1920 — Hauptmann Berthold wird in Harburg ermordet

Am 13. März 1920 kehrte der Fliegerhaupt­mann Rudolf Berthold, schw­erst kriegs­versehrt und hochdeko­ri­ert mit dem Pour le mèrite für 44 bestätigte Luft­siege, aus Bay­ern von geheimen Unterre­dun­gen im Rah­men der anti­re­pub­likanis­chen Nationalen Vere­ini­gung zu seinem Freiko­rps Fränkisches Bauern-Detache­ment, bess­er bekan­nt unter dem Kampf­na­men „Eis­erne Schar“, nach Stade (Nieder­sach­sen) zurück. Die Eis­erne Schar hat­te zuvor als Teil der Eis­er­nen Divi­sion im Let­tis­chen Unab­hängigkeit­skrieg gegen bolschewis­tis­che Ver­bände gekämpft und wurde daher zu den soge­nan­nten „Baltikumern“ unter den deutschen Freiko­rps der unmit­tel­baren Nachkriegszeit gezählt.

Nach Stade war die Eis­erne Schar im Jan­u­ar 1920 befohlen wor­den, um dort aufgelöst zu wer­den, da gemäß den Bes­tim­mungen des Ver­sailler Ver­trags die Weimar­er Repub­lik ab dem 1. Jan­u­ar 1921 nur noch 100000 Mann unter Waf­fen würde hal­ten dür­fen. Berthold indes, der gegen­rev­o­lu­tionär aus­gerichtet war und die Repub­lik ablehnte, hoffte, seine Truppe zusam­men­hal­ten und in einen größeren Ver­band über­führen zu kön­nen. Diesem Zwecke hat­ten auch die bay­erischen Ver­hand­lun­gen gedi­ent, in denen eine Ver­legung des Freiko­rps nach Pom­mern emp­fohlen wor­den war. Bei sein­er Rück­kehr fand Berthold die Sol­dat­en jedoch bere­its bei der Bah­n­ver­ladung vor: Am sel­ben Tag war der Befehl eingetrof­fen, nach Berlin abzurück­en und dort die Marine­bri­gade Ehrhardt zu ver­stärken.

Denn der Kom­man­dant dieser paramil­itärischen Eli­teein­heit, der Korvet­tenkapitän Her­mann Ehrhardt, und der ehe­ma­lige Ober­be­fehlshaber der „Vor­läu­fi­gen Reich­swehr“, Gen­er­al Walther von Lüt­twitz, hat­ten unter dem Ein­druck der von der SPD-Reich­sregierung ange­ord­neten Auflö­sung der Freiko­rps und der all­ge­meinen Demil­i­tarisierung tags zuvor den in ver­schiede­nen Kreisen bere­its länger geplanten kon­ter­rev­o­lu­tionären Schlag gegen die junge Repub­lik aus­gelöst. In den frühen Mor­gen­stun­den des 13. März war die im Lager Döberitz sta­tion­ierte Brigade Ehrhardt unter voller Bewaffnung und Gesang in das Berlin­er Regierungsvier­tel ein­marschiert, nur knappe zehn Minuten, nach­dem das Kabi­nett um Reich­spräsi­dent Friedrich Ebert die Flucht aus der Haupt­stadt ange­treten hat­te. Gen­er­al­land­schafts­di­rek­tor Wolf­gang Kapp, nach dem der Putschver­such benan­nt wer­den sollte, stieß erst nach der Über­nahme der Kon­trolle über Berlin zu den Aufrührern.

Spätestens seit dem von der Reich­sregierung durch Abschnei­den der Nach­schublin­ien erzwun­genen Rück­zug der Freiko­rps aus dem Baltikum hat­te ein Staatsstre­ich durch die Frei­willi­gen­ver­bände und Teile der Reich­swehrführung in der Luft gele­gen. Auch die Eis­erne Schar hat­te sich seit Anfang März des Jahres ins­ge­heim auf den erwarteten Schlag gegen die Repub­lik vor­bere­it­et. Den Zeit­punkt des Marschbe­fehls — der einen Großteil der einge­planten Ein­heit­en auf­grund der man­gel­nden Vor­bere­itung sog­ar erst nach dem Putsch erre­ichen sollte — emp­fand Berthold als ver­früht, leis­tete jedoch Gehor­sam. Während seine Ver­suche, mit der Führung des Staatsstre­ichs in Berlin Kon­takt aufzunehmen, scheit­erten, organ­isierte die Oppo­si­tion gegen Lüt­twitz ihren Wider­stand deut­lich effizien­ter und wirk­samer.

Bere­its am 14. März ent­fal­tete sich der Gen­er­al­streik über ganz Berlin, um am Fol­ge­tag das gesamte Reichs­ge­bi­et zu erfassen. Eisen­bah­n­verbindun­gen und öffentliche Verkehrsmit­tel waren eben­so unter­brochen wie Tele­fon­leitun­gen und Post­wege; Druck­ereien, Fab­riken und Ämter hat­ten den Betrieb eingestellt. Den in Berlin ver­schanzten Putschis­ten standen wed­er Strom noch fließen­des Wass­er zur Ver­fü­gung. Das öffentliche Leben war lah­mgelegt und die Repub­lik damit fak­tisch unregier­bar.

Zum unfrei­willi­gen Zwis­chen­halt der Eis­er­nen Schar auf dem Weg nach Berlin wurde das sein­erzeit preußis­che Har­burg an der Elbe, wo streik­ende Eisen­bah­n­er den Putschis­ten die Weit­er­fahrt ver­wehrten. Berthold und seine Sol­dat­en waren gezwun­gen, den Zug zu ver­lassen und in ein­er Schule der Stadt Quarti­er zu beziehen. Dort wur­den sie in den frühen Mor­gen­stun­den von bewaffneten Arbeit­ern umzin­gelt: Das in Har­burg sta­tion­ierte Reich­swehr-Pio­nier­batail­lon Nr. 9 hat­te bei Bekan­ntwer­den des Putsches gemeutert, die eige­nen Offiziere gefan­genge­set­zt und seine Waf­fenkam­mern für die Bevölkerung geöffnet. Die Putschis­ten ver­schanzten sich in der Schule, und zwis­chen bei­den Seit­en entspann sich ein mehrstündi­ges Feuerge­fecht, an dessen Ende die Kapit­u­la­tion Bertholds im Aus­tausch gegen freies Geleit nach Abgabe der Waf­fen stand. Während des Abzugs der Freiko­rpsmän­ner flammte aus bis heute unklaren Grün­den erneut ein Schußwech­sel auf, der die ver­sam­melte Volks­menge in Rage ver­set­zte. Es kam zu zahlre­ichen Über­grif­f­en auf die ent­waffneten Putschis­ten, in deren Ver­lauf auch Haupt­mann Berthold schw­er mißhan­delt und schließlich ermordet wurde. Augen­zeu­gen­berichte über die genauen Umstände seines Todes vari­ieren von Erschießung über eine durch­schnit­tene Kehle bis hin zur Stran­gu­la­tion mit dem Ordens­band seines Pour le mèrite, während der offizielle Toten­schein Schußver­let­zun­gen als unmit­tel­bare Todesur­sache angibt.

Andern­tags — die Lage in Berlin war aus­sicht­s­los gewor­den — set­zte sich der zwis­chen­zeitlich zum Reich­skan­zler aus­gerufene Wolf­gang Kapp von den Aufrührern ab und floh nach Schwe­den. Gen­er­al Walther von Lüt­twitz traf sich in der Folge mit Parteien­vertretern zu Unterre­dun­gen, die ihm — ohne Absprache mit der geflo­henen Reich­sregierung, die Ver­hand­lun­gen abgelehnt hat­te — als Gegen­leis­tung für ein unblutiges Ende des Umsturzver­suchs eine Amnestie in Aus­sicht stell­ten. Lüt­twitz stimmte schließlich zu, trat am 17. März als mil­itärisch­er Ober­be­fehlshaber zurück und ver­an­laßte den Abzug der zum Kampf ange­trete­nen Freiko­rps.

Let­ztlich scheit­erte die von nation­al­is­tis­chen und anti­re­pub­likanis­chen Kreisen lange her­beige­sehnte Erhe­bung vor allem an ihrer übereil­ten Durch­führung sowie am man­gel­nden Rück­halt in der kriegs- und rev­o­lu­tion­s­mü­den Gesamt­bevölkerung. Außer­halb Berlins ent­fal­teten die Umstür­zler wenig Ein­fluß; demge­genüber bere­it­ete der bis heute größte Gen­er­al­streik der deutschen Geschichte den Bemühun­gen der Putschis­ten um den Machter­halt ein rasches Ende. Der Putsch ent­fachte hinge­gen ein kurzes Wieder­auf­flack­ern der Räte­be­we­gung, was an der Ruhr in einen bewaffneten Arbeit­er­auf­s­tand mün­dete, zu dessen Nieder­schla­gung die nach Berlin zurück­gekehrte Reich­sregierung wiederum Freiko­rp­sein­heit­en ein­set­zte. Maßge­bliche Pro­tag­o­nis­ten der Erhe­bung gin­gen nach ihrem Scheit­ern in den Unter­grund, woraus ille­gale paramil­itärische For­ma­tio­nen wie die Schwarze Reich­swehr und die Organ­i­sa­tion Con­sul ent­standen.

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Lit­er­atur:

  • Hannsjoachim Wolf­gang Koch: Der deutsche Bürg­erkrieg. Eine Geschichte der deutschen und öster­re­ichis­chen Freiko­rps 1918–1923, Schnell­ro­da 2014
  • Matthias Sprenger: Land­sknechte auf dem Weg ins Dritte Reich? Zu Genese und Wan­del des Freiko­rps-Mythos, Pader­born 2008
  • Hans Wittmann: Erin­nerun­gen der Eis­er­nen Schar Berthold, Oberviech­tach 1926