franzö­sis­chem Boden vorge­hen, bis wir der franzö­sis­chen Armee begeg­nen, um dann die Schlacht zu liefern. Die Rich­tung dieses Vorge­hens ist im all­ge­meinen Paris, weil wir in der­sel­ben am sich­er­sten den Zielpunkt des Vorge­hens, das feindliche Heer zu tre­f­fen, erwarten dür­fen.“

Auf deutsch­er Seite wur­den drei Oper­a­tionsarmeen gebildet: Die 1. Armee auf dem recht­en Auf­marschflügel, die 2. Armee in der Mitte und die 3. Armee mit Ver­samm­lungsraum um Lan­dau und am recht­en Rhein­ufer. Während der deutsche Auf­marsch prob­lem­los von­stat­ten ging, war er auf franzö­sis­ch­er Seite durch Plan­losigkeit gekennze­ich­net. Ende Juli 1870 standen 640000 deutsche Sol­dat­en an der Gren­ze, auf franzö­sis­ch­er Seite nur 350000 Mann. Tausende franzö­sis­che Reservis­ten waren immer noch unter­wegs, als ihre Stammtrup­pen­teile bei Sedan und Metz bere­its in deutsche Gefan­gen­schaft ger­at­en waren.

Am 2. August beset­zten die Fran­zosen kampf­los Saar­brück­en, aber dann ging die Ini­tia­tive ganz auf preußisch-deutsche Seite über. In drei Gren­zschlacht­en bei Weißen­burg (4. August), Spich­ern und Wörth (6. August) wurde die Gefahr ein­er franzö­sis­chen Inva­sion deutschen Gebi­etes geban­nt. Nach weit­eren Gefecht­en bei Colombey-Nouil­ly (14. August), Vionville-Mars la Tour (16. August), Grav­elotte-St. Pri­vat (18. August) und Beau­mont (30. August) war Metz eingeschlossen, und die restlichen franzö­sis­chen Trup­pen wur­den zum Rück­zug nach Sedan gezwun­gen.

Am 1. Sep­tem­ber umk­lam­merten die deutschen Armeen den Talkessel von Sedan, wo die übrigge­bliebe­nen Reg­i­menter des zweit­en Kaiser­re­ich­es ihre let­zte Schlacht schlu­gen. Die deutsche Führung hat­te dafür gesorgt, daß ein fes­ter Ring von 540 Geschützen die Fran­zosen aus­bruchssich­er ein­schloß. Bis 16.30 Uhr dauerte die Kanon­ade, dann weht­en die weißen Fah­nen auf den Tür­men der Stadt. 83000 Mann gin­gen in Gefan­gen­schaft. Promi­nen­tester franzö­sis­ch­er Gefan­gener war Kaiser Napoleon III., der nach Ver­hand­lun­gen mit Bis­mar­ck am 2. Sep­tem­ber 1870 nur per­sön­lich, aber nicht im Namen Frankre­ichs kapit­ulierte.

In Paris kam es zu einem Sturz der Regierung. Die Monar­chie wurde abgeschafft, die Repub­lik kämpfte ihren „Krieg bis zum äußer­sten“ weit­er. Am 17. Sep­tem­ber schlossen deutsche Trup­pen Paris ein und belagerten es. Im deutschen Haup­tquarti­er zu Ver­sailles wurde am 18. Jan­u­ar 1871 Wil­helm I. zum Deutschen Kaiser aus­gerufen. Am 28. Jan­u­ar 1871 kapit­ulierte Paris, tags darauf trat der Waf­fen­still­stand in Kraft.

Die franzö­sis­che Poli­tik hat­te zum zweit­en­mal im 19. Jahrhun­dert dafür gesorgt, daß die Deutschen geeint gegen ihren äußeren Feind kämpften und 1871 endlich das erre­icht­en, was ihnen 1815 ver­sagt geblieben war: die deutsche Ein­heit. Im Kaiser­re­ich wurde for­t­an der „Sedan­tag“ am 2. Sep­tem­ber als inof­fizieller Nation­alfeiertag began­gen.

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Lit­er­atur:

  • Jan Ganschow/Olaf Haselhorst/Maik Ohnezeit: Der Deutsch-Franzö­sis­che Krieg 1870/71. Vorgeschichte — Ver­lauf — Fol­gen, Graz 2013